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Hausbesuch Foto Hotter in Marktoberdorf geht bald in die fünfte Generation. Marianne Herbst, dritte Generation, steht auch immer noch hinterm Tresen und redet darüber, was heute anders ist als früherSie wäre gern noch in den Iran gereist

von Sarah Bioly (Text) und Peter Herbst (Fotos)

Zu Besuch bei Marianne Herbst (81) in Marktoberdorf im Allgäu. Die Fotografin arbeitet immer noch im Fotogeschäft, das sie von ihrem Vater und Großvater übernommen hat. Herbsts Sohn und ihre Enkelin sind dabei, den Staffelstab zu übernehmen.

Draußen: Der Morgennebel hängt über dem Städtchen im Allgäu. Touristen auf dem Weg zum Schloss Neuschwanstein durchfahren den Ort, in dem, wie in vielen Kleinstädten, der Einzelhandel verschwindet. Die Familie, die seit Generationen das Fotogeschäft betreibt, stemmt sich gegen den Trend. 130 Jahre ist das Haus gegenüber dem Bahnhof mit den steinernen Stufen vor dem Eingang alt.

Drinnen: Marianne Herbst steht hinter der Ladentheke. Seit 81 Jahren lebt sie in der Stadt. Ihre Wohnung ist über dem Geschäft, in dem es von alten Filmrollen bis zu digitale Spiegelreflexkameras alles zu kaufen gibt. Fast alles. Ein Kunde will einen Akku mit abgerundeten Ecken, den er für seine alte Kamera braucht. Da muss Marianne Herbst passen. Die Frau mit dem zum Dutt hoch gesteckten, schlohweißen Haar, die gern sagt, was sie denkt: „Rentner sind so stur. Wir können doch nicht jede Kleinigkeit auf Lager haben.“

Herbst und ihre Familie: Foto Hotter heißt der Laden – Hotter ist ihr Geburtsname. Herbst freut sich, dass ihre Enkelin Katrin, die gerade den Meister als Fotografin macht, sich fürs Fotogeschäft interessiert. Ein Bild im Arbeitszimmer zeigt Katrin als Baby, wie sie mit einer Kamera spielt. „Bei mir war das anders“, sagt Marianne Herbst, „ich hatte keine Wahl.“ Sie hätte gern Chemie studiert – aber das Studiengeld galt zu ihrer Zeit für ein Mädchen noch als herausgeschmissen. „Eine Frau heiratet irgendwann“, so dachte man damals, sagt Herbst: „Mit 13 war ich schon unserem Lehrling versprochen. Gott sei Dank hat das nicht geklappt. Jetzt ist er Diakon. Ich und Religion.“ Sie winkt ab. Später wurde die Fotografie doch zu ihrer Passion. Bis nachts um elf saß Herbst oft im Fotolabor, entwickeln, retuschieren, „das war noch richtige Handarbeit“, meint sie.

Das Alte: Zu Zeiten von Herbsts Großvater war das Fotografieren ein Nebenverdienst. Damals verkaufte Joseph Hotter Tabak und Süßigkeiten an die Bahnreisenden, um über die Runden zu kommen. Inzwischen wurde aus der Dunkelkammer neben dem Fotostudio ein Abstellraum. Die Entwicklertanks stehen – bedeckt von einer Staubschicht – im Keller. Im Erdgeschoss zeugt das Waschbecken mit den Furchen noch von den Chemikalien, mit denen Fotos entwickelt wurden. Heute ist es wieder schwierig, als Fotograf genug zu verdienen. „Jeder denkt, dass er selber Fotos machen kann“, meint Herbst: „Mit einer Digitalkamera lassen sich ja auch billig viele Fotos schießen.“

