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Hartz-IV-Tipps von BundesbankerSarrazins Rückhalt in SPD schwindet

"Nackter Rassismus", "Fäkalsprache": Berliner Sozialdemokraten sind entsetzt über neue Provokation von Bundesbanker Sarrazin. Doch die Entscheidung über einen Parteiausschluss wurde vertagt.

Thilo Sarrazin ruft Demonstranten auf den Plan - wie hier im Oktober vor der Bundesbank. Bild: rtr

BERLIN dpa | Über einen möglichen Ausschluss von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin aus der SPD ist noch nicht entschieden. Die Landesschiedskommission der Berliner SPD beendete in der Nacht zum Dienstag eine fast siebenstündige Anhörung ohne eine Entscheidung. Der Versuch einer gütlichen Einigung beider Seiten scheiterte, berichteten Teilnehmer. Der Kreisverband Spandau und die Ortsabteilung Alt-Pankow hatten den Parteiausschluss des früheren Berliner Finanzsenators beantragt, weil sie ihm parteischädigendes Verhalten vorwerfen. Sie stuften provokante Interview-Äußerungen von Sarrazin über Ausländer auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens als klar rassistisch ein. Das sei unvereinbar mit SPD-Positionen.

Die Antragsteller und Sarrazin machten während der Sitzung Kompromissvorschläge, die jedoch gegenseitig verworfen wurden. Auch ein Einigungsvorschlag der dreiköpfigen Kommission wurde nicht angenommen. Die Kommission hat jetzt drei Wochen Zeit, eine Entscheidung zu fällen. Sarrazin ist seit 37 Jahren SPD-Mitglied.

Sarrazin lehnte vor und nach der Anhörung einen Kommentar ab. "Es gilt das Vertraulichkeitsgebot, bis die Schiedskommission ihre Entscheidung bekanntgegeben hat", sagte der Bundesbanker. Er trinke jetzt noch ein Bier, lege sich ins Bett und fahre am Dienstagmorgen um 6.15 Uhr mit dem Frühsprinter der Bahn an seinen Arbeitsplatz in der Bundesbank in Frankfurt/Main.

Der Antrag auf Parteiausschluss bezieht sich auf ein Interview Sarrazins in einer Literaturzeitschrift. Darin hatte der 65-Jährige mehrfach betont, eine große Zahl an Arabern und Türken in Berlin habe keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel. Er müsse niemanden anerkennen, der vom Staat lebt und diesen Staat ablehnt und ständig "neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und für 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin."

Der SPD-Abgeordnete Torsten Schneider aus Alt-Pankow bedauerte die missglückte gütliche Einigung. "Das hätte ich mir im Interesse der Partei sehr gewünscht." Eine Einigung hätte erzielt werden können, indem beide Seiten Abstriche an ihren Positionen gemacht hätten oder man betont hätte, dass Teile des kritisierten Interviews missverständlich gewesen seien, sagte Schneider.

Vor der Anhörung hatte Sarrazin nach Ansicht von SPD-Mitgliedern seine Partei durch ein Interview am Tag der Anhörung noch einmal gezielt provoziert. In der "Süddeutschen Zeitung" kritisierte er das Gutachten eines Politologen des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums als intellektuell und moralisch "unsauber, schleimig und widerlich". Jeder, der das 21-seitige Gutachten des "Afterwissenschaftlers" anfasse, "laufe Gefahr, sich zu beschmutzen".

Dazu sagte der SPD-Kreisvorsitzende von Spandau, Raed Saleh, der zu den Antragstellern gehört: "So eine Fäkalsprache passt nicht zu Sarrazins Amt, das macht man nicht." Saleh verteidigte vor der Sitzung den Antrag auf Parteiausschluss. Sarrazins Äußerungen in der Literaturzeitschrift seien "nur herabwürdigend und diskriminierend". Das schädige das Ansehen der Partei. "Sarrazin stigmatisiert und schließt ganze Ausländergruppen aus", kritisierte Saleh.

Der SPD-Kreisvorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, geht davon aus, dass die Entscheidung des Kreisschiedsgerichts seines Bezirks vom Dezember von der Landesebene bestätigt wird. "Das war eine sehr ausgewogene Entscheidung", sagte Gaebler vor der Anhörung. Diese hatte gegen einen Parteiausschluss von Sarrazin votiert. Die Kreisschiedskommission sah in den Äußerungen weder ein parteischädigendes noch ein ehrloses Handeln von Sarrazin. Er habe nicht vorsätzlich die Statuten der SPD verletzt.

Nach Sarrazins neuen provokanten Ratschlägen für Hartz-IV-Empfänger ging der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erneut auf Distanz zu seinem früheren Finanzsenator. Der heutige Bundesbank-Vorstand hatte Langzeitarbeitslosen zum Sparen unter anderem zum Kaltduschen geraten. Wowereit sagte in der ARD-Sendung "Beckmann": "Jemand, der so ein Gehalt hat, ist auch ein wunderbarer Ratgeber, dass er anderen, die wenig Geld haben, sagt, was sie einkaufen müssen, dass sie kalt duschen müssen und wie hoch die Zimmertemperatur ist."

Für den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), ist ein SPD-Ausschluss von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin nicht mehr völlig undenkbar. Mit seinen jüngsten Äußerungen im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" habe Sarrazin eine Grenze überschritten, sagte Buschkowsky am späten Montagabend. "Dieses Interview am Tag der Anhörung der Landesschiedskommission über seinen möglichen Parteiausschluss, das war eine gezielte Provokation", sagte Buschkowsky, der sich wie Sarrazin teils sehr kritisch zur fehlgeschlagenen Integrations- und Sozialpolitik geäußert hat. Die Kommission traf in der Nacht zu Dienstag nach einer fast siebenstündigen Anhörung noch keine Entscheidung.

"Mit den Äußerungen in der SZ hat Sarrazin eine Grenze überschritten, das ist teils nackter Rassismus, das trage ich nicht mit", so der SPD-Politiker. Buschkowsky bezog sich dabei vor allem auf die Passagen, ob es sinnvoll sei, noch mehr Geld in die Bildung der Kinder von Hartz-IV-Empfängern zu stecken. Nach Ansicht von Sarrazin ist Intelligenz "weitgehend erblich. Deshalb sei es auch eine Illusion zu glauben, man könne Menschen oder sogar soziale Schichtungen durch die Schule ändern. Wer mit 15 Jahren Schulversager sei, komme mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch in seinem weiteren Leben nicht mehr in die Spur", zitierte ihn die Zeitung. "Jemanden, der als Teenager immer noch nicht richtig lesen kann, den lasse ich nicht zurück. Da sage ich: das ist nun mal so."

Solche Einschätzungen sind für Buschkowsky "sehr nah an der Rassentheorie". Zudem seien sie inhaltlich falsch. "Wenn Intelligenz tatsächlich vererbt würde, dann wären wir alle noch Kinder der Proletarier des 19. Jahrhunderts", sagte Buschkowsky. Die seien alle arm und ungebildet gewesen. Sarrazin leugne damit die Herausbildung einer Mittelschicht, die sich durch Bildung hochgearbeitet und so Schichten aufgebrochen habe. Bisher sei er ein "glühender Gegner eines Parteiausschlusses" gewesen, weil eine so breit aufgestellte Partei wie die SPD auch Querköpfe wie Sarrazin aushalten müsse. "Nun bin ich kein bedingungsloser Gegner mehr", so Buschkowsky.

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12 Kommentare

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  • N
    Nordwind

    Tja, wenn eine narzistische Persönlichkeitsstörung auf eine einfache, um nicht zu sagen primitive, Ideologie wie dem Neoliberalismus trifft, kommt ein Sarrazin heraus. Oder schlimmeres.

     

    Das es sich bei Sarrazin um einen Rechtsradikalen mit all seinen rassistischen Facetten handelt ist inzwischen durch mehrere Studien belegt. Z.B. hier: http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/100129_hinweise_2_sarrazin.pdf

     

    Wenn die sPD das Problem nicht mit einem Parteiausschlußverfahren in den Griff bekommt ist ihr nicht mehr zu helfen.

