Hartz-IV-Tipps von Bundesbanker: Sarrazins Rückhalt in SPD schwindet
"Nackter Rassismus", "Fäkalsprache": Berliner Sozialdemokraten sind entsetzt über neue Provokation von Bundesbanker Sarrazin. Doch die Entscheidung über einen Parteiausschluss wurde vertagt.
BERLIN dpa | Über einen möglichen Ausschluss von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin aus der SPD ist noch nicht entschieden. Die Landesschiedskommission der Berliner SPD beendete in der Nacht zum Dienstag eine fast siebenstündige Anhörung ohne eine Entscheidung. Der Versuch einer gütlichen Einigung beider Seiten scheiterte, berichteten Teilnehmer. Der Kreisverband Spandau und die Ortsabteilung Alt-Pankow hatten den Parteiausschluss des früheren Berliner Finanzsenators beantragt, weil sie ihm parteischädigendes Verhalten vorwerfen. Sie stuften provokante Interview-Äußerungen von Sarrazin über Ausländer auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens als klar rassistisch ein. Das sei unvereinbar mit SPD-Positionen.
Die Antragsteller und Sarrazin machten während der Sitzung Kompromissvorschläge, die jedoch gegenseitig verworfen wurden. Auch ein Einigungsvorschlag der dreiköpfigen Kommission wurde nicht angenommen. Die Kommission hat jetzt drei Wochen Zeit, eine Entscheidung zu fällen. Sarrazin ist seit 37 Jahren SPD-Mitglied.
Sarrazin lehnte vor und nach der Anhörung einen Kommentar ab. "Es gilt das Vertraulichkeitsgebot, bis die Schiedskommission ihre Entscheidung bekanntgegeben hat", sagte der Bundesbanker. Er trinke jetzt noch ein Bier, lege sich ins Bett und fahre am Dienstagmorgen um 6.15 Uhr mit dem Frühsprinter der Bahn an seinen Arbeitsplatz in der Bundesbank in Frankfurt/Main.
Der Antrag auf Parteiausschluss bezieht sich auf ein Interview Sarrazins in einer Literaturzeitschrift. Darin hatte der 65-Jährige mehrfach betont, eine große Zahl an Arabern und Türken in Berlin habe keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel. Er müsse niemanden anerkennen, der vom Staat lebt und diesen Staat ablehnt und ständig "neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und für 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin."
Der SPD-Abgeordnete Torsten Schneider aus Alt-Pankow bedauerte die missglückte gütliche Einigung. "Das hätte ich mir im Interesse der Partei sehr gewünscht." Eine Einigung hätte erzielt werden können, indem beide Seiten Abstriche an ihren Positionen gemacht hätten oder man betont hätte, dass Teile des kritisierten Interviews missverständlich gewesen seien, sagte Schneider.
Vor der Anhörung hatte Sarrazin nach Ansicht von SPD-Mitgliedern seine Partei durch ein Interview am Tag der Anhörung noch einmal gezielt provoziert. In der "Süddeutschen Zeitung" kritisierte er das Gutachten eines Politologen des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums als intellektuell und moralisch "unsauber, schleimig und widerlich". Jeder, der das 21-seitige Gutachten des "Afterwissenschaftlers" anfasse, "laufe Gefahr, sich zu beschmutzen".
Dazu sagte der SPD-Kreisvorsitzende von Spandau, Raed Saleh, der zu den Antragstellern gehört: "So eine Fäkalsprache passt nicht zu Sarrazins Amt, das macht man nicht." Saleh verteidigte vor der Sitzung den Antrag auf Parteiausschluss. Sarrazins Äußerungen in der Literaturzeitschrift seien "nur herabwürdigend und diskriminierend". Das schädige das Ansehen der Partei. "Sarrazin stigmatisiert und schließt ganze Ausländergruppen aus", kritisierte Saleh.
Der SPD-Kreisvorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, geht davon aus, dass die Entscheidung des Kreisschiedsgerichts seines Bezirks vom Dezember von der Landesebene bestätigt wird. "Das war eine sehr ausgewogene Entscheidung", sagte Gaebler vor der Anhörung. Diese hatte gegen einen Parteiausschluss von Sarrazin votiert. Die Kreisschiedskommission sah in den Äußerungen weder ein parteischädigendes noch ein ehrloses Handeln von Sarrazin. Er habe nicht vorsätzlich die Statuten der SPD verletzt.
Nach Sarrazins neuen provokanten Ratschlägen für Hartz-IV-Empfänger ging der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erneut auf Distanz zu seinem früheren Finanzsenator. Der heutige Bundesbank-Vorstand hatte Langzeitarbeitslosen zum Sparen unter anderem zum Kaltduschen geraten. Wowereit sagte in der ARD-Sendung "Beckmann": "Jemand, der so ein Gehalt hat, ist auch ein wunderbarer Ratgeber, dass er anderen, die wenig Geld haben, sagt, was sie einkaufen müssen, dass sie kalt duschen müssen und wie hoch die Zimmertemperatur ist."
Für den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), ist ein SPD-Ausschluss von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin nicht mehr völlig undenkbar. Mit seinen jüngsten Äußerungen im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" habe Sarrazin eine Grenze überschritten, sagte Buschkowsky am späten Montagabend. "Dieses Interview am Tag der Anhörung der Landesschiedskommission über seinen möglichen Parteiausschluss, das war eine gezielte Provokation", sagte Buschkowsky, der sich wie Sarrazin teils sehr kritisch zur fehlgeschlagenen Integrations- und Sozialpolitik geäußert hat. Die Kommission traf in der Nacht zu Dienstag nach einer fast siebenstündigen Anhörung noch keine Entscheidung.
"Mit den Äußerungen in der SZ hat Sarrazin eine Grenze überschritten, das ist teils nackter Rassismus, das trage ich nicht mit", so der SPD-Politiker. Buschkowsky bezog sich dabei vor allem auf die Passagen, ob es sinnvoll sei, noch mehr Geld in die Bildung der Kinder von Hartz-IV-Empfängern zu stecken. Nach Ansicht von Sarrazin ist Intelligenz "weitgehend erblich. Deshalb sei es auch eine Illusion zu glauben, man könne Menschen oder sogar soziale Schichtungen durch die Schule ändern. Wer mit 15 Jahren Schulversager sei, komme mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch in seinem weiteren Leben nicht mehr in die Spur", zitierte ihn die Zeitung. "Jemanden, der als Teenager immer noch nicht richtig lesen kann, den lasse ich nicht zurück. Da sage ich: das ist nun mal so."
Solche Einschätzungen sind für Buschkowsky "sehr nah an der Rassentheorie". Zudem seien sie inhaltlich falsch. "Wenn Intelligenz tatsächlich vererbt würde, dann wären wir alle noch Kinder der Proletarier des 19. Jahrhunderts", sagte Buschkowsky. Die seien alle arm und ungebildet gewesen. Sarrazin leugne damit die Herausbildung einer Mittelschicht, die sich durch Bildung hochgearbeitet und so Schichten aufgebrochen habe. Bisher sei er ein "glühender Gegner eines Parteiausschlusses" gewesen, weil eine so breit aufgestellte Partei wie die SPD auch Querköpfe wie Sarrazin aushalten müsse. "Nun bin ich kein bedingungsloser Gegner mehr", so Buschkowsky.
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