Hamburger Wahlszene: Headliner Christian Lindner fischt hart rechts
Bei den Liberalen heißt es Schlange stehen: Länger, als das benachbarte Klinkergebäude breit ist, stehen die Leute am späten Mittwochnachmittag in der frostigen Hamburger Speicherstadt herum, ab und zu geht es einen, zwei Schritte vorwärts Richtung des ehemaligen Hauptzollamts. In der so hübsch wie verwechselbar hermodernisierten Event-Immobilie setzte Anfang 2020 die Hamburger FDP schon ihren Wahlkampfauftakt in Szene. Damals ging es nur um die Bürgerschaft – aber es war die absehbar einzige Landtagswahl in jenem Jahr, mithin eine „auf Bundesebene ausgedeutete“, so formulierte es damals der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner.
Der ist auch diesmal angekündigt und wird vielleicht noch mehr als 2020 der Headliner sein bei diesem „zentralen Wahlkampf-Event“. Neben der turnusgemäßen Bürgerschafts- will damit auch für die Bundestagswahl mobilisiert werden, dass beide nicht am selben Wochenende stattfinden, sondern an zwei aufeinander folgenden, daraus wird später noch eine Rednerin dem rot-grünen Hamburger Senat einen Vorwurf zimmern. Dass draußen angestanden werden muss, ist wohl auch diesem doppelten Anlass geschuldet, das Wahlkampf-Event wirkt, als sei es von den politischen Ereignissen überholt, aber nicht neu konzipiert worden.
Drinnen angekommen nach wenigstens 15 Minuten in der Schlange, gibt es keine freien Garderobenhaken mehr, und es geht das Gerücht, die Feuerwehr könnte den Zugang beschränken aus Sicherheitsgründen, Lindner verkündet später tatsächlich: Die Bude ist voll.
Erstmal spricht aber die Hamburger Landesvorsitzende Sonja Jacobsen, zu sehen ist sie dabei nicht für alle im Raum. Auch den Screen mit den Wahlwerbespots kann nur sehen, wer einen Platz davor ergattert hat. „Bitte durchgehen“, werden die Menschen mehrfach ermuntert, „das ist wie im Bus“, den vielleicht gar nicht alle Anwesenden von innen kennen, wer weiß.
Sachte flimmert Geschichtsklitterung aufs Publikum nieder, wenn etwa ein Bogen geschlagen wird von der Entkriminalisierung der „widernatürlichen Unzucht“ zwischen Männern, wie sie §175 des Strafgesetzbuches gefasst hatte, zum Versenken der Ampel-Koalition 2025.
Es sprechen dann noch die Hamburger Bürgerschaftsspitzenkandidatin Katarina Blume und die Bundestagsabgeordnete Ria Schröder; die lobt Lindner für sein Festhalten an der Schuldenbremse gegen alle Widerstände, auch er selbst wird sich ab 18:03 Uhr ein klein wenig auf die Schulter klopfen.
Ob Hamburger Rathaus oder Reichstagsgebäude: Zurücklehnen kann die FDP sich hier wie dort nicht, die Fünf-Prozent-Hürde dräut. Drei Prozent der Stimmen bei der Bürgerschaftswahl prognostizierte ihr soeben das „Politbarometer“ des ZDF. Etwas besser sind die Aussichten im Bund: Eine frische Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL legt einen Wiedereinzug in den Bundestag nahe.
„33 oder 31 Prozent – das macht für die CDU keinen Unterschied, wenn man mit SPD oder mit Grünen verhandeln muss. Aber vier oder sechs Prozent für die FDP ändert alles“: Diese Formel wird Lindner in seiner frei gehaltenen Rede vor vollem Hamburger Haus in Umlauf bringen.
Davon sind die Handvoll Protestierender im Saal eher nicht so überzeugt. Mit „der Antifa“ wird so ein Bundespolitiker aber recht souverän fertig, größere Probleme hätte er, sagt Lindner, würde „hier die Handelskammer protestieren“. Es gibt mit der Wirtschaft sogar ein Thema, das nicht „ungeregelte Migration“ heißt, aber die nimmt immer noch viel Raum ein. Lindner spricht auch von Denkfehlern der „törichten“ politischen Rechten. Aber sein Appell, die Kader und Ideologen extremer Parteien dürften nicht verwechselt werden mit ihren Wählern, und diese gelte es zurückzuholen in die, eben, Mitte: Auf diese Weise fischt die FDP auch 2025 wieder ausschließlich hart rechts. Alexander Diehl
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