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Hausbesuch In Sterup bei Flensburg hat man Sinn für Nostalgie. Seit über 90 Jahren betreiben die Henningsens dort die Tankstelle. Sie ist das Ein und Alles des Juniorchefs, der auch schon 74 istMit dem Herzen tanken

von Tobias Romberg (Text) und Willi Schewski (Fotos)

Zu Besuch bei Otto und Gisela Henningsen in Sterup in Schleswig-Holstein.

Draußen: In Sterup, nahe der Ostseeküste, liegt der Hund begraben. Es riecht nach Dung, der Straßenverkehr hält sich in Grenzen. Die Häuser sind schmal und alt, in die Jahre gekommener roter Klinker. Otto Henningsen kann zu jedem Gebäude eine Geschichte erzählen und Geschichtenerzählen ist sein Steckenpferd. Ihm und seiner Frau gehört die wahrscheinlich älteste Tankstelle Deutschlands.

Drin: Die Königin der Nacht hatte im vergangenen Jahr 16 Blüten, erzählt Gisela Henningsen, Ottos Frau. Die Königin der Nacht ist ein Kaktus. Sie steht, in beachtlichem Ausmaß, auf der Fensterbank des kleinen Kassenhäuschens der Tankstelle. Es ist nicht der einzige Kaktus hier. „Dank des grünen Daumens meiner Frau“, lobt Otto Henningsen. „Leider sehen wir die Blüten fast nie“, ergänzt seine Frau. Denn die Königin der Nacht blüht nur nachts. Da ruht diese Tankstelle. Ebenso wie der 74-jährige Inhaber und seine 70-jährige Gattin. Sind sie aber wach, leben sie für die Tankstelle, die kaum konkurrenzfähig ist. Der Sprit ist hier meist zu teuer, der Shop viel zu klein. „Doch manchmal tanken die Menschen auch mit dem Herzen“, sagt Henningsen.

Das Laster: Otto Henningsen steht in einer Halle neben dem kleinen Kassenhäuschen, die mal als Werkstatt diente, und raucht eine Zigarette – „mein einziges Laster“. Er ist kernig, gesund, mit sich im Reinen. „Jetzt gehen wir rein und dann erzähle ich alles“, sagt Henningsen, drückt die Zigarette aus und geht los, einmal durch das kleine Kassenhäuschen, seine Frau grüßend („Moin“), die gerade einen Kunden abkassiert, durch eine kleine Tür in einen kleinen Flur.

Die Tankstelle: Otto Henningsen biegt vom Flur links ab und steht in seinem Wohnzimmer. Schwere Holzmöbel, ein Sofa wie man es von Oma und Opa kennt, tiefe grüne Sitzpolster, wunderbar bequem. Otto Henningsen serviert Cola und holt dann sein Fotoalbum. Es wird ein langer Nachmittag. „Älteste Tankstelle“ ist die Überschrift eines Artikels aus einer Lokalzeitung: „Seit 1924 gibt es in Sterup eine Tankstelle. Sie wird noch immer privat geführt. Die Zapfsäulen sind modern und entsprechen neuestem Standard. Aber der Kassenraum der Tankstelle in Sterup hat einen nostalgischen Charme und erinnert an die guten alten Zeit“, steht in dem Artikel. Otto Henningsen ist glücklich, wenn er solche Artikel zeigen kann. Dann holt er weit aus. „Viele inhabergeführte Kleinbetriebe hier bei uns verschwinden, die Bäckereien, die Schlachtereien, die Postämter. Wir aber nicht.“

Wie es anfing: Die Tankstelle mit Werkstatt wurde 1924 von Otto Henningsen senior, geboren 1904, gelernter Maschinenbauer, gegründet. „Den Beruf des Automechanikers gab es damals noch gar nicht“, erzählt Otto Henningsen. Pferdeschmiede und Landmaschinenmechaniker hätten sich um die ersten Fahrzeuge gekümmert. Kaum jemand konnte sich ein Auto leisten. „Mein Vater hatte damals auch immer einen Eimer Wasser draußen stehen“, erzählt er. Nicht, um es Kunden zu ermöglichen, Scheiben oder das Fahrzeug zu säubern, sondern um den Durst von Pferden einer Kutsche zu stillen. Die Henningsens hielten sich mit solchen Kniffen irgendwie über Wasser, auch in den Kriegs- und Nachkriegsjahren, als Ottos Vater an der Front und in Gefangenschaft war.

