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Headhunter und andere FrisöreAusgefranste Ponys und zerklüftete Scheitel

■ Manchmal kann es passieren, daß man beim Schnellfrisör in der Stargarder Straße keinen besonders schnellen und auch keinen besonders tollen Haarschnitt bekommt – einen schönen Samstag aber, den hat man hier immer

Das ist so eines dieser Rätsel: wieso sich der Schnellfrisör Headhunter eigentlich Schnellfrisör nennt. Denn hier kommt man hin zum Zeitvertreib, zum Ausfüllen des Samstags mit einem scheinbaren Ereignis, zum Rumsitzen, zum Betrachten entsetzter Frischfrisierter, zum Blättern in Frisurkatalogen und so.

Letzten Samstag zum Beispiel hatten sich schon vor Saloneröffnung wohl an die 30 Frisursuchende vor dem Frisör in der Stargarder Straße versammelt. Als dann schließlich geöffnet wurde, drängelte man sich nicht etwa schnell hinein, um vielleicht einen der früheren Mitansteher hinter sich zu lassen. Nein, jeder wollte der letzte sein und sich schön hinten anstellen. Der glatzköpfige Haarwaschbeauftragte der sogenannten Schnellfrisörkette mußte schon mahnen: Jetzt aber mal herein, herein, und jeder zieht sich eine Wartemarke. Gut.

Zog man. Drinnen ist es recht prenzlbergmäßig-semilässig mit kunstvoll abblätterndem Putz an den Wänden, schönen Kirmestechnoklängen, Froschkönigen aus Papier, die über die großen Spiegel lugen, und einer Frisöse (!) und einem Frisör (!), die nun also dreißig Kurzhaarfrisuren richten sollen. Nicht aber, daß sie das irgendwie in Hektik stürzen würde. Gar nicht. Erst mal Kaffeepause. Nach einer Viertelstunde präsentieren sie sich den fröhlich Wartenden. Er ist ein kahlköpfiger Witzbold in den späten Zwanzigern, der so halblustige Bemerkungen macht wie „Wer ißt denn hier unsere Handtücher?“, nachdem er ein vom Trockner zerfetztes graues Frottiertuch geschwungen hat. Und sie sieht aus wie ein MTV-Abziehbildchen-Girlie mit langen blonden Haaren, Plateauschuhen und engem schwarzem T-Shirt.

Dann sind die ersten dran, und das Lustigste am Hier-so-Rumsitzen ist natürlich, daß hier fast alle Frisuren ziemlich mißlingen. Man kann das schon recht früh erkennen, so von hinten, als Außenstehender. Gerade Leute jedoch, die sich zum ersten Mal den unterbezahlten Amateurfrisören von Headhunter aussetzen, schließen während des Schnittes gern vertrauensvoll die Augen. Werden nach Abschluß des Schneidehandwerks rasch geweckt, und dann steht ihnen aber der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Sie ziehen entsetzt an abstehenden Strähnen, starren fassungslos auf ausgefranste Ponys und zerklüftete Scheitel. Manche weinen fast. Und das Publikum freut sich. Innerlich allerdings doch ein wenig zitternd. So ergeben sich dann Gespräche.

Zum Beispiel mit meiner Sitznachbarin, einem siebzehnjährigen naturblonden Mädchen mit Penatencreme auf den Lippen und weinroten DocMartens-Stiefeln, die den „Schimmelreiter“ von Theodor Storm liest. Da sprechen wir dann ein bißchen drüber, tauschen Lieblingszitate aus („Ich will schlafen, aber du mußt tanzen“ zum Beispiel) und suchen uns in dem ausliegenden Frisurenkatalog wahnsinnig aufwendige Fönfrisuren aus, die wir den Amateurfrisören von Headhunter zu deren Schrecken gleich mal vorschlagen wollen. Als ich dann drankomme, sage ich dann doch einfach nur kurz und traditionell: „Flattop bitte“, und das MTV-Girlie meint entsetzt: „Det kann ick aber nich“ und sie müsse mal den Kollegen fragen. Der erklärt sich bereit, schneidet aber auch erwartungsgemäß unpräzise, und am Ende ist mein Kopf gründlich verunstaltet. Auch der Frisör gibt, nachdem auch die anschließende Färbeaktion gründlich mißlungen war, zu: „Das sieht total Scheiße aus“ und man könne mich eigentlich so nicht auf die Straße lassen.

Es wird noch mal nachgefärbt und nachgeschnitten. Aber da ist nicht mehr viel zu machen. Ist aber auch nicht so schlimm. Denn alte Headhunterkunden wissen: Eine gute Frisur bekommt man hier zwar nicht, aber einen schönen Samstag, den hat man hier immer – garantiert.

Volker Weidermann

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