piwik no script img

Hausbesuch Im Wendland nennen John F. Workman, den Ex-GI, den partyfreudigen Limonadenerfinder, den Charmeur und Flüchtlingshelfer, alle nur „Johnny“. Einer wie er bringt Lebensfreude ins abgelegene DorfEin Wendländer, der die Welt umarmt

von Simone Schmollack (Text) und Timo Vogt (Fotos)

Gartow, ein Dorf mit ungefähr 1.400 EinwohnerInnen im Landkreis Lüchow-Dannenberg, der als „das Wendland“ bekannt ist. Zu Hause bei dem Amerikaner John F. Workman, 70, den hier alle nur „Johnny“ nennen. Er serviert warmen, selbstgebackenen Cheesecake und Gurkenlimonade. Seine Frau Ulrike ist einkaufen.

Draußen: Ein unscheinbarer, zweistöckiger Backsteinbau mit Spitzgiebel, einem hölzernen Eingangstor und tiefen Fenstern, in denen Orchideen blühen. Hinter dem Haus ein Garten, der sich bis zur Uferpromenade des Gartower Sees erstreckt.

Drinnen:Offene Wohnküche in milden Farben: rosa, hellblau, lindgrün. Auf dem Küchenschrank Glaskaraffen, Vasen, Gläser, Obstschalen, eine Glasvitrine voller Geschirr. An den Wänden Naturmalereien, ein Poster mit Chilis und Peperonis. Im angrenzenden Wohnzimmer eine weiße Couch, weiße Schwingsessel, Sideboards. Zwei Uhren zerhacken die Zeit.

Was macht er: Für den Biosaftproduzenten Voelkel (im Nachbardorf um die Ecke) neue Geschmackssorten entdecken. Dafür reist er durch die Welt – auf der Suche nach dem ultimativen Fruchtkick. Den Cranberry-Saft zum Beispiel, den hat er in den USA entdeckt. Auch Säfte mit Algen. Das eukaryotische Wasserlebewesen soll ja aufgrund ungesättigter Fettsäuren und Betacarotinen ungeheuer gesund sein. Demnächst soll es bei Voel­kel einen Energydrink geben. „Als ich vor vielen Jahren in den Staaten das erste Mal einen Energydrink probiert habe, habe ich zu den Voelkel-Chefs gesagt: Das schmeckt super. Macht das auch. Aber Bio.“

Was macht er noch: Ehrenamtlich betreut er acht Flüchtlinge, darunter eine vierköpfige Familie aus Somalia (im Haus nebenan). Das jüngste Kind, jetzt gut neun Monate alt, wurde im Wendland geboren. Er begleitet die MigrantInnen zum Arzt und zum Jobcenter, besorgt ihnen eine Rechtsanwältin und einen Psychologen. Kindern bringt er Schwimmen bei. „Ein Junge hat das in sechs Tagen gelernt.“ Er redet viel mit den Flüchtlingen – damit sie schnell Deutsch lernen. „Über alle Themen: Haushalt, Liebe, Krieg. Und natürlich über Sex.“ Über Sex? Real­ly? „Klar.“

Johnny: Der American Boy hatte in Kalifornien eindrucksvolle Lehrer: den Vater von Frank Zappa, dem Rockmusiker, und Michael Crichton, den Erfinder von „Jurassic Park“. Die beiden wohnten in Johnnys Nachbarschaft. Er drehte einen Kurzfilm mit George Lucas, dem „Star Wars“-Regisseur. So hätte es weitergehen können mit Johnnys Karriere. Aber dann will ihn die US-Army in den Sechziger Jahren in den Vietnamkrieg schicken. Das lehnt Johnny ab – und lässt sich als GI ins Wendland versetzen. Da hockt er mit 80 anderen jungen „Amis“ auf der westlichen Seite der Elbe und soll die Grenze zur DDR bewachen. Die Grenze ist den jungen Männern relativ egal, sie schmeißen lieber jede Menge Partys. Und das Geld aus dem Fenster für teure Autos, Alkohol, Drogen, Sex. Johnny verliebt sich in eine Deutsche. Ein großer Spaß. Bis eine junge Frau bei einem Unfall ums Leben kommt. Daraufhin müssen einige Soldaten zurück in die Staaten, auch Johnny.

