Haste mal ne Mark mehr?

Blusen ohne Tränen-Rückstände: Fair gehandelte Kleidung kostet nicht die Welt. Aber sie macht sie ein wenig besser  ■ Von Heike Dierbach

Nur noch dreieinhalb Wochen, dann kümmt he: Der Frühling. Schon melden sich die Triebe. Auch jener zum Erwerb neuer Stoffprodukte zwecks wirkungsvollerer Präsentation des Paarungs-Kapitals: Weg mit den Alpaka-Pullis – her mit den Leinenblusen/-hemden. Am liebsten ohne Pestizid-Rückstände. Aber was ist mit Schweiß und Tränen? Die Kampagne „Saubere Kleidung“ verwendet das Label „Clean Clothing“ neu: Sie fordert faire Arbeitsbedingungen und Löhne für diejenigen, die in der so genannten Dritten Welt für uns Blusen, Hosen, Röcke oder Schuhe nähen. Die bundesweite Aktion wird getragen von Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen. In Hamburg ist vor allem das Nordelbische Missionszentrum (NMZ) aktiv.

In der Hansestadt sitzt auch eineR der AdressatInnen der Kam-pagne: Der Otto-Versand, das weltweit größte Versandhandelsunternehmen. Otto fühlt sich allerdings nicht gemeint. Das Unternehmen, beruhigt Pressereferentin Dietlind Freiberg, verpflichtet alle seine LieferantInnen vertraglich auf die Einhaltung eines „Code of Conduct“ mit sozialen Mindeststandards. Ein erster Schritt, sagt auch Bärbel Fünfsinn vom NMZ. Aber der schönste Standard nutzt nichts, wenn er nicht eingehalten wird: „Der Knackpunkt ist die unabhängige Kontrolle vor Ort.“ Und die sei bei Otto nicht gegeben, die Kontrolle sei nur hausintern. Zwar sei das Versandhaus im Vergleich mit anderen „recht engagiert“. Aber für die Näherinnen in seinen Zulieferbetrieben habe sich noch kaum etwas verbessert.

„Soziale Mindeststandards“, das heißt für die Kampagne unter anderem: Freie Organisierung der Arbeiterinnen (die meisten sind junge Frauen) und Bezahlung mindestens nach dem gesetzlichen Mindestlohn. Dieser reicht allerdings in vielen Ländern nicht zum Lebensunterhalt, deshalb fordert die Kampagne konkreter, dass der Lohn wenigstens den „notwendigsten Lebensbedarf“ decken muss.

Das würde übrigens nicht bedeuten, dass die Kleidung dann auch im Verkauf bei uns teurer werden müsste. Von dem, was beispielsweise eine Jeans aus Osteuropa kostet, erhält die NäherIn dort gerade ein Prozent (siehe Foto). Der größte Brocken – 75 Prozent – geht für Verwaltung, Markennamen, Werbung oder Geschäftsgewinn drauf. Das heißt: Bekäme die Näherin den doppelten Lohn, müsste die Jeans statt 100 Mark nun 101 Mark kosten – oder das Unternehmen müsste auf eine Mark Gewinn verzichten. Für die Näherin aber würde diese eine Mark mehr pro Stück die Welt bedeuten.

Und wo gibt es in Hamburg garantiert „saubere Kleidung“ zu kaufen? Bisher nur in den Eine-Welt-Läden (siehe Kasten). Auch ökologische Kleidung ist nicht automatisch auch fair produziert. Aber die Kampagne ruft auch gar nicht dazu auf, herkömmliche Hersteller zu boykottieren. Es sei auch keine Lösung, wenn der Konzern einfach dem Zulieferer kündige: „Wir brauchen die Arbeitsplätze in der Bekleidungsherstellung“, sagt Rosa Virginia Hernández, Gewerkschafterin in El Salvador. „Firmen wie Otto haben einen gewaltigen Einfluss“, sagt Fünfsinn, „den sollten sie nutzen, um konkret die Situation der ArbeiterInnen zu verbessern.“ Die Kampagne hat eine Sozialcharta aufgestellt, mit deren Unterzeichnung sich die Unternehmen dazu verpflichten. Bisherige Unterzeichner in Deutschland: Keiner.

Druck machen können wie immer am besten die KundInnen. Damit sie sich nicht jedes mal im Geschäft den Mund fusselig reden müssen, hat die Kampagne eine Art Visitenkarte entworfen (Bestellung siehe Telefonnummer unten): „Viel lieber wäre ich Kunde/Kundin bei Ihnen, wenn ich sicher sein könnte, dass Ihre Textilien unter fairen Produktionsbedingungen hergestellt würden.“ Die Karte soll einfach an der Kasse abgegeben o der postalisch an Otto geschickt werden. Dann hat es Otto, und es wird Trend.

Aber auch die Eine-Welt-Läden setzen inzwischen auf aktuelle Schnitte und Farben. Die Gelegenheit ist also günstig, zwei Triebe auf einmal zu befriedigen: Fair gehandelte Leinenbluse/-hemd kaufen. Gutes Gewissen haben. Lächeln. Angelächelt werden. Zurücklächeln. Leinenbluse/-hemd langsam aufknöpfen... Fair einkaufen macht sexy.

Nordelbisches Missionszentrum (NMZ), Agathe-Lasch-Weg 16, 881 81 32