: Hatscha kaum Allohol!
■ In Bremer Adern fließt seit 1.000 Jahren Bier / Das Überseemuseum widmet sich in einer feuchtfröhlichen Sonderausstellung dem heimischen Traditionsgesöff
Kann eine Stadt – sagen wir: Bremen – darauf stolz sein, seit 1.000 Jahren „Bierstadt“ zu sein? Anonyme Alkoholiker würden die Frage verneinen. Eltern heranreifender Kinder ebenfalls. Weimarbesucher, die gerade von besoffenen Neonazis eins übergezogen bekommen haben, auch. Nur Italiener, die derzeit mit ihrem Wein die Blumen gießen und stattdessen Bier hip finden, würden ja sagen. Das bierstädtische Überseemuseum, das uns gern mit herstellernahem Ausstellungen zum Thema „Bremer Handelsgüter“ verwöhnt (bisher: Tee, Wein; demnächst: Schokolade), zeigt jetzt unter dem sperrigen Titel „Bremer Bier löscht weltweit Durst“ eine Sonderausstellung. Sponsor ist Siewissenschon.
Nun zieht Bier nicht nur Nacktschnecken magisch an, sondern merkwürdigerweise auch allerlei Sammlernaturen. Deshalb läßt sich eine Bierausstellung leicht mittels Bierdeckeln, Biergläsern und Bierflaschenöffnern bewerkstelligen, und genau das tut das Überseemuseum. Also erfährt man, daß Biergedönssammler so verrückt sind, in der Nähe alter Brauereien liegende Mülldeponien durchzuwühlen, um alte Bierflaschen zu finden.
Zweitens besitzen Firmen wie Siewissenschon alten technischen Krempel wie Flaschenputzmaschinen und eine Bierbude, die mal 1890 im Bürgerpark gestanden haben soll. In dieser Bude wird Siewissenschon-Bier an die Ausstellungsbesucher ver- und ausgeschenkt. Sowie Brot, das mit Bier und Brauereiabfällen gebacken wurde. Und eine kalte Biersuppe. Kalte Biersuppe:
Altes geriebenes Schwarzbrot wird zusammen mit reichlich gewaschenen und aufgekochten Korinthen ohne die Brühe mit Zimt, Zitronenscheiben und nicht bitterem Bier vermischt. Das ganze mit Zucker abschmecken. Schmeckt grauenhaft, ist nahrhaft.
Man sucht in der Ausstellung vergebens nach einer Telefonnummer der Anonymen Alkoholiker. Man sucht auch vergebens nach einer Ausschweifung mit dem Thema: Flasche oder Dose – was ist ökologischer? Dafür gibt es einen Sternenhimmel, der besteht aus 286 Sternen, und auf jedem Stern ist der Name einer der 286 Bierstädter Brauerein vermerkt, die es 1550 in Bierstadt gab. Die Zahl der Bierstädter Brauereien nahm dann aber doch erheblich ab, so daß es heute nur noch eine gibt, eben Siewissenschon. Siewissenschon hat im Foyer des Überseemuseums Stände für den kommerziellen Bierausschank aufgebaut.
Dann gibt es noch Kunst zum Thema Bier. Zum Beispiel entsetzliche Aquarelle einer total netten Frau, die einer Hallertauer Hopfenbauerfamilie entstammt, was wieder milde stimmt. Zwei Bremer Künstler fertigten darüberhinaus lebensgroße Figuren an, die man für witzig halten könnte oder sogar mahnend. Ein besoffener Punk. Ein flaschenhaltender Unterschichtsangehöriger vor dem Fernseher. Biermarke nicht Siewissenschon. Um Gottes willen!
Manchmal wird innerhalb der Ausstellung mit zahlenden Gästen (140 Mark) Bier gebraut. Dafür stellt die Rostocker Firma Braxonia-Mikrobrauereien eine Mikrobrauerei zur Verfügung. Das wird bestimmt „feuchtfröhlich“. Und jetzt noch drei Highlights:
Am 14.10., 20 Uhr räumt endlich der Berliner Professor Hoffmeister mit zwei Vorurteilen auf: „Der ewige Mythos vom dickmachenden und ungesunden Bier – Vortrag speziell für Ärzte und Apotheker.“
Während der Ausstellung begleiten den Besucher rieselnde, klirrende, murmelnde und maschinenartige Geräusche, wobei es sich um ein hübsches Sounddesign von Lou Simard (Shakespeare Comp.) und Ingo Ahmels (dacapo) handelt.
Wer sich wirklich und echt für die Kulturgeschichte des Bierkonsums interessiert, greift mit Gewinn auf ein Buch mit dem schönen Titel „Bier“ zurück, welches eine Dr. Lydia Niehoff zusammengestellt hat, und diese wiederum hat über das Thema „Bier“ promobiert. BuS
geöffnet Di.-So. 10-18 Uhr
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