Zurück in den USA:Er studiert Biochemie und Deutsche Literatur. Er liest Heinrich Böll und Günter Grass. Bald bekommt er einen Brief von seiner deutschen Freundin: „Ich bin schwanger.“ Die beiden heiraten in den USA, leben dort ein paar Jahre – und kehren zurück ins Wendland, in das Haus, in dem sie heute noch wohnen.

Wendland für immer: Johnny und Ulrike bekommen drei Kinder, Johnny arbeitet als Bademeister, Englischlehrer, Footballtrainer und und und. Er reist durch die Welt und macht den American Football in Deutschland populär. Die WendländerInnen sagen immer öfter zu seiner Frau: „Ich habe deinen Mann im Fernsehen gesehen.“ Sie antwortet: „Da siehst du ihn öfter als ich, ich habe nicht ferngeschaut.“ Irgendwann hören die GartowerInnen auf, sich über den durchgeknallten Ami zu wundern. Bis auf einmal. Da fährt Johnny mit einem amerikanischen Auto vor. Das Kennzeichen: G-A-R-T-O-W.

Kulturschock: Schon als junger GI isst Johnny gern Salat. „Aber die Deutschen damals kannten keine Salatsauce.“ Er lässt sich Zutaten für eine Kräutersoße besorgen – und bringt den WendländerInnen bei, wie man ein würziges Dressing macht.

Der Alltag: Sein Engagement für die Flüchtlinge hat sich weltweit herumgesprochen. „Die Leute rufen aus dem Ausland an und wollen wissen, was sie machen sollen.“ Einmal hatte er eine Frau aus Indonesien am Telefon, die ihn bat, ihrer Familie zu helfen, nach Deutschland zu kommen. Danach telefonierte er mit dem Auswärtigen Amt in Berlin und mit der Unesco in Paris. Solche Aktionen gefallen nicht allen Leuten im Wendland. „Willkommenskultur wird hier großgeschrieben im alternativen Milieu. Da wollen viele mitmachen. Und sich gegenseitig übertrumpfen: Ätsch, ich mache mehr als du.“

Was denkt er: „Als ich das erste Mal herkam, war es nicht leicht für mich. Ich war der fremde Soldat, einer von denen, die das biedere Leben hier komplett infrage stellten. Das wurde nicht besser, als ich das zweite Mal herzog – und blieb. Einen Job als Biochemiker fand ich nicht, also machte ich alles, was sich anbot. Und ich sagte immer: Ich kann das und das und das, auch wenn ich es nicht gelernt habe. Das war nur schwer zu verstehen für Leute, die immer in dem Beruf gearbeitet haben, den sie mal gelernt hatten: Bauer, Techniker, Friseurin.“

Was folgt daraus: Johnny will, dass die Flüchtlinge es heute leichter haben als er damals. Neulich sprang er einem Syrer bei. Der war den zweiten Tag nicht zur Arbeit bei Voelkel gekommen, keiner wusste, was los war. Johnny hat bei ihm geklopft. Der Syrer leidet an einer Muskelstörung, er konnte seine Arme und seine Beine nicht bewegen. Johnny hat zu ihm gesagt: „Kein Problem, aber du musst das sagen. Dafür wirst du hier nicht erschossen. Und auch nicht arbeitslos.“

Wie finden Sie Merkel: „I love her! Für das, was sie für Flüchtlinge getan hat. Flüchtlinge machen das Leben im Wendland bunter, reicher. Aber Merkel tut mir auch leid. Als Bundeskanzlerin muss sie häufig ihren Humor verstecken. Und ich fürchte, ihr fehlen Umarmungen. Jeder Mensch braucht körperliche Berührung. Wenn ich einen Wunsch hätte, würde ich Merkel umarmen.“

Wann sind Sie glücklich: „Wenn ich jemandem helfen konnte, glücklich zu sein. Und wenn ich einen neuen Geschmack für einen neuen Saft gefunden habe.“

Sie wollen auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen