Geigerin Vilde Frang über ihre Motivation: „Eine innere Notwendigkeit“

Geigerin Vilde Frang, norwegische Residenzkünstlerin der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, hat es trotz des Gruppenzwangs ihrer Heimat zum Star gebracht.

Musizieren ist so selbstverständlich wie Zähneputzen: Vilde Frang in Mecklenburg-Vorpommern Foto: Musikfestspiele/Marco Borggreve

taz: Frau Frang, Sie haben mal gesagt: Ich mu­si­zie­re nicht zum Spaß. Warum nicht?

Vilde Frang: Beim Musizieren geht es nicht nur darum, dass ich es gern möchte. Es geht um et­was Grö­ße­res. Gleichzeitig ist es für mich ein Grundbedürfnis geworden. Wenn ich einige Tage kei­nen Kon­takt zu mei­nem In­stru­ment habe, fühle ich so­fort, dass etwas nicht stimmt. Als ob man ein bi­sschen krank ist. Da be­kommt man ja auch schlech­te Laune. Musizieren ist le­bens­wich­tig für mich. Eine innere Notwendigkeit.

Woher kommt sie?

Schwer zu sagen. Mit vier Jahren habe ich angefangen, seither war die Musik immer da. Manchmal fragen mich Leute: Wann hast du ent­schie­den, Gei­ge­rin zu wer­den? Aber ich habe nicht entschieden. Dass Musizieren ein natürlicher Bestandteil meines Lebens ist, war immer klar.

Aber dass Sie Geigerin werden, hat Ihr Vater entschieden.

Ja, er hatte Ein­fluss darauf, wel­ches Instrument ich wähl­te. Denn er und meine Schwes­ter spiel­ten Kon­trabass, und ich dachte immer, dass ich dasselbe machen würde. Aber mein Vater fand, zwei Celli in der Familie seien genug. Deshalb bastelte er mir eine win­zi­ge Geige. Ich spiel­te ein hal­bes Jahr, sie klang schlimm, und ich habe es gehasst. Trotzdem habe ich in dieser Zeit Grundtechniken gelernt. Nach einem ha­lben Jahr bekam ich eine gut klingende Geige. Da war ich total glück­lich.

Er­in­nern Sie sich an den ers­ten Mo­ment mit der ech­ten Geige?

Ja, das war Weih­nach­ten. Ich war vier oder fünf Jahre alt und muss am Heiligabend zwei Stunden gespielt haben. Es kann nicht sehr schön ge­klun­gen haben. Das war das einzige Mal, dass mich meine Eltern nicht zum Üben auffordern mussten. Denn obwohl ich das Geigen liebe: Zum Üben hatte ich keine Lust. Meine Eltern mussten mich immer auf­for­dern, und heute bin ich dank­bar dafür. Für El­tern ist es eine sehr feine Linie zwi­schen Druck und Er­mu­ti­gung. Das haben sie hinbekommen: Sie lie­ßen mich nicht zu leicht auf­ge­ben, und das war gut für mich, denn sonst wäre ich zu faul ge­we­sen.

29, gefragte Geigerin, begann mit zehn beim Norwegischen Rundfunkorchester, war mit zwölf Solistin des Oslo Philharmonischen Orchesters.

Wie verträgt sich das mit der unausgesprochenen skandinavischen „Janteloven“-Übereinkunft? Sie besagt, dass man die Gruppe nicht überflügeln und Kinder nicht unter Druck set­zen soll?

Tatsächlich ist das „Janteloven“ in Nor­we­gen sehr stark, quasi eingepflanzt. Und als Kind wurde ich oft gefragt: „Hast du Spaß, ist es kein Druck?“ oder „Zwin­gen sie dich, zu­ Hause zu üben?“

Wer fragte das?

Das konnte jeder sein: Konzertbesucher, meine Lehrer in der Schu­le. Ich habe das immer gehasst und fand, dass sie nichts ver­stan­den. Denn ich wuss­te, dass ich ge­scho­ben wer­den muss­te, um zu üben. Es war, als hätten sie mich gefragt: „Musst du wirk­lich täg­l­ich die Zähne put­zen? Deine Haus­auf­ga­ben ma­chen?“ Das ist ein echtes Pro­blem im skan­di­na­vi­schen Er­zie­hungs­sys­tem: dass man dazu nei­gt, zu vorsichtig zu sein und Kin­der zu un­ter­for­dern.

