Haushaltsentwurf in NRW: Rot-Grün-Rot am Rhein frustriert CDU
Trotz Angst vor Neuwahlen klagt die CDU gegen den Haushaltsentwurf 2011 in NRW. Den wird Rot-Grün durchwinken - auch dank der Linkspartei.
BOCHUM taz | Manchmal bricht der Frust aus dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag heraus: "In Wahrheit", sagt Karl-Josef Laumann dann, regiere in Nordrhein-Westfalen "gar keine Minderheitsregierung" aus SPD und Grünen - schließlich könne Rot-Grün "bei allen Abstimmungen auf die Linke zählen": Den Regierungsparteien fehlt am Rhein nur eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Enthalten sich nur zwei Abgeordnete der Linkspartei, werden aus rot-grünen Entwürfen Gesetze.
Erst am Sonntag dürfte Laumanns Frust einmal mehr gewachsen sein. Denn in Bochum votierte ein kleiner Parteitag der Linken schon wieder für eine Enthaltung der eigenen Landtagsfraktion: Die elf Parlamentarier sollen den am Mittwoch zur Abstimmung stehenden Landeshaushalt für das laufende Jahr durchwinken, beschloss der linke Landesrat.
Zwar warnte Linken-Landeschef Hubertus Zdebel, seine Genossen würden "schon jetzt als profillose Enthaltungspartei wahrgenommen". Doch in der Abstimmung setzte sich realpolitisch argumentierende Flügel um Landtagsfraktionschef Wolfgang Zimmermann und den Finanzexperten Rüdiger Sagel durch: Im Landtag fungiere die Linke als soziales Korrektiv von Rot-Grün. "Wir haben Studiengebühren abgeschafft und einen Einstieg in ein landesweites Sozialticket erreicht", argumentierte etwa der Ex-Grüne Sagel.
Doch mit dem Haushalt steht auch die parlamentarische Existenz der nordrhein-westfälische Linkspartei auf dem Spiel. Ohne funktionierenden Etat könne Rot-Grün nicht weiterregieren, hatten die Fraktionschefs beider Parteien, Norbert Römer und Reiner Priggen, immer wieder angedeutet. Zwei Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima aber müssen auch in NRW alle Parteien außer den Grünen Neuwahlen scheuen: Die Linkspartei würde wohl aus dem Landtag fliegen, die FDP ebenso. Die SPD müsste mit einem beinahe gleich starken Koalitionspartner regieren. Und die CDU wäre für die nächsten fünf Jahre in die Opposition verbannt.
Dabei hatten gerade die Christdemokraten lange auf Neuwahlen gesetzt: Sollte Rot-Grün keinen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen, werde seine Partei wie schon beim Nachtragsetat 2010 vor den NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster ziehen, tönte Nordrhein-Westfalens Landeschef Norbert Röttgen beim Landesparteitag im März. Und mit der Klage, tönte der Bundesumweltminister, "werden wir den Antrag auf Neuwahlen verbinden".
CDU scheut Neuwahlen
Zwei Monate später aber setzt der flotte Spruch des in NRW als "Teilzeit"-Oppositionsführer" verspotteten Röttgen seinen Statthalter Laumann heftig unter Zugzwang. SPD-Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjahns versucht zu sparen - und kann wegen der brummenden Konjunktur mit Mehreinnahmen von rund 1,2 Milliarden Euro rechnen. Trotzdem sieht sein 55,3 Milliarden Euro schwerer Etat 900 Millionen Euro mehr Schulden vor als von der Landesverfassung erlaubt. Ein "Dokument des Scheiterns" sei Walter-Borjahns Spar-Entwurf aber nicht, klagt CDU-Landesgeneral Oliver Wittke bereits - und fragt intern: "Wie sollen wir damit einen Wahlkampf führen?"
Zur versprochenen Verfassungsklage konnte sich die CDU-Landtagsfraktion deshalb am Dienstag erst nach langer Diskussion durchringen - die Angst vor dem vollständigen Gesichtsverlust war wohl zu groß. Wirklich ernst scheint es den Christdemokraten mit ihrer Klage aber nicht zu sein: Auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Richter in Münster den Etat blockieren könnten, wollen sie verzichten. Bis zu einer Entscheidung können damit Jahre vergehen.
Und von Neuwahlen will Laumann nach Fukushima erst recht nichts mehr wissen. "Wenn die Opposition uns nicht ablösen will, machen wir einfach weiter", freut sich Grünen-Fraktionschef Priggen bereits - Laumanns Frust dürfte wachsen.
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