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Hamburgs Kunstverein wird 200Die Kunst des Jubiläums

Hamburgs Kunstverein feiert sein 200-jähriges Bestehen mit einer Schau, für die er heutige Künstler beauftragt hat, sich mit seiner Geschichte zu befassen.

Kunst fürs Jubiläum: 3 Hamburger Frauen, Old Fashioned, Wandarbeit, 2017 (Ausstellungsansicht) Foto: Fred Dott

Es ist eine der ältesten Institutionen ihrer Art: Seit 200 Jahren setzt der Kunstverein in Hamburg sich für die Moderne ein. Was mit salonmäßigen Treffen eines kleinen Kreises kunstsinniger Patrizier begann, führte zu Ausstellungen und Ankäufen wie dem „Eismeer“ von Caspar David Friedrich, zur Gründung der Hamburger Kunsthalle und in den 1930er-Jahren zu einem eigenen Haus des Bauhaus-Architekten Karl Schneider. Der Kunstverein zeigte Heimatbilder ebenso wie französische Impressionisten. Immer war man auch politisch engagiert. Bis 1936 wurde versucht, der Kunstpolitik des NS-Staates zu trotzen. Erstmals in der BRD gab es 1975 eine Einzelausstellung eines DDR-Malers und 1985 die erste „Biennale des Friedens“.

Wie ist so ein Jubiläum zu feiern? Historische Fakten ausbreiten und sich selbst loben? Oder ein „Best of“ von attraktiven Impressionisten bis zu aktueller Politkunst aufhängen und aus ganz unterschiedlichen Konzepten einen natürlichen Ablauf behaupten?

Bettina Steinbrügge und Corinna Koch haben statt Selbstlob und Retrospektive lieber gegenwärtige Künstler beauftragt, sich auf der Basis ausgewählter Archivalien mit der Geschichte des Vereins und der gezeigten Kunst zu befassen. Erst hat das Kunstgeschichtliche Seminar unter Professor Uwe Fleckner zum Kunstverein geforscht, dann entwickelten die Kuratorinnen aus dem Material zehn Schwerpunkte, die sie Künstlern zur Bearbeitung vorlegten. So konnte ermüdende Vollständigkeit vermieden und die Kunstvermittlung selbst zur Kunst werden.

Den Rahmen dafür bietet eine Melodie potenzieller Räume: Der Berliner Künstler Olaf Nicolai rhythmisierte den großen Ausstellungsraum und stattete ihn mit ornamentalen Tapeten aus. Sie zeigen Zeichnungen zur revolutionären, multifunktional verstellbaren Wandkonstruktion, die Karl Schneider 1930 für das Kunstvereinsgebäude in der Neuen Rabenstraße entworfen hatte.

Schon auf der Treppe beginnt alles mit einer Revue von Kernsätzen zu Bildfindung und Formfindung einst ausgestellter Künstler. Franz Erhard Walter hat sie ausgewählt – hier nicht der Künstler seiner Aktionselemente, sondern ganz Theorie-Professor.

Ein weiterer Professor der Hochschule für bildende Künste, Werner Büttner, hat Köpfe der Vereinsleitung samt speziellen Charakterisierungen zu einer Art Hall of Fame zusammenstellt. Ganz ohne Auflistungen geht es eben auch nicht.

Und manchmal wird sogar recht seminarhaft mit dem Material umgegangen, etwa wenn Katrin Mayer die erste größere Schau von DDR-Kunst von 1982 rückwirkend korrigiert und in kleinen Referenzbildchen um die zur gleichen Zeit dort arbeitenden Künstlerinnen ergänzt, die damals keinerlei Erwähnung fanden.

Eigentlich fällt die ganze Ausstellung unter das Label Institutionskritik

Als Referenz an das scheinbar unschuldige Thema der Landschaftsmalerei zeigt die Berliner Kunstfotografin Beate Gütschow eine Reihe von Bäumen. Die haben Geschichte gesehen. Vom Bau des damals höchst modernen Zellengefängnisses Moabit 1849 bis zu dessen Nutzung durch die Gestapo.

Im hintersten Raum geht es verschärft um die Konstruktion von Erinnerung, hier am besonders problematischen Beispiel des Holocausts. Dort steht ein großes Modell der Eingangssituation des KZ Mauthausen, mit übertrieben burgähnlichem Tor und mit Eisenbahngleisen. „Ja, ich weiß, da waren keine Gleise“, sagt der Modellbauer im dazugehörigen, eindrucksvollen Video des in Berlin lebenden ­Israeli Dani Gal, „aber die Amerikaner wollen das so.“ Und kleiner und dünner sind die dramatisierenden Gleise leicht schräg mit weiteren Gleisen überlagert, den Schienen für die Kamerafahrt. Primär-Erinnerung verblasst angesichts der Filmrealität.

Wenn Hitlers Architekt Albert Speer und der Nazijäger Simon Wiesenthal gemeinsam als Freunde im Wiener Haus von Wittgenstein philosophieren, wird neben kaum glaubhaften Fakten vor allem eins klar: Jede Erinnerung muss zu ihren Inhalten die Art des Erinnerns selbst mitdenken.

Oder wie Dani Gal sagt: Wir können nicht über Geschichte reden, ohne über die Geschichtskonstruktion zu reden. Auf die ausdrücklich – und eher ironisch – „The History Show“ genannte Ausstellung zu 200 Jahren Kunstverein angewandt, heißt das, Kunst niemals für abgeschlossen zu halten, auch die zu Klassikern geronnene nicht.

Eigentlich fällt die ganze Ausstellung unter das Label „Institutionskritik“. Im engeren Sinne dokumentiert dazu der in Berlin lebende Schweizer Konzeptkünstler Christian Philipp Müller den Verbleib von sieben ovalen Tischen, die 1996 von Rirkrit Tiravanija für den Kunstverein entworfen wurden und organisiert in Anlehnung an früher abgelehnte Konzepte einen Möbeltausch.

In der Spannung zwischen maximaler Aufforderung und faktischer Unsichtbarkeit ließ der Slominski-Schüler und Hamburg Stipendiat von 2012, Burk Koller, ein Flugbanner mit kafkaesken, weil ungerichteten Aufrufen über das Gebäude fliegen: „Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns!“ Solche 100 Jahre alten Lockrufe gelten nun für das ganze Jahr: Bis zum offiziellen Jubiläumsfestakt im September gibt es zahlreiche weitere Ausstellungen, Diskussionen und Publikationen – zumeist in Kooperation mit den anderen Hamburger Kulturinstitutionen wie der Kunsthalle und dem Schauspielhaus.

Wem dies alles zu kopflastig ist, der kann sich an die schillernden Oberflächen der Kupferzelte des Rumänen Daniel Knorr halten oder das Thema wechseln und im unteren Raum eigenartig organische Skulpturen in ästhetischer Raumorganisation bewundern. Diese zusätzliche Präsentation stammt von der lettischen Künstlerin Daiga Grantina. Sie erhielt als eine von fünf jungen Kunststars 2016 das Reisestipendium des Vereins „Neue Kunst in Hamburg“, eines anderen, jüngeren Bürgerclubs zur Kunstförderung, gegründet 1986.

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