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Hartz-IV-Reform"Der Union war Überfrachtung recht"

Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband über strategische Fehler der SPD. Und was es kosten würde, Arbeitslosen Kühlschränke extra zu finanzieren.

Es geht um ein "menschenwürdiges Existenzminium für Kinder und Erwachsene", sagt Ulrich Schneider. Bild: dpa
Eva Völpel
Interview von Eva Völpel

taz: Herr Schneider, der Hartz-Kompromiss ist gescheitert, jetzt werden Manuela Schwesig und Ursula von der Leyen mit ihrer Profilierungssucht als Schuldige ausgemacht. Welche Bilanz ziehen Sie?

Ulrich Schneider: Ich kann bei Frau Schwesig keine Profilierungssucht erkennen. Es geht darum, ein menschenwürdiges Existenzminium für Kinder und Erwachsene zu definieren. Viele Sachverständige, die im Bundestag geredet haben, gehen aber davon aus, dass die Regierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten hat. Die Regierung aber hat vom ersten Moment an angekündigt, der Regelsatz sei kein Verhandlungsgegenstand. Damit war das gesamte Vermittlungsverfahren vom ersten Moment an ad absurdum geführt.

Die Union betont, sie sei der Opposition entgegengekommen, beispielsweise bei der Ausweitung des Bildungspakets auf Geringverdienerfamilien.

Bild: archiv
Im Interview: 

ULRICH SCHNEIDER, 52, ist Erziehungswissenschaftler und Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Die Bundesregierung ist auf Feldern, die am Rande des Spielplatzes angesiedelt waren, der Opposition tatsächlich entgegengekommen. Aber die Kernfrage war: Wie halten wir es mit dem Regelsatz? Und da hat sich die Regierung keinen Millimeter bewegt.

Aber die SPD hat sich auch wochenlang davor gedrückt, konkrete Zahlen zur Regelsatzerhöhung zu nennen.

Richtig ist, die SPD hätte früher eine Zahl nennen können. Richtig ist aber auch, sie hatte nicht alle Berechnungen, um es solide zu tun. Die Berechnungen wurden ja verlangt, aber vom Bundesarbeitsministerium nur zögerlich rausgerückt. Trotzdem hätte die SPD versuchweise eine Zahl nennen können, damit man weiß: über welche Hausnummer reden wir? Das hat die SPD nicht ganz glücklich gelöst.

Hat die Union also ein Stück weit recht, wenn sie die Überfrachtung der Verhandlungen mit den Themen Leiharbeit oder Mindestlöhne beklagt?

Im Grunde genommen war es der Union doch total recht, dass die Verhandlungen überfrachtet waren. Hätte man die anderen Themen nicht gehabt, dann hätte man der Opposition in der Frage der Regelsatzes entgegenkommen müssen.

Es war also ein strategischer Fehler der SPD, das Thema so anzugehen?

Das könnte man so sehen.

Jetzt heißt es, einmalige Leistungen wie Waschmaschinen oder Kühlschränke könnten neben dem Regelsatz künftig extra bezahlt werden.

Das ist hoch vernünftig und wird von uns schon lange gefordert.

Allerdings sickerte in den vergangenen Tagen durch, dafür könnte es rund 500.000 Euro jährlich geben.

Das allerdings ist ein Witz. Dann kann man es gleich wieder bleiben lassen. Wir rechnen für solche Anschaffungen mit Ausgaben von etwa 350 Euro pro Jahr und Erwachsenem. Dann wäre man schnell über einer Milliarde Euro. Es sind also ganz andere Beträge nötig.

Was erwarten Sie von einem neuen Vermittlungsverfahren?

Wir haben gesehen, wie sich die drei Ministerpräsidenten Horst Seehofer, Wolfgang Böhmer und Kurt Beck als die besseren Verhandler inszeniert haben. Aber zwei der Ministerpräsidenten stehen im Wahlkampf, ein Versprechen, dass man sich rasch einigt, ist da einfach gegeben. Der Teufel aber steckt im Detail.

Sie sind nicht optimistisch, dass man sich rasch einigt?

Nein, denn die Materie ist sehr schwierig, und nach wie vor hat die SPD damit zu kämpfen, dass nach ihren eigenen Aussagen das Ganze nicht verfassungskonform ist. Also stellt sich die Frage: Will die SPD am Ende einem Kompromiss zustimmen, der nach ihrer eigenen Bewertung nicht verfassungskonform sein kann? Und: Sollte sie den Kompromiss trotzdem mittragen, wird sie dann so konsequent sein, eine Normenkontrollklage in Karlsruhe anzustrengen, um den eigenen Kompromiss auch untersuchen zu lassen? Das wäre die logische und folgerichtige Konsequenz.