Das Neue: Fast wöchentlich beobachtet Herbst vom Tresen aus, wie im Hotel gegenüber chinesische Reisegruppen absteigen. Mit Selfie-Stick und Smartphone erkunden sie die Welt. Kopfschüttelnd erzählt Marianne Herbst: „Anstatt ein paar Schritte vorzugehen und die Person in Großaufnahme zu fotografieren, haben sie rechts und links noch die abgeschnittenen Autos mit auf dem Bild.“ Ihr Blick wandert zum Bahnhof: „Manchmal entdeckt einer von den Chinesen den Hügel, von wo man eine gute Aussicht über die Stadt hat und zieht alle anderen mit über die Straße. Irgendwann wird da mal einer überfahren.“ Momentan ist der Platz vor dem Fotogeschäft allerdings leer, und Marianne Herbst verschwindet zu den anderen ins Arbeitszimmer, wo sie ihr Bluthochdruckmessgerät – ein Erbstück – holt. „300“, sagt sie, „das kann jetzt wirklich nicht sein. Ha, da wär ich doch tot.“ Dann geht sie in die Küche. „Heut hab ich Küchendienst. Tomatensalat gibt’s.“

Auf dem Laufenden: Am Nachmittag kommen ein Mann und seine Freundin in den Laden. Weil sie kaum Deutsch sprechen, erklären sie mit Händen und Füßen, dass sie Passbilder brauchen. Seit sechs Monaten lebt der Mann hier, findet Herbst heraus und versucht mit ihm über Erdoğan zu diskutieren: „Ihr habt da unten ganz schön viele Probleme.“ Der Mann nickt verständnislos. „Ich bin mit einer Kurdenfamilie befreundet. Die leben zum Glück in Deutschland. Wie da mit denen umgegangen wird, da läuft einiges schief.“ Wieder verständnisloses Nicken. Kaum hat der Mann die Passbilder in der Hand, bedankt er sich überschwänglich und geht. Herbst schaut den beiden nach. Erst vor Kurzem war ein Flüchtling aus Syrien bei Foto Hotter. Herbst hat ihn über Aleppo befragt und war schockiert, was er berichtete.

Schicksal: „Mein Mann war auch Flüchtling“, erzählt sie, „und mein Vater war im Krieg in Rumänien. Damals war ich vier und meine Mutter musste beim Fendt, wo Traktoren gebaut werden, arbeiten.“ Während der Nazizeit hatte Foto Hotter geschlossen. Auch nach dem Krieg dauerte es, bis es wieder eröffnet wurde. Herbsts Vater war in Gefangenschaft, die Amerikaner hatten sich bei ihnen einquartiert und ihr Großvater wurde pflegebedürftig. „Damals sagte meine Mutter immer zu mir: ‚Du musst mehr lachen Kind‘ “, erzählt Marianne Herbst.

Das Herz auf der Zunge: Immer noch schweift Herbsts Blick über die Straße vor ihrem Geschäft, bis ihr der volle Aldi-Parkplatz auffällt. „Heute ist Aldiotentag“, meint sie trocken: „Die ganzen Verrückten kaufen Sachen, die sie eigentlich nicht brauchen – nur weil es sie günstiger gibt.“ Mit ihrer Meinung hält Marianne Herbst nicht hinterm Berg: „Ich muss nur aufpassen, dass ich in kein Fettnäpfchen trete“, flüstert sie.

Reisen: Im Geschäft arbeitet Herbst noch, um die fünfköpfige Familie zu entlasten. Ihr Hobby: der Kundenkontakt. Die meisten Leute kennt die Allgäuerin mit Namen – auch wenn ihr Gedächtnis nicht mehr das Beste sei, wie sie sagt. Sie spüre ihr Alter. Vor einem Vierteljahrhundert noch war sie oft auf Reisen. In Amerika, im Orient. In China hat sie die Ausgrabungen der Terrakotta-Armee mit ihrem Mann besichtigt und sich hinter seinem Rücken versteckt, um heimlich Fotos zu machen. Eigentlich wollte sie auch noch in den Iran, doch die Krankheit und der Verlust ihres Mannes kamen dazwischen. „Es ist schwer, jemanden zu verlieren, der so gut zu einem passt“, sagt sie. „Wir haben immer stundenlang diskutiert.“ Zum Geburtstag hat sie von ihrer Enkelin einen Bildband geschenkt bekommen – mit Fotos über den Iran. „Ich sage immer zu Katrin“, erzählt Herbst, „lass einfach alles auf dich zukommen. Am Ende kommt es sowieso anders, als du denkst.“

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