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Hausbesuch Jens Philippi war Manager. Dann zog er mit seinem Freund Dennis Haug aufs Land. Jetzt haben sie Platz für Passionen und Visionen und – solange sie die hätten – auch keine Angst vor der Zukunft„Es kommen keine Frauen“

von Waltraud Schwab (Text) und Timo Vogt (Fotos)

Zu Besuch bei Jens Philippi (46) und Dennis Haug (29) in Konau – im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue

Draußen: Ein Dorf – 13 große Backsteingehöfte – alle denkmalgeschützt. Vor den Häusern liegt der Deich und dahinter die Elbe, hinter dem Haus ist bäuerliche Kulturlandschaft mit Bäumen, Zäunen, Äckern, Bächen. Raubvögel kreisen darüber.

Drinnen:„Unser Wohnzimmer ist noch Baustelle“, sagt Jens Philippi. Ohnehin ist die Werkstatt das Zentrum des Hauses. Hier lagert Filz in vielen Farben, hier sind Schneidetische und Nähmaschinen, hier arbeiten die beiden und die drei Angestellten. Auch Paula, die Hündin, legt sich gern an den Eingang. Hinter der Werkstatt ist die Wohnküche, in der alle, Angestellte, Gäste, Hausherren, Freunde frühstücken. Ein Kommen. Ein Gehen. Die Wand hinter dem Küchentisch ist mit Filzfliesen beklebt – Filzfliesen, das ist die neueste Idee von Dennis Haug.

Filz: Dennis Haug, Sohn einer Künstlerin, Enkel einer Schneiderin, ist in Ulm aufgewachsen. Er war auf einer Waldorfschule. „Da hab ich geschreinert, gefilzt, Kompost umgedreht.“ Berührung mit natürlichen Materialien schade niemandem, meint er. Filz, diese verdichtete Schafwolle, fand er toll. Um sein Designstudium zu finanzieren, begann er im Keller seiner Großeltern, Sachen daraus herzustellen. „Das Material ist so robust, so warm, so sicher, verlässlich, dauerhaft.“ Wer will kann in den Eigenschaften des Materials die Lebensphilosophie der beiden erkennen.

Luft: Haug ist der mit den vielen Ideen. „Ständig fällt ihm was Neues ein“, sagt sein Freund Jens Philippi, „und wenn wir eine Idee dann in Serie bringen, wird ihm langweilig.“ Er lacht, wohl aber klingt es wie das Ausatmen nach einem Langstreckenlauf. „Aber meine Ideen sind gut genug, damit Jens sie verrückt genug findet“, interveniert Haug. Schlaksig ist er, die Aura eines Nicht-von-dieser-Welt hängt ihm an. Er sucht das Dingliche im Ding. Er sucht das Schöne in dem, was ein Ding ausstrahlt, nicht im Ding selbst.

Erde: Anders Jens Philippi. „Ich bin der, der die Umsetzbarkeit der Ideen im Auge hat“, sagt er. In einem Dachziegelwerk in Ulm hatte er eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Innerhalb von 20 Jahren wurde die Firma Marktführer und er Manager des Marketings. „Ich war einer von den Überbezahlten“, sagt Philippi. „Ich habe mich immer gefragt, ob ich auch leisten könnte, was Verpackerinnen oder Leute an den Supermarktkassen leisten müssen.“ Seine Mutter war entsetzt, als sie erfuhr, dass er aufs Land ziehen will. „Ach, Bub, du hast doch so eine tolle Stelle“

Das Haus: Oft ist es Zufall, wenn sich jemand für ein Haus entscheidet. „Einzig“, meint Philippi, „wir haben uns erkundigt, wer im Dorf wohnt. Ob sie nach vorne denken oder zurück.“ Wichtig seien zudem Visionen. Solche, die etwas mit Luft und Erde zu tun haben, also der Werkstatt, dem Garten, den Früchten, den Gästezimmern, damit Menschen kommen können, wo sie schon so weit weg sind. Und dem Kino im Stall, damit auch jene kommen, die im Dorf wohnen. In zweieinhalb Jahren haben sie alles geschafft: Die Filz-Manufaktur auf feste Beine gestellt, das Haus umgebaut und aus dem alten Backhaus eine Ferienwohnung gemacht. Es gebe nicht mehr viele Existenzgründer, die wie sie von null auf hundert gingen. „Alleine schafft man das nicht.“ Aber selbst zu zweit, wann haben sie das alles gemacht? Sie wissen es nicht. Dann rechnet Philippi doch etwas vor: „Wir haben keinen Fernseher und kein Sofa. Das sind jeden Tag drei Stunden mehr Zeit.“

