Harald Wolf über Streit in der Linkspartei: „Ich hoffe, ich habe das Ohr aller“
Der neue Bundesgeschäftsführer der Linken, Harald Wolf, versucht sich an der kniffligen Aufgabe, die Partei zusammenzuführen.
taz: Herr Wolf, Sie sind seit dem Wochenende neuer Bundesgeschäftsführer der Linkspartei. Ihr Vorgänger, Matthias Höhn, ist zurückgetreten, weil er im schwelenden Streit zwischen Partei- und Fraktionsvorstand zwischen die Fronten geraten ist. Das kann Ihnen nicht passieren?
Harald Wolf: Eine Garantie gibt es nicht. Das ist derzeit keine einfache Situation in der Linken, das ist ja offensichtlich. Doch die Turbulenzen um personelle und politische Auseinandersetzungen sind das eine, gleichzeitig haben wir in diesem Jahr 7.000 neue Mitglieder hinzugewonnen und das zweitbeste Wahlergebnis unserer Parteigeschichte erzielt. Wir müssen wegkommen von der personalisierten Diskussion, von den gegenseitigen Verletzungen und uns den anstehenden inhaltlichen Fragen zuwenden.
Welche sind das?
Eine zentrale Frage ist, wie wir die Menschen, die aus den urbanen Milieus ihren Weg in die Linkspartei finden, adressieren und gleichzeitig auf die Verluste im ländlichen Raum in den ostdeutschen Bundesländern reagieren. Wir müssen aus dieser falschen Polarisierung rauskommen und versuchen, beides zu verbinden. Das wird keine einfache Aufgabe.
Die Neumitglieder kommen vorwiegend aus dem akademisch gebildeten, urbanen Milieu, bei Arbeitslosen und einfachen Arbeitern kommt die Partei dagegen immer weniger an. Muss man sich nicht in Zukunft stärker fokussieren?
Nein, ein Entweder- oder ist falsch. Für uns ist klar, dass die soziale Frage ganz vorn steht. Wir müssen unsere Präsenz in den sozialen Brennpunkten verstärken. Aber unter prekärer Beschäftigung leiden nicht nur sogenannte Modernisierungsverlierer, sondern auch junge Akademiker, die nur befristete Verträge bekommen.
Mit 21 von 30 Stimmen hat der Parteivorstand der Linken am Samstag die Ernennung von Harald Wolf zum kommissarischen Bundesgeschäftsführer gebilligt. Zwei der Anwesenden enthielten sich, sieben stimmten dagegen. Kritik gab es vor allem am Verfahren: Nachdem Ex-Geschäftsführer Matthias Höhn am Donnerstag seinen Rücktritt verkündet hatte, präsentierten die Parteivorsitzenden Wolf am Freitag. Der ehemalige Berliner Wirtschaftssenator gehört zum Reformerflügel, gilt jedoch als einer, der verbindet und nicht polarisiert. Wichtige Qualitäten angesichts der eisigen Stimmung zwischen Fraktions- und Parteivorsitzenden.
Im Streit darüber, wen die Linke künftig repräsentiert, steht die Parteivorsitzende Katja Kipping für die grünen Hipster, während sich Sahra Wagenknecht zur Anwältin der einfachen Arbeiter macht, die Angst vor Zuwanderern haben. Sehen Sie sich in der Lage, die verhärteten Fronten zwischen der Parteiführung und der Fraktionsführung aufzuweichen?
Ich sehe mich nicht als Kandidat eines Lagers, sondern bin kommissarischer Geschäftsführer für die gesamte Partei. Meine Aufgabe wird auch keine reine Vermittlungsfunktion sein. Wir müssen versuchen, diese innerparteiliche Debatte zu öffnen und auch Vertreter von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften mit zu Wort kommen lassen. Denn wenn es um die Spaltung der Gesellschaft geht, um den Rechtsruck, stehen andere doch vor ähnlichen Problemen wie die Linkspartei.
Wie verbindet man die verschiedenen Milieus?
Indem wir eine humanitäre Flüchtlingspolitik mit sozialen Fragestellungen verbinden. Wenn Unternehmen im Verbund mit FDP und Union versuchen, den Mindestlohn auszuhöhlen, indem die Dokumentationspflicht verwässert wird und Ausnahmeregelungen für Flüchtlinge und PraktikantInnen wollen, dann weckt das Konkurrenzängste. Es geht in diesem Fall darum, das Verbindende herauszuarbeiten und den Mindestlohn zu verteidigen.
Haben Sie mit dieser Argumentation auch das Ohr der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht?
Ich hoffe, ich habe das Ohr aller Parteimitglieder.
Sahra Wagenknecht hat sich in einem Interview mit der Welt gegen wirtschaftlich motivierte Migration ausgesprochen. Diese müsse verhindert werden, indem die Menschen zu Hause eine Perspektive bekämen, und wieso könne Deutschland seine Fachkräfte nicht selbst ausbilden. Wie stehen Sie dazu?
Ich sehe nicht, wieso die Fachkräfteausbildung nur auf Deutsche beschränkt sein soll. Wir bilden in den Betrieben und an den Hochschulen längst auch ausländische Fachkräfte aus. Im Übrigen ist es gut, dass wir die Diskussion über Einwanderung jetzt führen, und zwar zunächst in den Gremien. In der letzten Zeit haben wir solche Debatten zu oft außerhalb der Gremien geführt, das war ein Fehler. Wir werden im Parteivorstand im Dezember eine offene Diskussion über das Konzept eines linken Einwanderungsgesetzes beginnen.
wurde 1956 in Offenbach geboren. Er war von 2002 bis 2011 Berliner Wirtschaftssenator. Wolf hat den Koalitionsvertrag der gegenwärtigen rot-rot-grünen Regierung mit verhandelt.
Ob man überhaupt ein Einwanderungsgesetz braucht, ist innerhalb der Linkspartei heftig umstritten, wie lange wird es dauern, bis es kracht?
Wir werden ohne schnellen Entscheidungsdruck das Für und Wider abwägen. Wir nehmen uns Zeit, weil wir sonst wieder in die Polarisierungslogik verfallen. Richtig ist, dass es in der Partei ein breites Spektrum gibt von denjenigen, die dagegen sind, Einwanderung nach Nützlichkeitskriterien zu regulieren, weil das bedeutet, dass wir uns die Rosinen herauspicken, bis zu jenen, die sagen, wir müssen Einwanderung zum Zwecke der Arbeitsaufnahme regeln, ohne in die Falle des „Nützlichkeitsrassismus“ zu tappen. Das sollten wir alles intensiv miteinander diskutieren.
Eine weitere Aufgabe, die auf Sie zukommt, wird die Vorbereitung des Europawahlkampfs sein. Auch in ihrer Haltung zur Zukunft der EU ist die Linkspartei zerstritten. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe klar gemacht, dass wir sehr frühzeitig damit beginnen müssen, zu diskutieren, mit welchen Positionen wir in die Europawahl gehen. Ich selbst bin Mitglied der Initiative „Europa neu begründen“, ich habe eine grundsätzlich positive Haltung zur europäischen Einigung, deshalb kritisiere ich die gegenwärtige neoliberale Verfasstheit der EU grundlegend. Die gegenwärtige deutsche Europapolitik mit der verordneten Austerität ist der Nährboden für Nationalismus und Rechtspopulismus.
Sie müssen also die heißesten Themen, die es in der Linkspartei gibt, angehen, und das in einer Zeit größtmöglicher Spannungen. Wieso hatten Sie Lust, den Job als Bundesgeschäftsführer zu übernehmen?
Wenn es einfach wäre, wäre es doch langweilig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren