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Haydn-Reset in Schleswig-HolsteinSchlauer Provokateur

Mit seinem Haydn-Schwerpunkt tut das Schleswig-Holstein Musik Festival einen guten Griff. Es gibt diesem so intellektuellen wie humorvollen Komponisten seine Würde zurück

Galt zu Unrecht als spröde: Joseph Haydn Bild: Thomas Hardy

Joseph Haydn? Bestenfalls zum Warmspielen. Zur Einstimmung auf das Wesentliche: Mozart, Beethoven – jene Wiener Klassiker, die wir so genial finden. Ein ganzer Mozart-Abend? Kein Problem, hoch erfreut. Aber Haydn? Nein, da wird uns fad zumut, da wollen wir das (Mozart’sche) Original hören, nicht die schlaffe Kopie. Was schon historisch nicht stimmt, denn Mozart war jünger als Haydn. Aber trotzdem, insistieren wir: Haydn war so schlicht und altväterlich. Sogar Robert Schumann hat ihn als vertraut-öden „Hausfreund“ bezeichnet.

Alles Klischees, sagen die Gelehrten und Christian Kuhnt, Chef des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF), das Haydn diesmal zum Komponistenschwerpunkt erkor. Wenn Haydns Musiker und sein Freund Mozart ihn „Papa“ nannten, meinten sie es respektvoll und nicht herablassend.

Gedankenlos vernachlässigt

Geändert hat sich das schleichend. Vielleicht waren anfangs Neider am Werk; jedenfalls weiß heute kein Mensch mehr, wie sein Image so kippen konnte: Haydn, zu Lebzeiten europaweit gefeiert – und heute nur noch in Großbritannien ein Star. Sogar eine antarktische Bucht haben die Briten nach ihm benannt, das „Haydn Inlet“.

Wie konnte es zu dieser Vernachlässigung kommen? Durch eifriges Werkeln geschäftstüchtiger Mozart-Lobbyisten? „Nein“, sagt Otto Biba, Archiv-Direktor der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, der beim SHMF über die Haydn-Rezeption sprechen wird. „Das ist wohl eher aus Gedankenlosigkeit passiert.“

Damit soll es jetzt vorbei sein: Über 100 Konzerte wird das SHMF dem Komponisten widmen, der 1809 mit 77 Jahren starb. Prominente Musiker wie András Schiff, Isabelle Faust und Alison Balsom werden Werke aller Gattungen und Phasen spielen – von der Sinfonie übers Oratorium bis zu Klaviertrio, Streichquartett und Lied. Über 100 Sinfonien hat Haydn geschrieben, dazu 14 Messen und Oratorien, unter anderem die „Schöpfung“, eins der wenigen oft gespielten Werke.

So viel zur Quantität. Aber stimmt es, dass Haydn die Gattungen Sinfonie, Sonate, Lied erfand? Dass er die Instrumente des Streichquartetts erstmals gleichberechtigt einsetzte? „Ja, das stimmt alles“, sagt Biba. „Auch wenn ich eher von Verfeinern als vom Erfinden spreche würde.“ Und das Neue an Haydn vermittele sich deshalb so schwer, „weil er ein sehr intellektueller Komponist war.“ Einer, der die bestehenden Kompositionsregeln kannte und bewusst brach. Überraschende Tonarten und Klangfarben hineinbrachte, der Sinfonie erstmals eine klare, bis heute verbindliche Struktur gab.

Joseph Haydn kannte die bestehendenKompositionsregeln – und brach sie

Überraschende Tonarten? Aber wer hat das verstanden damals im Konzert, wo nebenbei geplaudert wurde? „Die Konzertbesucher von damals – und das waren nicht nur Adlige, sondern musizierende Bürger und Handwerker, die in teils kostenlose öffentliche Konzerte gingen – waren musikalisch hochgebildet“, sagt Biba. „Sie beherrschten die musikalische Grammatik, erkannten Tonarten und wussten, welche standardmäßig aufeinander folgten.“ Wenn Haydn diese Hörgewohnheiten positiv enttäuschte und durchbrach, habe es „durchaus mal den Saal gerissen“.

Wobei solche Überraschungs-Effekte auch der PR dienten: Sicher, Haydn war knapp 30 Jahre lang hochdotierter Kapellmeister am Hof des österreichischen Fürsten Esterházy, schrieb für ihn und Verleger, konnte viele Werke sogar zweifach verwerten. Und er hat, wie Mozart, immer auf das Publikum hin geschrieben, an Verkäuflichkeit gedacht. Trotzdem trieb ihn der Ehrgeiz, den Markt zu überraschen und Neues zu wagen.

Am besten kann man diese Special Effects an seinen berühmten „Scherzen“ dingfest machen, die stets beides sind, kompositorischer Kniff und Kampf ums Publikum: Ein plötzlicher „Paukenschlag“ in der gleichnamigen Sinfonie, bei dem man ertappt zusammenzuckt. Oder eine abrupte Pause, in die man versehentlich laut hineinschwatzt wie in „4’33“ von John Cage. Dann wieder ein Fagott, dass laut und vernehmlich einen schnarrenden, „fast unanständigen“ Ton fahren lässt, wie Haydn-Forscher Ludwig Finscher es nennt. „Das waren Dinge, die kein anderer wagte.“

Und deren intelligenter Humor Musikinteressenten aller Schichten bediente. Denn Haydn kam selbst aus einer Wagenmacher-Familie und hatte sich langsam hochgearbeitet. Die Affinität zum einfacheren Volk war ihm also biografisch inhärent – auch wenn ihn wegen seiner Privilegien wohl keine Gewissensbisse quälten.

Allerdings, sagt Biba, habe Haydn bei seinen beiden umjubelten England-Aufenthalten durchaus geschätzt, dass dort, anders als auf dem Kontinent, Adel und Bürger gemeinsam im Konzert saßen und das Musikleben eher bürgerschaftlich als mäzenatisch organisiert war. Und kompositorisch sei Haydn ohnehin ein Mann der Aufklärung gewesen: Das akribische Vergrößern, Verkleinern, Durchleuchten und Zerlegen eines Motivs war seine Spezialität – eine so naturwissenschaftliche wie rational-philosophische Methode. Und so intellektuell fordernd wie heute die Zwölftöner.

Hinderlich für die Haydn-Rezeption außerdem: Heute bewerten wir Haydn nicht anhand seiner Vorgänger, sondern aufgrund derer, die nach ihm kamen und seine Erfindungen verwerteten. Deren Fundament blenden wir aus.

Dieser Zugang ist nicht redlich und verstellt die Sicht auf Haydns Neuerungen. Denn auch wenn das Haydn-Gedenkjahr 2009 Aufmerksamkeit schuf: Immer noch setzen Orchester Haydn furchtsam an den Anfang eines Konzerts, damit das Publikum nicht gehen kann.

Auf und Ab der Rezeption

Dieses Auf und Ab der Haydn-Rezeption findet eine makabere Parallele im Schicksal seines Totenschädels. Den hatte Esterházy-Sekretär Josef Carl Rosenbaum heimlich entwendet – was auffiel, als Haydn in die Esterházy-Gruft überführt werden sollte.

Die zugehörige Geschichte ist so aufklärerisch wie profan: Der Wiener Arzt Franz Joseph Gall verbreitete damals, dass man von der Hirnform auf die Begabung eines Menschen schließen könne. Dafür exhumierte er illegal Tote und hielt auch seine Anhänger dazu an. Rosenbaum war so einer. Lebenslang hielt er den Haydn-Schädel versteckt und vermachte ihn dann dem anatomischen Institut der Universität Wien.

Dort lag er, bis man ihn 1895 zur „heiligen“ Reliquie erklärte und in die Gesellschaft der Musikfreunde brachte. Erst 1954 kam der Kopf, nach ausführlichen Vergleichen mit Haydns Totenmaske, zurück ins Grab.

Physisch ist Haydn seither im Lot. Seine Rezeption ist es nicht – auch, weil es immer noch keine Gesamtausgabe gibt. Das damit betraute Kölner Haydn-Institut hat zwar schon zwei Drittel von insgesamt 111 geplanten Bänden vorgelegt. Da viele Haydn-Werke aber nur als Abschriften existieren, muss man jede einzelne auf Authentizität prüfen. Und das dauert.

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