Das Dorf: Konau gehört zur Amtsgemeinde Neuhaus, die liegt rechts der Elbe. Historisch war es Teil des Gebiets links der Elbe. Nach dem Krieg war der Fluss jedoch die Grenze, das Gebiet fiel an die DDR, der Bezirk, und damit Familien, wurden getrennt. Auch der Zugang zum Fluss war verwehrt. Im DDR-Jargon war es „Sperrgebiet“ und „Freies Sicht- und Schussfeld“. In Nacht-und-Nebel-Aktionen wurden viele Elb-Anrainer gezwungen, die Häuser zu verlassen und sich anderswo anzusiedeln. So verbreitete das Regime unter den Bewohnern Angst. Nach der Wende wurde Amt Neuhaus wieder Niedersachsen angegliedert. „Es war ein Glücksgriff mit der Region. Die Leute sind hier aufgeschlossen“, sagt Philippi. Er denkt, es liege an der Geschichte.

Schwul auf dem Dorf:Philippi kommt selbst vom Dorf, einem in Hessen. Er weiß, was man tun muss, um in kleinen Gemeinden anzukommen. Als er die Nachbarn das erste Mal sah, ist er sofort auf sie zu, grüßte, sagte, was er und sein Freund tun wollen, lud ein. „Dennis dagegen würde sich lieber verkriechen.“ Auch hat Philippi sofort Aufgaben übernommen – eine Riesenvoraussetzung, um in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Philippi hat sich als Obstbaumwart gemeldet, für 80 Apfelbäume ist er jetzt zuständig, muss sie pflegen, im Herbst schneiden. Entlang der Alleen in der Amtsgemeinde Neuhaus stehen etwa 9.000 Obstbäume – sie sind Allmende, gehören allen. Man müsse Gemeinschaftsaufgaben übernehmen, wenn man dazu gehören will. In Erinnerung an Carl Valentin sagt er es so: „So fühlen wir uns als Fremde in der Fremde nicht mehr fremd.“ Am Anfang hätten, die Nachbarn öfters gefragt: „Wann kommen eure Frauen?“, erzählt Philippi. „Es kommen keine Frauen“, antworteten sie.

Neue Ideen: Selbstversorgung ist so eine Sache, an der sie arbeiten. Hühner, Gänse, der Garten ist groß genug. Und in der Werkstatt denken sie: Leder und Filz oder Beton und Filz – da müsste doch was zu machen sein. Pantoffeln faszinieren sie auch – aber sie müssten Kult werden. Es gibt jedoch ein Problem: „Wir wollen kein Großunternehmen werden. Dann hätte ich im alten Job bleiben können.“ Management sei immer aufs Große ausgerichtet, sie aber versuchten, überschaubar zu bleiben. Die Werkstatt bietet Platz für fünf Leute. Derzeit arbeiten die Angestellten halbtags. Ein wenig Raum für neue Ideen ist also noch. Mit Behindertenwerkstätten kooperieren sie bereits. Auch als Flüchtlinge im Nachbardorf untergebracht wurden, haben sie Arbeit angeboten. Sie baten aber darum, klar zu machen, dass sie schwul seien. „Die Frauen, die sich vorstellten, schauten uns nicht ins Gesicht. Sie schauten nur auf den Boden.“

Zukunft: „Ich habe keine Angst“, sagt Philippi. Irgendwie werde es weitergehen. „Wir leben einfach, und wenn der Luxus weg wäre, würde es auch gehen.“ Sie hätten so viel: einen Hof mit Platz für Passion.

Und Merkel, wie finden sie die? Sie mache was. Aber alle hauten nur auf sie drauf. Man könnte so viel erreichen, wenn man zusammenarbeite, meint Haug. „Merkel ist nicht laut, keine von diesen Marktschreiern. Die sind aber gerade sehr populär.“

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