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■ Hat Ignatz Bubis wirklich versagt? Aber nein. Das offiziöse Deutschland hat dem verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden ein Wochenende lang routiniert Absolution erteilt. Es sollte lieber sein Vermächtnis ernst nehmen  Von Christian SemlerDeutscher Hofjude wollte er nie sein

Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, eine Beruhigungsformel, auf die sich das offiziöse Deutschland der Nachrufverfasser für Ignatz Bubis am letzten Wochenende geeinigt hat, dann ist es die vom „deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens“.

Diese Formel hat den strategischen Vorteil, von Ignatz Bubis selbst zu stammen. Ihr ständiger Gebrauch soll uns suggerieren, Bubis als Mensch und als gewählter Vertreter der jüdischen Deutschen habe sich als „normaler“ Deutscher inmitten der deutschen „Normalität“ gefühlt.

Nur diese Normalität habe er einklagen wollen gegenüber offenen und mehr noch versteckten Versuchen, ihn auf seine Andersartigkeit, auf seine Rolle als Jude in Deutschland festzulegen. Schließlich sei es ihm vor allem darum gegangen, jeder Form der Ausgrenzung und Selbstausgrenzung entgegenzutreten.

Sogar vom „Patrioten“ Bubis war die Rede, kaum dass er am Freitag 72-jährig in einem Frankfurter Krankenhaus gestorben war. Ein Patriot, der sich in seinem richtig, also demokratisch verstandenen Deutschsein nicht nur von den eiligen Verkündern eines gedächtnis- und erinnerungsfreien neuen Deutschland abgesetzt habe, sondern auch von dem universellen Verdacht, der der deutschen Demokratie nach jedem neuen Brandanschlag der Rechtradikalen international entgegenschlage.

Der berühmte Auftritt Bubis' 1992 in New York, als er mit seinem „Deutschland brennt nicht“ auf dem Unterschied zwischen der Berliner und der Weimarer Republik insistiert hatte, wird als Prunkstück dieser Art von Argumentation verwendet.

Bubis' kurz vor seinem Tod geäußerten tiefen Zweifel, ob er mit seiner Arbeit irgendetwas erreicht habe im Verhältnis der nichtjüdischen zu ihren jüdischen Mitbürgern, wird vor diesem Argumentationsmuster nur als Ausdruck krankheitsbedingter Depression verstanden. Und auch sein Wunsch, in Israel begraben zu werden, wird nicht als das genommen, was er ist: die Sorge vor der Schändung seines Grabes, sondern als Provokation, die eigentlich so nicht gemeint war.

Tatsächlich war Ignatz Bubis jahrzehntelang in die deutsche Realität eingetaucht. Er tat dies um den Preis des Verdrängens, wie er es selbst in den letzten Jahren seines Lebens formulierte. Einmal, so schreibt er in seiner Autobiografie, habe er mit seiner Tochter über die Unmöglichkeit gesprochen, der Wirklichkeit der Todeslager filmisch beizukommen. Aber das, fügt er hinzu, war es dann auch.

Wie mancher seiner Altersgenossen war Bubis, nachdem er in Czestochowa 1945 von der Sowjetarmee aus einem Arbeitslager befreit worden war, in Deutschland hängengeblieben. Er schlug sich durch, begann Geld zu verdienen, gründete eine Familie. Von Zeit zu Zeit liebäugelte er mit dem Gedanken, nach Paris zu gehen. Aber schließlich wurde Frankfurt zur Heimat, wo er sich in der Jüdischen Gemeinde und politisch bei den Liberalen organisierte. Mehr als dieses Wort „Heimat“ war in Sachen „Deutschsein“ nicht aus ihm herauszuholen.

Und welch ein prekärer Ort war diese Heimat Frankfurt! Der Immobilienhändler Bubis musste in den siebziger Jahren die Erfahrung machen, dass der – an sich legitime – Kampf der Linken gegen die Häuserspekulation im Ortsteil Westend sich nicht an den großen Banken festmachte, nicht an der Firma Hochtief, die im Zweiten Weltkrieg massenhaft Zwangsarbeiter beschäftigt hatte, sondern an Leuten wie ihm, dem dagebliebenen Juden.