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5 Kommentare

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  • F
    FAXENDICKE

    Warum eigentlich nicht wieder zurück zur alten Sozialhilfe? Das war für Menschen ohne Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, für Menschen mit zu wenig Alhi und auch für Menschen mit zu wenig Rente bei weitem besser. Da gab es so wie z.Zt. die Warmmiete, einen Regelsatz von dem man zu DM-Zeiten wirklich gut leben konnte und zusätzlich, bei Bedarf, zweimal jährlich Kleidergeld, Weihnachtsgeld, turnusmäßig Renovierungsgeld, Waschmaschine, Kühlschrank und Fernsehgerät. Wer es nicht glaubt schaue in die alten SGB-Bücher rein. Diese Hartz IV Geschichte kann gar nicht verfassungsgemäß sein, wenn die alte Sozialgesetzgebung es denn war!

  • JP
    JJ Preston

    Was ich in der ganzen Diskussion vermisse, ist das Totschlagargument, warum der Hartz IV-Regelsatz um deutlich mehr als 5 Euro steigen MUSS:

     

    IN-FLA-TIONS-AUS-GLEICH.

     

    Ganz einfach. Eingeführt wurde das ALG II am 1.1.05 in einer Höhe von 345 Euro (West). Seit dem 1.7.09 lag er bei 359 Euro. Der Verbraucherpreisindex am 1.1.05 war laut destatis.de bei 100,0 (und damit Referenzpunkt). 2010 lag der Index bei 108,2.

     

    Die ganz einfache mathematische Rechnung von (345/100)*108,2 ergibt einen Soll-Regelsatz von 373,29 €. Und das sind sogar satte 14,29 € Steigerung gegenüber dem aktuell gültigen von 359 Euro!

     

    Dabei bleibt selbst unberücksichtigt, dass Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke, deren Anteil im Regelsatz höher ist als alle anderen, mit einem Indexwert von 112,5 in 2010 (vgl. Kleidung mit 103,7) noch eine deutlich überdurchschnittliche Teuerung erfahren hat, was bedeutet, dass selbst die 14,29 € kein ausreichender Inflationsausgleich für ALG-II-Empfänger darstellen würde.

     

    Und für diese Recherche habe ich 2 Minuten gebraucht...

  • F
    Frank

    Soso, Ueberfrachtung, Nebenschauplaetze... Dann konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.

    6 oder 11 Euro? Das ich nicht lache, das war doch gar nicht -der Kern des Streits-, der da im kleinen Kreis, alle duerfen ja nicht mitreden, gefuehrt wurde.

     

    Die "Macher" von Hartz4, Zeitarbeit, Leiharbeit sind so frei die Wirkungen IHRER politischen Arbeit von gestern, heute als mediale und politische Waffe gegen die lohnabhaengigen Opfer zu benutzen. Die Politik beruft sich auf die ! sichtbare ! Verelendung in der Bevoelkerung, das Ergebnis der Politik der letzten Jahre, und stellt die Fortsetzung dieser Politik als Gebot von Gerechtigkeit dar. Es "gaebe" nun einmal ganz viele Menschen (nicht vergessen, das hat -die gleiche Truppe- gestern selbst beschlossen), Vollzeitbeschaeftigte die ergaenzend Hartz4 beziehen...

    Das ist der Witz beim Gerede vom Lohnabstandsgebot!

    Diese Leute benutzen die gestern gesetzlich hergestellte, oekonomische Erpressbarkeit und VERPFLICHTUNG zu Loehnen arbeiten zu muessen von denen man nicht leben kann dazu, die andere Seite der Arbeiter, das sind die Millionen die ohne ein Einkommen ihr Leben bezahlen muessen, EBENFALLS weiter zu schaedigen.

    (Zeit- und Leiharbeit als gewolltes instrument zur Lohnsenkung, Abschaffung der Zumutbarkeit UND ERGAENZEND die Androhung von Streichungen am Hartz4-Satz unter das Existenzminimum, ca. 360! Euro pro Monat zum Existieren!)

    Die "Nebenschauplaetze" wie Mindestlohn haetten doch auch einen Abstand zwischen Transferleistungsbeziehern und Vollzeitbeschaeftigten ermoeglicht!?

    Aber, aus professinellen Kreisen wurde sogleich klargestellt, das mehr Lohn (nicht vergessen, wir sprechen auch von ihrem Lebensunterhalt) womoeglich das Interesse der "Arbeitgeber" an Beschaeftigung verkleinert.

