Hartz-IV-Debatte: Was tun für die Stütze
Was Hannelore Kraft, die SPD-Spitzenkandidatin in NRW, vorschlägt, tun in Berlin Langzeitarbeitslose schon länger: Sie arbeiten in gemeinnützigen Jobs - ein Modell?
In Sportvereinen helfen, Senioren im Altenheim aus Büchern vorlesen oder Straßen sauber halten - der Vorschlag der SPD-Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, für Langzeitarbeitslose einen gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt aufzubauen, sorgt zwar für Aufregung, ist in der Sache aber nicht neu. Seit einigen Jahren diskutieren Politiker, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften über die Schaffung eines "dritten Arbeitsmarkts" für Langzeitarbeitslose, die keine Aussicht haben, in den regulären Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Strittig ist, ob die Jobs freiwillig sein sollten, ob regulär Beschäftigte damit verdrängt würden und die Höhe der Vergütung.
"Frau Kraft trifft mit ihren Aussagen einen problematischen Punkt", meint Tina Hofmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Ein Großteil dieser Arbeitslosen sei "vom Arbeitsmarkt und damit auch von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen". Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor sei daher begrüßenswert. Allerdings müsse die so geschaffene Arbeit gemeinnützig und sinnvoll sein, sich am "örtlichen Tarifgefüge orientieren" und nicht zu "beliebigen Zusatzjobs" wie bei den 1-Euro-Jobs führen. Denn diese hätten dazu beigetragen, dass die offizielle Zahl der Langzeitarbeitslosen - das sind Menschen, die seit mindestens einem Jahr erwerbslos sind - seit Einführung der Hartz-IV-Reformen im Jahr 2005 um 45 Prozent gesunken ist.
Derzeit gibt es für Langzeitarbeitslose einige regionale Projekte - und den Beschäftigungszuschuss. Dieser Zuschuss kann bis zu 75 Prozent betragen und an privatwirtschaftliche wie gemeinnützige Arbeitgeber gezahlt werden, wenn diese "arbeitsmarktfernen Personen" einen Job bieten. Derzeit werden 42.000 Arbeitsplätze so subventioniert.
"Um wirklich die Schwächsten zu erreichen, müsste man den Beschäftigungszuschuss anders justieren", meint Hofmann. Den wirklich problematischen Fällen wird ihrer Erfahrung nach damit nicht geholfen. "Zudem erreicht das Projekt zu wenige Personen; ich gehe von rund 600.000 Langzeitarbeitslosen aus, die derzeit nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind." Ein weiteres Problem: Der Beschäftigungszuschuss ist im Regelfall auf 24 Monate befristet.
Bei der Bundesagentur für Arbeit ist man mit Zahlen zurückhaltender. Behördensprecherin Anja Huth sagt, man könne keine seriöse Schätzung darüber abgeben, wie viele der 813.000 Langzeitarbeitslosen, die im Februar registriert waren, nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt zurückfinden werden. Zu Krafts Vorschlag sagt sie: "Das klingt ein wenig wie 1-Euro-Jobs auf Lebenszeit." Vielleicht wolle Kraft ja besonders den Aspekt der Gegenleistung stärken.
Einen etwas anderen Weg geht man in Berlin. hier werden Langzeitarbeitslose seit geraumer Zeit in dem Gemeinwohl dienende Jobs gehievt - mit dem Programm öffentlich geförderter Beschäftigungssektor (ÖBS). Hartz-IV-Empfänger sollen etwa ältere Menschen im Alltag unterstützen, Kinder betreuen oder überforderten Touristen an Ticketautomaten helfen. Sie erhalten dafür 1.300 Euro Arbeitnehmerbrutto. Ziel ist, dass die Teilnehmer nach zwei bis drei Jahren reguläre Stellen antreten. Für die in Berlin mitregierende Linke ist das Projekt der Beweis dafür, dass "Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert werden kann" - und Hartz IV der falsche Weg ist.
Derzeit sind 7.574 der rund 81.000 Berliner Langzeitarbeitslosen auf diese Weise beschäftigt. Doch das Programm ist teuer: Das Arbeitgeberbrutto liegt mit etwa 1.700 Euro deutlich höher als der Hartz-IV-Regelsatz. Das Land erklärt, dass es pro Monat unter dem Strich 279 Euro pro Betroffenen mehr zahlt, als wenn dieser Arbeitslosengeld II bezöge. Mindestens 7,50 Euro pro Stunde sollen die geförderten Beschäftigten verdienen. Der Großteil wird über den Beschäftigungszuschuss vom Bund finanziert. Dazu kommen Gelder des Landes und vom Europäischen Sozialfonds.
ÖBS-Jobs entstehen vorwiegend im sozialen Bereich. Für eine Stelle kommt nur infrage, wer seit mindestens zwei Jahren arbeitslos gemeldet ist. Die Chancen der Betroffenen, eine reguläre Arbeit zu finden, müssen besonders schlecht sein - etwa weil sie keinen Schulabschluss haben, mangelhaft Deutsch sprechen, obdachlos sind, Vorstrafen, Suchtprobleme oder hohe Schulden haben. Offizielle Angaben darüber, wie viele Menschen tatsächlich den Sprung aus dem ÖBS in den ersten Arbeitsmarkt schaffen, gibt es nicht.
Einen etwas anderen Weg ist man in den letzten Jahren mit Modellprojekten zur "Bürgerarbeit" gegangen. Bürgerarbeit geht auf die Initiative von Rainer Bomba, ehemaliger Geschäftsführer der BA für Sachsen-Anhalt-Thüringen, heute Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, und Reiner Haseloff, Arbeitsminister von Sachsen-Anhalt (CDU), zurück. In strukturschwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in Gerbstedt (Sachsen-Anhalt) oder Hof (Bayern), finanziert man Langzeitarbeitslosen ohne Jobperspektive lieber gemeinnützige Arbeit als Arbeitslosigkeit. Die Beschäftigten erhalten einen Arbeitsvertrag und Gehalt, die Gelder dafür kommen vom Bund, aus den Kommunen und gleichfalls vom Europäischen Sozialfonds.
"Bürgerarbeit ist eines der teuersten Instrumente, die wir haben", gibt Rainer Bomba offen zu. Die Rechnung geht seiner Meinung nach aber trotzdem auf: Denn im Unterschied zu Krafts Modell geht es nicht nur darum, Langzeitarbeitslosen eine gemeinnützige Tätigkeit zu vermitteln. In einem Stufenmodell werden vorher alle Arbeitslosen am Ort erfasst und "aktiviert". Das Ergebnis: Einige melden sich vom Hartz-IV-Bezug ab, andere kommen in Qualifizierungsmaßnahmen und nur die "hoffnungslosen Fälle" in die Bürgerarbeit. In Gerbstedt drückte man so die Arbeitslosenquote von 23 auf 7 Prozent. Das Modell soll laut Haseloff bald auf alle 16 Bundesländer ausgeweitet werden.
ANJA HUTH, ARBEITSAGENTUR
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