Ihm schlug verdeckter Antisemitismus entgegen, das erste Mal beim Häuserkampf, das zweite Mal bei den Auseinandersetzungen um Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Als er in Frankfurt den Kampf gegen die Rechtsradikalen aufgenommen hatte, war deren Antisemitismus für ihn nie ein Problem gewesen. Was ihm zu schaffen machte, war der latente Antisemitismus bei einem Teil der liberalen und linken Öffentlichkeit. Rückschauend hat er festgehalten, dass die Auseinandersetzungen im Häuserkampf und um Fassbinders Stück ihn aus einer Art Selbstvergessenheit zur Heimat herausgerissen hätten.

Nur auf diesem Hintergrund kann die Kontroverse des Jahres 1998 um Martin Walsers Frankfurter Rede und Klaus von Dohnanyis Apologie richtig verstanden werden. Bubis fühlte sich von jenen im Stich gelassen, auf die er gebaut hatte, als er sich mit der Hoffnung trug, die Erinnerung an den Juddenmord auch über die Überlebenden hinaus ins neue, vereinte Deutschland tragen zu können.

Anders ist seine Rede von der „geistigen Elite“ nicht zu verstehen. Er fühlte sich um die Mühen seiner Arbeit gebracht, als Walsers Rede von der „Gewissenskeule“ und vom „Wegsehen“ in Frankfurt mit Ovationen quittiert wurde. Er fühlte sich von der Mehrheit der späteren Diskussionsteilnehmer, allesamt aufgeklärte Demokraten, nicht verstanden.

War es denn nicht „latenter Antisemitismus“, wenn Walser von der Instrumentalisierung des Gewissens „zu gegenwärtigen Zwecken“ gesprochen hatte? Und wenn Dohnanyi später von dem Versuch anderer sprach, „aus unserem Gewissen eigene Vorteile zu schlagen, es zu missbrauchen, ja zu manipulieren“? Zu Recht interpretierte Bubis damals Dohnanyis Äußerung gegenüber dem Spiegel so: „Im Klartext heißt das: Die Juden machen aus allem Geld, sogar aus dem schlechten Gewissen der Deutschen.“ In jener Debatte wurde Bubis klar, dass er selbst es war, der von den deutschen Politikern instrumentalisiert worden war. Er erkannte seine Rolle als demokratisches Feigenblatt, als zeitgemäße Version des Hofjuden. Mit dieser Rolle konnte und wollte er sich nicht abfinden.

Wofür steht Bubis wirklich? Nicht für eine enge Wahrnehmung jüdischer Interessen. Seit seinem vergeblichen Kampf gegen die Aushöhlung des Asylartikels 16 des Grundgesetzes sah man einen Bürger, der gegen Fremdenhass auftrat, auch wenn der die türkischen Immigranten traf. Bubis' Plädoyer für ein neues Staatsbürgerrecht wollte Schluss machen mit der dumpfen deutschen Blutsidentität, stellte den Citoyen über das Mitglied der Stammesgesellschaft. Wenn ihn etwas auszeichnete, so war es Bürgerengagement – und Bürgermut. Er war von Haus aus kein ausgebildeter Intellektueller. Aber er besaß den Mut, keiner Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen, mochten die Gegner auch Furcht erregende intellektuelle Statur und uneingeschränkte Achtung besitzen.

Er trat ihnen entgegen. Viele müssen heute zu ihrer Schande eingestehen, dass sie es 1998 vorzogen, die Debatte zu kommentieren, statt klar an seine Seite zu treten. So schaute sich Ignatz Bubis um. Und fand sich ziemlich allein.

Bubis wollte Schluss machen mit der dumpfen deutschen Blutsidentität, er stellte den Citoyen über den Stamm.

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