    Politik UND Wirtschaft wissen und wollen, dass Ansprueche von "Arbeitnehmern" an einen Lohn von dem ein Leben planbar und finanzierbar ist, zurueckgewiesen werden muessen! Entsprechend die Botschaft: Gerechtigkeit!

     

    Es geht doch keinem Niedriglohnempfaenger besser, wenn Hartz4 weniger ist als das Einkommen eines Vollzeitbeschaeftigten! Hier wird auf eine Moral gesetzt, welche den eigenen Schaden zu ertragen bereit ist, wenn es nur andere noch haerter trifft.

    Der Skandal, die Tatsache das Millionen zu Loehnen arbeiten muessen (nicht vergessen; MitwirkungsPFLICHT) von denen man nicht Leben kann, wird politisch so Instrumentalisiert, indem anstelle des NOTWENDIGEN Geldes von dem sowohl Arbeitslose und Beschaeftigte leben muessen, eine Differenz gefordert wird.

    Das heisst im Klartext, wenn man schon politisch und wirtschaftlich GEWOLLT, von Arbeit nicht leben kann, dann darf das ohne Arbeit erst recht nicht gelingen!

     

    Ganz friedlich, ohne sichtbare Gewalt geht das. Solange wir das mit uns und unseren Kindern machen lassen.

  • R
    reblek

    "Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband über strategische Fehler der SPD. Und was es kosten würde, Arbeitslosen Kühlschränke extra zu finanzieren. ... Jetzt heißt es, einmalige Leistungen wie Waschmaschinen oder Kühlschränke könnten neben dem Regelsatz künftig extra bezahlt werden." Ich gehe mal davon aus, dass die einen einzigen Kühlschrank finanziert bekommen würden - wenn überhaupt - und nicht "Kühlschränke" und schon gar keine "Waschmaschinen".

  • J
    jimmygjan

    Wer sich tagtäglich mit diesem Thema auseinander zu setzen hat weiß sehr genau wo die Schwachstellen dieses Gesetzes vorhanden sind. das Gesetz an sich ist schon "grottenschlecht"! Die jetzt angedachten Korrekturenn der CDU, aufgrund der Entscheidung des BverfG, sind ein "Witz". Völlig unzureichend! Ich empfehle sich an Art 19, 20 GG zu halten. Fakt ist, dass wir in einem Land mit sogenannter "Sozialstaatsgarantie" leben. Es verbietet sich, wie jetzt und mit der Einführung von Hartz IV diese Sozialstaatsgarantie nach "Kassenlage" zu gewährleisten. Ich garantiere deshalb schon jetzt, dass auch die neu zu erwartende Neuregelung vor dem BverfG landen wird. Die jetzige Regierung hat bisher nicht offengelegt, wie sich der Regelsatz mit der "enormen" Erhöhung von 5,--€ rechtfertigt. Wenn die SPD in einem "Kuhhandel", bei einer zu erwartenden Einigung dann von 8,--, dem auch noch zustimmen will, bitte sehr. Die SPD soll sich dann aber nicht beschweren, wenn die Wählergunst prozentual weiterhin einen abwärtstrend nimmt.

     

    Mal ein Punkt im einzelnen:

     

    Sozial schwache Kinder soll nach Frau v.d.Leyen am Mittag ein warmes Essen in der Schule bekommen. An sich eine Idee, die Unterstützung verlangt. Aber wie sieht denn die Umsetzung dessen aus? Auf Nachfrage wurde durch das Ministerium v.d.Leyen erklärt, dass dies nur für Schulen gilt, in denen auch ein Mittagessen angeboten wird. Für andere Schulen, in denen kein Mittagessen angeboten wird, zählt dieser Vorschlag schon nicht mehr. Diese sozila schwachen kinder dürfen weiterhin zu sehen, wie und wo sie essen können. Wieviel Ganztagsschulen mit einem Angebot von Mittagessen gibt es denn in Deutschland- Die Anzahl ist verschwindend gering! Wie verlogen muss man eigentlich als Politiker sein, dieses dann immer wieder als tolle Errungenschaft darzustellen.

     

    Ein weiteres Thema wäre noch einmal zu untersuchen, wie denn die Umsetzung der Hartz IV Gesetze in der Praxis aussieht. Ich sage nur, schlechter als Grottenschlecht! So schlecht wie die geplanten jetzigen Änderungen im Gesetz. Da mag Westerwelle und co jubeln. Wie zynisch!