: „Happy Days“ in Israel
Russische Einwanderer betreiben die beiden einzigen Weihnachtsmärkte in Israel. Dennoch feiern sie gern beide Feste
AUS TEL AVIV CHARLOTTE MISSELWITZ
Die Sonne scheint. Es ist warm. Doch Alexander Selenzov steht in roter Weihnachtsmütze auf dem zentralen Busbahnhof in Tel Aviv und grinst. Neben ihm geschmückte Tannen, auf Tischen laufen Santa-Claus-Roboter herum. Überall flimmern Lichterketten. „Einige Israelis brauchen eine Weile, um zu verstehen, dass es sich um einen Weihnachtsmarkt handelt“, sagt er.
Der 40-jährige Russe zeigt stolz auf die rund 80 Meter lange Standreihe und meint: „Das ist der größte Weihnachtsmarkt in ganz Israel.“ Es gibt auch noch einen zweiten. In Haifa. Aber der ist kleiner. Und wie geht das Geschäft? „Großartig!“ Insgesamt arbeiten hier neun Leute. Ab und zu wagen sich auch Israelis an die Tische und kaufen sogar. „Sie finden es hübsch“, erklärt der Einwanderer in Moskauer Mundart. Gewinnt das provokativste Fest für Juden, der Beginn des Christentums, an Boden in Israel?
Selenzov ist vor 13 Jahren nach Israel gekommen. Anfangs betrieb er mit einem Freund in der oberen Ebene des Bahnhofs einen Buchladen. „Dann, vor sieben Jahren kam dieser Palästinenser.“ Es war ein christlicher, erzählt Selenzov. „Der stellte Weihnachtsglas bei uns ab.“ Die russischen Kunden rissen sich drum.
Selenzovs buschige Augenbrauen, der dunkle Bart mit den weißen Strähnen, die Löckchen unter der roten Zipfelmütze – Juden geben perfekte Weihnachtsmänner ab. Er hat kein Problem damit, als Jude Weihnachtsutensilien zu verkaufen. Die Frage, ob mit der Geburt von Christus alles schwieriger für sein Volk wurde, stellt sich für ihn nicht. „Weihnachten in Russland, das ist vor allem Tradition, nicht religiös. Es geht um Väterchen Frost und das russische Neujahr.“
Selenzovs Lieferant von vor sieben Jahren, Hany Karram, der christliche Palästinenser, hat mittlerweile auch ein großes Geschäft. Etwa ein Fünftel der 6,4 Millionen Einwohner Israels sind russischsprachig. Da fehlt es kaum an Kunden für die Firma „Karram Import“. Die Verbindung zu den Russen durch Weihnachten ist für ihn im doppelten Sinne des Wortes „bereichernd“. Der 42-Jährige kauft seine Ware in Deutschland, Holland oder Polen. „Wir liefern den Russen nicht alles, beispielsweise keine Engel oder Krippenspiele.“
Karram erinnert sich noch genau an die Anfänge. „Heute ist es anders. Aber früher kamen russische Kunden, denen musste ich den Weihnachtsbaum einwickeln. Die haben oft heimlich gefeiert, weil sie ja als Juden eingewandert waren.“ Er kann mehr über Russen erzählen als über alteingesessene Israelis. „Ich bin hier geboren, weiß aber nicht, was Chanukka bedeutet. Da zündet man in sieben Tagen sieben Kerzen an, oder?“ Fast richtig, es sind acht Tage und neun Kerzen.
In den Geschäften um den Weihnachtsmarkt am Busbahnhof, ist die Chanukka-Gegenwerbung schwer zu finden. Dabei fällt dieses Jahr Chanukka und Weihnachten auf denselben Tag. Eine große israelische Kleiderkette hat ein paar rote Schilder im Laden aufgestellt. Darauf steht: „Happy Days“. Die Verkäuferin schüttelt aber den Kopf auf die Frage, ob das wegen „Chanukka“ sei. Die Schilder machen lediglich Werbung für Verkaufstage zum halben Preis. „Kommen Sie wieder an Chanukka, dann haben wir hier vielleicht einen Chanukka-Leuchter“, tröstet sie.
Ina Gajetzki, die rothaarige Verkäuferin von gegenüber kann da eher weiterhelfen. „Hier, dieses Blüschen hab ich für meine Tochter zu Chanukka gekauft“, sagt sie auf Russisch. Acht Abende lang zünde sie immer eine Kerze mehr an. Im Jahr 1994 ist sie aus der Ukraine eingewandert.
Ob sie auch Weihnachten feiert? „Natürlich! Wir machen das ganze Programm: Chanukka, Neujahr und Weihnachten im Januar!“ Die kleine Frau klingt feierfreudig. 15 Jahre nach dem Zerfall des Ostblocks, der die größte russische Einwanderungswelle brachte, ist Weihnachten keine heimliche Angelegenheit mehr. In Selenzovs Weihnachtsmarkt bekommt Gajetzki ihre Sachen fürs Weihnachts- und Neujahrsfest. Dazu gehört, dass Freunde zu Besuch kommen und man gemeinsam im russischen Fernsehkanal das Weihnachtsprogramm schaut. „Dann trinken wir Champagner, unter der Tanne liegen Geschenke und es gibt – Schwein.“ Die 33-Jährige kichert. Schwein ist ganz und gar nicht koscher.
Weihnachten und Chanukka sind für Gajetzki „zwei verschiedene Dinge“. Inmitten der Kleider, die sie verkauft, erzählt sie: „Als ich ein Kind war, haben meine Eltern nicht nur Chanukka, sondern für mich auch Weihnachten gefeiert. Ich war doch in einem russischen Kindergarten. Hier ist es nun umgekehrt: Meine Tochter ist in einem israelischen Kindergarten, also bekommt sie Chanukka.“ Die russische Jüdin meint, Weihnachten sei ihr lieber. Die Chanukka-Doughnuts und kleinen Geschenke für Kinder sind nichts im Vergleich zum weihnachtlichen Pomp. „Nur sehen Sie die Sonne! Mir fehlt die Kälte, der Schnee. Ich hab genug vom guten Wetter. Das ist nicht richtig Weihnachten!“ Nein, das ist Weihnukka – Gajetzki nickt, ihr gefällt das Wort, auf Russisch: „Roschnukka.“