■ Haustiere in New York City – so verrückt wie ihre Halter!: Das Hochhaus-Syndrom
New York (taz) – „Stellen Sie sich vor, Sie haben einen gutaussehenden Partner, auf den Sie sich immer verlassen können und der sich niemals darüber beklagt, daß das Abendessen kalt ist!“ Mit diesem Slogan wird zur Zeit in den New Yorker U-Bahnen für die Adoption von Haustieren geworben. Die New Yorker sind tierlieb, was mitunter schräge Formen annimmt: Eine ältere Dame, die den Verlust ihrer Katzen nicht verschmerzen konnte, ließ ihre toten Körper ausbluten, hängte sie an ihrer Feuerleiter zum Trocken auf und endlagerte die Kadaver dann in ihrem Kühlschrank. Aufgrund nachdrücklicher Beschwerden von Nachbarn wurde im vergangenen Winter der Fall einer anderen Frau bekannt, die ihre Wohnung in Midtown/Manhattan mit mehr als 300 Tauben teilte. „Als wir ihr Apartment betraten, sahen wir überall nur Taubendreck“, beschreibt Martin Kurtz, Direktor des Veterinary Public Health Service, das Szenario. „Stalaktiten und Stalagmiten von Taubenscheiße! Die Frau schrie: ,Meine Tauben und ich haben eine besondere Beziehung zueinander‘, als wären wir die Verrückten. Wir beendeten dieses Verhältnis, indem wir ihre Fenster vernagelten.“
New York City, eine Stadt, deren ohrenbetäubender Lärm selbst bei Menschen Streßkrankheiten auslöst, ist ein denkbar ungünstiger Ort für ein Haustier. „Genau wie bei den Menschen gibt es auch unter den Haustieren eine ,New York City-Phobie‘“, erklärt der Tierverhaltensforscher Dr. Peter Borchelt. Tasächlich sind die meisten Tiere depressiv und überspannt. „Sparkey geht gar nicht gerne nach draußen“, klagt Jennifer, Besitzerin eines drei Jahre alten Cockerspaniels. „Es gibt hier einfach zu viele Gerüche. Er ist damit völlig überfordert.“ Aber auch für das Frauchen ist das abendliche Gassigehen kein Vergnügen. Ständig muß sie Sparkeys Schnauze von Abfällen – halbleeren Coladosen, gebrauchten Kondomen oder Hähnchenknochen – wegzerren. Da ist sie froh, wenn sie an einem der eingezäunten Hundeauslaufareale angelangt ist, den einzigen Orten, an denen sich ihr Liebling ohne Leine bewegen darf. Da sich auf diesen Flächen, die kaum die Größe eines Handtuchs überschreiten, bis zu 20 Hunde gleichzeitig die Beine vertreten, kommt es häufiger zur Problemen.
Im Sommer äußert sich bei vielen Haustieren das sogenannte Hochhaus-Syndrom, ein Phänomen, das bislang nur bei gestreßten Tieren in New York beobachtet wurde. Hunderte von lebensmüden Hunden, Katzen, aber auch Schildkröten und Schlangen – lassen sich jedes Jahr von höheren Gebäuden auf die Straße fallen. Katzen, die bei einer Strecke von neun Stockwerken auf eine Fluggeschwindigkeit von bis zu 90 Stundenkilometern kommen, überstehen den Abgang oft ohne Probleme. Eine überlebte gar den Sprung aus der 46. Etage. Hunde dagegen gehen dabei drauf.
Um diese Aktivitäten in einem „erträglichen“ Rahmen zu halten, greifen New Yorker – Medikamenten gegenüber ohnehin recht aufgeschlossen – gerne mal zur Chemiekeule: Eine magersüchtige Katze wird mit Valium wieder aufgepäppelt; einem einsamen Papagei, der sich aus Frust die Federn ausreißt, kann mit Elavil geholfen werden; Tofranil „kuriert“ Hunde, die unter Trennungsängsten leiden. Aber auch sanfte Methoden werden angewandt. Tierpsychiater sind gefragt wie nie. Der neueste Trend: Suggestion. Der Besitzerin einer hyperaktiven Katze wurde jüngst empfohlen, in ihrer Abwesenheit ein Band mit Walgesängen abzuspielen, zusätzlich angereichert mit ihrer Stimme, die folgende Worte spricht: „You're a happy, healthy cat! A happy healthy cat!“ Kirsten Niemann
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