Hausbesetzung als Theater: Wiedersehen im Schizzo-Tempel
Der "Theater Techno Tempel" erzählt vom Leben in der Ostberliner Hausbesetzerszene Anfang der 90er - an einem originalen Ort. Es ist laut wie früher.
Das muss natürlich vorab gesagt werden. Falls jemand aufs Klo muss, bitte da hinter dem Vorhang. Und nicht zu lange, ihr wisst schon, es gibt nur zwei. Es gibt auch ein Awarenessteam. Die Leute am Tresen wissen Bescheid. Und jetzt müsst ihr die Kopfhörer aufsetzen. Kopfhörer? Silent Disco? Echt jetzt?
Angekündigt war nichts weniger als die Wiedereröffnung des legendären Schizzo-Tempels, der in den 90er Jahren lautstark für Furore gesorgt hatte. Am Originalort: In der Rigaer Straße 77, einem der damals vielen besetzten Häuser im Friedrichshainer Nordkiez.
Aber hey, die Zeiten ändern sich. Und es ist ja auch keine echte Wiedereröffnung. Nur eine inszenierte - vom "Theater im Kino". So erklären junge Schauspieler:innen auf einem Holzpodest am Sonntag Abend erstmal die Regeln. Damit es keinen Ärger mit den Nachbarn gibt. Aber dann setzt doch noch der Bass ein. Kurz. Man hat die Nachbar:innen gefragt. "Geil", sagt ein Besucher und zuckt.
"Theater Techno Tempel" heißt das Stück, das die Laiengruppe mit Dramaturg Paul Marwitz-Seyffert, Schauspieler:in Jonin Herzig und Regisseur Richard Haufe-Ahmels in einem Workshop entwickelt hat. Es erzählt vom Leben vom Streiten, vom Kämpfen in der Ostberliner Hausbesetzerszene Anfang der 90er Jahre.
Eine andere Welt, weit weg
Fast alle Mitwirkenden sind deutlich zu jung, um die Zeit damals miterlebt zu haben. Nur der Typ hinterm Tresen, der "Zeitzeuge", war schon damals aktiv. Aber als gefragt wird, wie es denn so gewesen war im Schizzo, da weiß er auch nicht weiter. "Ich war nicht im Schizzo!", ruft er laut durch den Raum. Er war Besetzer in Mitte. Das war weit weg, eine andere Welt.
„Theater Techno Tempel“ vom Theater im Kino wird nochmal an einigen Tagen Mitte Januar gespielt. Bisher waren alle Vorstellungen ausverkauft. Tickets gibt es über die Homepage der Gruppe.
Diese andere Welt stellt die Truppe als eine Art Collage dar. Mal flimmern Bilder von der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße vor genau 35 Jahren über die Wände, mal Interviews mit Menschen, die das alles wirklich erlebt haben. Mal erinnern sie an die Basisdemokratie in den herrschaftsfreien Räumen, mal an das Konsensprinzip, das nur dafür sorgte, dass die Recht bekamen, die bei den Plena am längsten durchhielten. Männer. Jedenfalls nicht die Frauen mit Kindern.
Paul Marwitz-Seyffahrt zog erst Jahrzehnte nach den Besetzerjahren nach Berlin. Was ihn an den alten Geschichten interessierte? "Die Freiräume werden weniger in der Stadt", sagt der Dramaturg. Da habe er wissen wollen, woher die wenigen, die es noch gibt, eigentlich kommen. Und dann habe er die Bilder von der Mainzer-Räumung gesehen. Das prägt.
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AK KRAAK – Räumung der Mainzer Straße
Am Ende des Stücks steht die Frage, was von den 90ern eigentlich geblieben ist? "Techno und Ramstein! Denkt mal drüber nach!", ruft einer. Aber dann wird doch noch getanzt zum wummerden Bass. Bis ein Nachbar kommt.
Draußen wartet die kalte Novembernacht. 100 Meter runter über die Silvio-Meier-Straße sind es nur bis zur Mainzer. Da wo vor 35 Jahren die Polizei mit Räumpanzern in die Straße drang. Nichts erinnert hier daran.
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