  • H
    HERZ

    Na, Herr Sarrazin? Dann sterilisieren wir doch einfach alle alle Hartz4 Empfänger und ZÜCHTEN alle Probleme einfach weg. Dann gibts keine dummen Menschen mehr, nur noch kluge Arztsöhne...

  • H
    Hermann

    Für die SPD ist ein Imageschaden ausgeschlossen. Der Sarrazin führt nur fort was zuvor Clement und Münteferring zusammen mit den Grünen begonnen haben.

  • R
    rheinelbe

    Aktion mit Guido und Thilo

     

    Schild um den Hals "Politiker: Kauf mich!" oder so. Und dann brauchen wir noch "Geld" dafür. Ich schlage vor: Den "Guido" mit Westerwelles Konterfei - DIE Politikerwährung! Und das "Geld" (die vielen "Guidos") stecken wir in einen Sack. Dann haben wir einen Sack voll Geld. Und genau das schreiben wir auf den Sack.

     

    Auf der Rückseite ein Schild: "Sponsored by Mövenbig!".

     

    Und der Politiker hält dann eine kurze Rede (Podest wäre gut!). Sein Name: Guido Mövenbig. In dieser Rede wird der Guidoismus ausgerufen. Motto: "Jedem das Meiste! Mir zuerst" Slogans: Keine Löhne mehr zahlen, dann gibt's auch wieder Arbeit! Alle Macht den Banken! Schneekanonen im Sommer einsetzen, damit Hartz IV-Empfänger das ganze Jahr über Schnee schippen können. Geld! Macht! Geil!

    Und der Sarrazin applaudiert heftig und nimmt öffentlich eine kalte Dusche nach der anderen. Dazu ein monotoner Singsang: Ich bin hart! Ich bin hart!

     

    Danach können wir Gutscheine für Parteispenden verteilen (steuerlich voll absetzbar!).

     

     

     

    Machen wir demnächst in unserer Stadt.

  • S
    Saby

    Als die rotgrüne Koalition auf Anregung des rechtskräftig wegen Untreue verurteilten Peter Hartz im Jahre 2005 die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegte, da wurden ganz unterschiedliche Menschen zu Schicksalsgenossen:

    einerseits diejenigen, die selbst in Zeiten der Vollbeschäftigung kaum reguläre Arbeit gefunden hätten –

    zum Beispiel, weil sie körperlich oder seelisch krank, lern- oder sonstwie behindert waren;

    zum Beispiel, weil sie als alleinerziehende Mütter (ausnahmsweise auch Väter) kleine, vielleicht sogar behinderte Kinder betreuen mussten;

    zum Beispiel, weil ihnen als Asylbewerbern jede Erwerbsarbeit ausdrücklich verboten worden war;

    und andererseits Leute, die in ihrem Beruf jahre-, oft jahrzehntelang sehr gefragt und gut bezahlt waren, ehe die Firma insolvent wurde oder ihre Arbeitsplätze dem Shareholder-Value zuliebe wegrationalisierte, woraufhin ihr unaufhaltsamer Abstieg als Langzeitarbeitslose begann;

    Berufsanfänger, oft Akademiker, die sich trotz Prädikatsexamen mit befristeten Verträgen, Praktika und Aushilfsjobs durchschlagen mussten;

    Selbständige und Freiberufler, die in der Hoffnung auf eine Konjunkturbelebung ihre gesamten Ersparnisse ins Geschäft steckten, ohne letztlich die Pleite vermeiden zu können;

    und was der traurigen Einzelschicksale mehr sind.

    Wer angesichts dieses (hier nur angedeuteten) sehr breiten Spektrums in primitivster Polemik von „bildungsfernen Schichten“ schwafelt und sich nicht entblödet zu fragen, „ob es sinnvoll sei, noch mehr Geld in die Bildung der Kinder von Hartz-IV-Empfänger zu stecken“, der kann, egal, welche Position er in seiner Firma und/oder Partei bekleidet, keineswegs der richtige Mann am richtigen Platz sein.

    Denn entweder hat er überhaupt keine Ahnung, oder er weiß es zwar insgeheim besser, geilt sich aber nur allzu gern an seiner Rolle als Volksverhetzer auf.

    Beides disqualifiziert ihn gleichermaßen.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    In Berlin sind die Fronten gegen Herr Sarrazin wohl auch stark geschichtlich gewachsen. Exponentielles Waschtum würde ich konstatieren.

    Da ist es im Moment günstiger Eulen nach Athen zu tragen, die können die besser gebrauchen.

  • M
    Mat

    Ein mann we Sarrazin gehört in keine Spitzenfunktionen, sondern in therapeutische Behandlung und wenn diese fruchtet kann man gerne schauen, ob es ene neue adäquate Aufgabe für ihn gibt. Wenn ein Borderliner wie Sarrazin sich nicht therapeutisch helfen lassen will, dann gehört der nicht an eine solche Position, dann lassen wir den nicht zurück, dann sagen wir: Das ist nunmal so.

     

    Boderline laut Wiki:

    Borderline-Persönlichkeitsstörung oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung ist die Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung, die durch Impulsivität und Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, Stimmung und Selbstbild gekennzeichnet ist.

    Bei einer solchen Störung sind bestimmte Bereiche von Gefühlen, des Denkens und des Handelns beeinträchtigt, was sich durch negatives und teilweise paradox wirkendes Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie im gestörten Verhältnis zu sich selbst äußert.

  • H
    Hans

    Es gibt nur eine Reaktion: Sarrazin ohne weitere Umschweife auf Hartz IV setzen, mit allen Konsequenzen, damit er weiß worüber er redet.

  • DN
    Dr. No

    Der SPD bleibt auch nichts erspart. Ist der Mann Bundesbanker oder Vererbungsforscher? Im letzteren Fall sollte er prüfen, ob es in seiner Familie einen verstärkten Hang zu altersbedingter Demenz gibt. Oder vielleicht gibt es ja so etwas wie das Horst-Mahler-Syndrom, eine Art Altersrassismus. Wenn er mal wieder in Frankfurt ist: Roland Koch kennt eine Reihe von Psychiatern, bei denen er sich untersuchen lassen kann. Falls er ansonsten bei Sinnen ist, sollte man ihm einen Orden verleihen: Die Hjalmar-Schacht-Gedächtnisplakette.

  • CA
    Christian Alexander Tietgen

    So traurig dieser Fall doch ist, er beweist, dass die SPD die einzige Volkspartei in Deutschland ist. Sie beherbergt Menschen jeglicher Couleur.

  • NN
    No Name

    Aufgewachsen in einer Kölner Sozialhilfe Familie weiß ich was es heißt weniger zu haben als andere.

    Wir haben auch Kalt geduscht und zwar weil es in unserem Altbau weder Warmwasser noch eine Heizung gab.

    Neben warmer Kleidung im Winter hatten wir einen Gasbrenner für das Wohnzimmer wenn die Familie abends zum gemeinsammen ANTENNEN Fehrnsehen zusammen kam.

    Ich kann nicht sagen, dass es mir an Bildung oder Intelligenz fehlte - ich verdiene Heute als Berufsanfänger knapp 4000€ Brutto in einem technisch wissenschlaftlichen Beruf. Ich hatte etwas das kann man mit Geld nicht kaufen kann - elterliche Fürsorge und Vorbilder.

    Kurz: Herr S. hat leider recht.

    Die materiellen Ansprüche in der Bevölkerung egal welche Schicht sind einfach zu hoch.

  • L
    Luftschloss

    "Sarrazin stigmatisiert und schließt ganze Ausländergruppen aus", kritisierte Saleh

     

    Nein, das machen große Teile dieser Gruppen von selbst, dazu brauche es keinen Sarrazin. Das anzusprechen ist für Teile der SPD aus einem einfachen Grund falsch:

    Da in Berlin so viele Menschen von der Stütze leben, grade ausländisch stämmige, und genau diese überproportional Grün, SED Nachfolge oder SPD wählen ist Sarrazin manch einem SPD Mandatsträger ein Dorn im Auge, sägt er durch diese (leider) wahren Aussagen doch indirekt an ihrem Stuhl und ihrerm staatlichen Gehalt.