Handelsriese liegt im Sterben: Schlussverkauf für Karstadt
Der Handelsriese Arcandor ist in der Kreditklemme. Ihm fehlen 900 Millionen. Mit seinen beiden Töchtern Karstadt und Quelle sind jetzt auch 12.500 Mitarbeiter gefährdet.
Die Malls: Einkaufszentren verfügen über eine Mietfläche von mindestens 10.000 Quadratmetern. 1965 existierten in Deutschland 2 Shopping-Center. Laut dem Kölner Eurohandelsinstitut EHI gab es bis Ende 2008 414 Malls in Deutschland. Bis Ende 2010 wird mit 450 Shopping-Centern gerechnet, mit dann voraussichtlich insgesamt 13 Millionen Quadratmetern Einkaufsfläche.
Die Betreiber: Die drei größten Betreiberunternehmen in Deutschland sind ECE, Metro und mfi. Allein das größte Unternehmen ECE betreibt in Deutschland 79 Shopping-Center mit einer Mietfläche von 2.344.965 Quadratmetern (Stand 2008).
Die Länder: Die höchste Flächendichte von Malls existiert in Brandenburg. Dort kommen auf je 1.000 Einwohner 301 Quadratmeter Einkaufsfläche, in Bremen 295, in Sachsen-Anhalt 280. Das Land mit der geringsten Fläche pro 1.000 Einwohner ist Niedersachsen (57 Quadratmeter). Die meisten (60) Zentren gibt es in NRW, gefolgt von Bayern (42) und Sachsen (41).
Der Essener Warenhaus- und Touristikkonzern Arcandor kämpft ums Überleben. Zur Sanierung brauche das Unternehmen mit den Hauptmarken Karstadt, Quelle und Thomas Cook in den kommenden fünf Jahren Kredite von 900 Millionen Euro, sagte Vorstandschef Karl-Gerhard Eick in Düsseldorf. Zudem müssen bestehende Kreditlinien von 950 Millionen Euro bis zum Jahresende verlängert werden. Über eine Insolvenz von Arcandor wollte Eick, der erst seit März Vorstandsvorsitzender ist, aber nicht reden: "Ich gehe davon aus, dass wir das Geld zusammenbekommen."
Arcandor gilt seit Jahren als angeschlagen. Allein im Geschäftsjahr 2007/08 hat der Konzern einen Verlust von 746 Millionen Euro eingefahren. Schon im Spätsommer 2005 hatte Eicks Vorgänger als Vorstandsvorsitzender, der Manager Thomas Middelhoff, 73 kleinere Karstadt-Warenhäuser an den britischen Finanzinvestor Dawney Day verkauft. Diese gingen 2008 unter dem Namen Hertie in Konkurs, ebenso die ehemaligen Karstadt-Textiltöchter Sinn Leffers und Wehmeyer. Branchenkenner spekulieren darüber, ob und zu welchen Konditionen Arcandor einen 650 Millionen Euro schweren Kredit refinanzieren kann, der schon Mitte Juni ausläuft.
Kreditgeber ist ausgerechnet ein Konsortium der von der Finanzkrise besonders stark betroffenen Banken Bayern LB, Royal Bank of Scotland und Dresdner Bank. Exkonzernchef Middelhoff hatte bei seinem Abgang im März getönt, er übergebe das Unternehmen zwar "nicht besenrein", aber "gerettet".
Die Banken überzeugen will Vorstandschef Eick mit einem harten Sanierungskurs. So zählen über 1.500 Quelle-Shops, 115 Quelle-Technikcenter, Foto Quelle, aber auch die Nobelkaufhäuser KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger in Berlin, Hamburg und München künftig nicht mehr zum "Kerngeschäft" von Arcandor. Zusammen mit acht weiteren wenig profitablen Karstadt-Filialen sollen sie in eine neu gegründete Gesellschaft namens Atrys ausgegliedert werden. Als "Kerngeschäft" gelten nur noch der Reiseanbieter Thomas Cook, das unter der Marke Primondo gebündelte Versandhandelsgeschäft, 27 Karstadt-Sport-Häuser sowie 81 verbliebene Karstadt-Warenhäuser. Diese sollen aber verstärkt Waren für den Freizeitbedarf anbieten; die Zukunft ihrer Technikabteilungen gilt bei der harten Konkurrenz von MediaMarkt und Co. als unsicher.
Die Warenhausbranche stehe "in hartem Wettbewerb mit Shopping-Centern in den Innenstädten, an Bahn- und Flughäfen, Textildiscountern und nicht zuletzt dem Internet", so Stefan Genth vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels. Treffen wird die Sanierung mindestens 12.500 der rund 86.000 Arcandor-Mitarbeiter. Zwar wollte sich Konzernchef Eick noch nicht dazu äußern, ob es Entlassungen geben wird, doch die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di, Margret Mönig-Raane, blickt schon heute mit einer "gewissen Skepsis" auf den Restrukturierungskurs des Vorstands: Ein Verkauf der drei Aushängeschilder KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger "wäre eine grundlegende Fehlentscheidung", warnte sie.
"Jeder Mitarbeiter, jede Beschäftigte trägt schon heute mit durchschnittlich 2.500 Euro pro Jahr zur Sanierung von Arcandor bei", betont auch Ver.di-Sprecherin Cornelia Haß: "Auf Weihnachts- und Urlaubsgeld wird schon seit Jahren verzichtet." Ausdrücklich unterstützt die Gewerkschaft die Bemühungen des Arcandor-Vorstands um staatliche Unterstützung. "Herr Eick hat mit den zuständigen Ministerien in Berlin, aber auch an unserem Konzernsitz in Nordrhein-Westfalen gesprochen", so Konzernsprecher Gerd Koslowski zur taz. Entscheidungen seien aber noch nicht gefallen. "Viel zu früh" sei es für eine Diskussion über Staatsbürgschaften, ist auch aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf zu hören: "Arcandor braucht erst einmal Banken, die Kredite geben wollen. Erst wenn die bereitstehen, können wir über Bürgschaften reden", sagt der Kenner.
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