Auf in den Süden: Otto Henningsen junior ist in Sterup geboren. Eine Zeitlang wohnte er aber auch in der Schweiz. Kaum vorzustellen, dass das „Nordlicht“ dort klar gekommen ist. Klingt so, als würde man die Königin der Nacht aus dem warmen Kassenhäuschen holen und in die Kälte und den Wind stellen. Und irgendwie war es auch so. Henningsens Mutter hatte die Tankstelle während der zehnjährigen Abwesenheit seines Vaters geführt. Nach der Rückkehr des Vaters 1949 ist die familiäre Situation dann nicht immer einfach. Auch deswegen sucht Otto Henningsen, als er volljährig wird, das Weite. Er zieht in die Schweiz und arbeitet für AMAG, die Auto Montage Aktien Gesellschaft in Bad Schinznach im Kanton Aargau. Eine schöne Zeit, sagt er und erzählt von heiteren Fahrten mit fescher weiblicher Begleitung durch Schweizer Landschaften.

Zurück in den Norden: In der Heimat boomt währenddessen aufgrund der Mobilisierung und Motorisierung das Tankstellengeschäft. Nicht nur das von Otto Henningsen senior – in den 1950er Jahre gibt es in dem beschaulichen Ort Sterup zeitweise bis zu fünf Tankstellen. Als Otto Henningsen senior stirbt, kehrt der Sohn in die Heimat zurück. Ihm ist klar, dass er nun das Ruder übernehmen muss. So wird er 1968 Chef der „ältesten Tankstelle Deutschlands“. Stets wird er dabei von seiner Frau Gisela unterstützt, die er nach seiner Rückkehr an die Ostsee beim Tanzen kennenlernte.

Der Konkurrent: Vielleicht muss sich Henningsen den Titel „Älteste Tankstelle in Deutschland“ doch mit Manfred Milz teilen. Der betreibt in einem Hinterhof in Essen eine Tankstelle, die ebenfalls 1924 gegründet wurde. Ein Schild prangt dort an der Einfahrt mit der Aufschrift „Älteste Tankstelle Deutschlands“, ein Banner mit selbiger Ansage überragt die Einfahrt. Manfred Milz ist der Adoptivsohn des Sohnes des Gründers der Essener Tankstelle. Manfred Milz in Essen und Otto Henningsen in Sterup wissen, dass sie heute echte Raritäten sind. Und beide wissen, dass sie in Zeiten von Rationalisierung und anderen kapitalistischen Feinheiten einen schweren Stand haben. „Ich bin eine aussterbende Spezies“, sagt Henningsen.

Beständigkeit: Viele im Ort halten Henningsen und seiner Frau dennoch die Treue. Zahlreich waren die Gratulationen zum 90-jährigen Tankstellenjubiläum. Stolz zeigt der Tankwart ein Schreiben von Freunden aus Italien und weitere historische Fotos aus seinem Album. Die Fotos zeigen die Tankstelle in ihren unterschiedlichen Outfits. Standard war die Marke vor dem Krieg, dann kam das Kleid von Esso. „Als ich die Tankstelle von meinem Vater übernommen habe, haben wir erst einmal einen Schnitt gemacht. Unter meinem Vater war es normal, dass ein Motorradfahrer nachts klingelte, meine Mutter aus dem Bett sprang und den Kunden mit Kraftstoff versorgte. Das haben wir geändert“, erzählt er. Feste Öffnungszeiten habe er damals eingeführt. Heute hat die Tankstelle täglich von 7 bis 19 Uhr geöffnet. Danach ist Königin-der-Nacht-Zeit.

Was macht Otto Henningsen wirklich glücklich? „Meine Frau und freundliche Kunden.“

Und was hält er von Merkel? „Als Frau oder als Politikern?“ er lacht. „Im Ernst: Ich finde sie überwiegend sehr gut, bin ja auch konservativ angehaucht, war jahrelang in der CDU.“

Sie wollenauch besucht werden? Bitte schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

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