Und heute? Haben sich Ihre Landsleute mit Ihrer Karriere abgefunden?

Ja, in­zwi­schen fra­gen heben sie nicht mehr die Au­gen­brau­en und fragen nicht mehr. Anscheinend haben sie ver­stan­den, dass ich her­um­rei­se und dass das mein Beruf ist. Die Anerkennung ist ge­kom­men.

Wenn die Musik so sehr Teil von Ihnen ist: Wahren Sie da noch die nötige Distanz?

Für mich ist es nötig zu füh­len, denn Musik ist etwas, für das ich bren­nen muss. Wenn ein Stück nichts in dir weckt, be­kommt es kein Leben, weil du dich nicht damit identifizierst. Musik ist etwas Kom­mu­ni­zie­ren­des. Und wenn ich nicht mit der Musik kom­mun­izieren kann und einen bloß phi­lo­soph­i­schen, kal­ten Stand­punkt habe: Dann kann auch das Pu­bli­kum nichts füh­len, weil ich nichts zu tei­len habe.

Aber behindert diese starke Identifikation nicht die Analyse eines Stücks?

Die Ge­fahr beim In­ter­preti­eren ist: Wenn du eine Blume ana­ly­sierst und wirk­lich wis­sen willst, was hin­ter die­ser Schön­heit steckt, pflückst du alle Blätter und suchst. Am Ende ist die Blume zerstört – und ihre Schön­heit auch. Du weißt dann, wie sie funk­tio­n­iert, aber die na­türliche Schön­heit ist weg. Das gilt auch für ein Musikstück. Du musst ihm Raum las­sen.

Inwiefern?

Es ist schwer zu be­schrei­ben. Wenn ich ein Stück spi­ele, will ich mit den Wurzeln dieser Musik verbunden sein. Ich stu­die­re die Par­ti­tur sehr genau, muss alles über den Hin­ter­grund wis­sen: Wie ist das Werk entstanden, was durchlitt der Komponist, was wollte er erreichen? Ich lese alle Fakten. Denn wenn du die Wurz­eln kennst, verleiht dir das mehr Frei­heit.

Genügt das?

Nicht zwangsläufig. Du kannst alle Fak­ten kennen und immer noch kalt blei­ben. Dann kannst du nichts geben und hast nichts auf der Bühne zu suchen. Bei Beethoven etwa weiß ich immer noch nicht, ob er über mich lacht oder mit mir. Es gibt einfach Stü­cke, für die die Zeit noch nicht reif ist. Da brauche ich ein paar mehr graue Haare, mehr Wis­sen, und Weis­heit. Es gibt Werke, die ich sehr liebe, von denen ich aber li­eber die Fin­ger lasse, um sie nicht zu zer­stö­ren.

Welche?

Zum Beispiel Beethovens Vio­lin­ko­nzert. Er war so ver­söhnt, als er es schrieb, und ich bin eher eine kämp­fe­ri­sche Per­sönlichkeit. Ich bin noch nicht­ fä­hig zu sagen: Ich ver­ge­be alles. Beethoven ist eine echte Her­aus­fo­rde­rung. Ich werde damit noch war­ten.

Und wie steht es mit norwegischen Komponisten?

Ich habe mich nie so sehr als nor­we­gis­che Bot­schaf­terin verstanden. Ich bin sehr froh, dass Edvard Grieg kein Vio­lin­kon­zert schrieb, denn dann würde man es ständig von mir erwarten. Ich will aber alles spielen und fühle mich in allen Schattierungen von Musik zuhause.

Norwegens Folklore kennt sehr starke, teils atonale Streicherparts. Spielen Sie das auch?

In der Tat ist eins unserer interessantesten Folklore-Instrumente die Hardangerfiedel mit bis zu zehn Saiten. Ich wünsche mir sehr, sie spielen zu kön­nen. Aber sie funktioniert ganz anders als die klassische Geige und ist für mich wie ein fremdes Tier.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.