Hamburger Stiftung erinnert an Max Emden: Magnat, Mäzen, Enteigneter
Eine Biografie wie ein bitterer Krimi: Ulrich Brömmlings neues Buch über den Kaufhauserfinder und Kunstmäzen Max Emden (1874–1940).
Licht nicht nur in dieses Dunkel bringt nun die 1907 gegründete Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung mit dem ersten Band ihrer neuen Reihe „Mäzene für Wissenschaft“. Autor Ulrich Brömmling, spezialisiert auf Familien- und Firmengeschichten, widmete sich dem Gründungsmitglied der Stiftung, dem Hamburger Kaufmann Max Emden, Erfinder von Luxuskaufhäusern wie dem „Oberpollinger“ in München, Lebenskünstler, Kunstsammler und großzügiger Förderer – nicht nur der Universität Hamburg.
1874 in eine hamburgische, vor Generationen aus dem namensgebenden ostfriesischen Emden zugezogene jüdische Kaufmannsfamilie geboren, wurde er 1904, nach einer Lehre im Familienunternehmen und naturwissenschaftlichen Studien, Teilhaber der Firma M. J. Emden Söhne. Als En-gros-Lager, ursprünglich für Kurzwaren, betrieb sie eigene Verkaufsfilialen, früh auch in den Landen des 1834 gegründeten Deutschen Zollvereins, und war zudem Lieferant, Ausstatter wie Versicherer für etwa 200 eigenständige „Detailgeschäfte“. Dieses Geschäftsmodell, eine frühe Form des „Franchising“, verfeinerte und erweiterte Max Emden, unter anderem, indem er nun eigene Warenhäuser gründete.
Am Beginn stand etwa der erwähnte Oberpollinger nahe dem Stachus in München: Zur Eröffnung 1905 überschlug sich die Lokalpresse, attestierte der „hanseatischen Kaufmannsfamilie“, „den Atem der großen weiten Welt“ durch den mondänen Bau wehen zu lassen, den der Theaterarchitekt Max Littmann mit glasüberdachtem Lichthof und vier Personenaufzügen ausgestattet hatte. 1907 folgte das „Kaufhaus des Westens“, kurz KaDeWe, im ökonomisch wie kulturell aufstrebenden neuen Westen Berlins. War die Firma M. J. Emden Söhne 1905 bereits an 16 Standorten in Hamburg sowie in allen größeren deutschen Städten präsent, kamen bis zum Ende der 1920er-Jahre noch das „Allas“ in Stockholm, das „Corvin“ in Budapest, Niederlassungen in New York, Südamerika und Asien hinzu.
Ulrich Brömmling: Max Emden. Hamburger Kaufmann, Kaufhauserfinder, Ästhet und Mäzen. Wallstein Verlag 2020, 188 S., 29 Euro, mit DVD „Auch Leben ist eine Kunst – Der Fall Max Emden“ von André Schäfer und Eva Gerberding (2019)
Lesungen: heute, 6. 10., Golfclub Falkenstein; Do, 29. 10., Hamburger Kunsthalle; Anmeldung unter info@h-w-s.org
Vom Geschäft zum Sport
Dieses weltumspannende Firmenimperium, wie man heute zu sagen pflegt, sicherte Max Emden ein standesgemäßes Leben und ermöglichte sein vielfältiges mäzenatisches Engagement. Er erwarb den Poloclub in Klein Flottbek – ein Sport, den er selber begeistert betrieb –, erbaute 1906 in direkter Nachbarschaft seine Villa Sechslinden (das heutige Jenisch-Gymnasium) mit einer leider verloren gegangenen, großen Parkanlage des Gartenreformers Leberecht Migge. Angrenzende Terrains sicherte er für das Springderby, er wirkte zudem im Golfclub Falkenstein, nicht nur als Gönner, sondern, diskret in der zweiten Reihe, als Schriftführer.
Umtriebig agierte er als Kunstsammler, er kaufte und verkaufte: Liebermann, Spitzweg, van Gogh, Feuerbach und drei Veduten von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto. Er unterstütze Ankäufe der Hamburger Kunsthalle, wurde 1922 in die Verwaltungskommission des Hauses berufen. Allein diese Facette seines Lebens böte Stoff für ein eigenes Buch, so Brömmling. Bis heute lässt sich sein privater Kunstbesitz nicht rekonstruieren, ein Umstand, der die Provenienzforschung und Restitution erschwert.
Als Ästhet durch und durch teilte Max Emden aber auch öffentlich aus, kritisierte bereits 1909 in seiner Schrift „Hamburger Baukunst“ seine Heimatstadt, „heute in baulicher Beziehung der trostloseste, hässlichste Steinhaufen“, benannte namentlich die Urheber dieser Malaise. 1919 wagte er sich an eine krude Schelte der internationalen Arbeitswelt, machte die Industrialisierung für Verluste in Kultur, Wissenschaft und dem Glück der Menschheit verantwortlich. Er selbst freilich genoss ein luxuriöses Leben in vollen Zügen – zumindest im oberflächlichen Augenschein seiner zahlreichen Kritiker.
1926 verkaufte Emden die meisten seiner Warenhäuser an die Karstadt AG, erwarb 1927 die zwei Brissago-Inseln auf der Schweizer Seite des Lago Maggiore, Kanton Tessin. 1928 packte er dann die Koffer, entfloh Engstirnigkeit und Hässlichkeit der Großstadt – für immer. Emdens herrschaftliches Insel-Refugium mit kleinem Hafen plante der Berliner Architekt Alfred Breslauer, der Hausherr legte wohl selber Hand an bei der Kultivierung eines botanischen Gartens. Gerüchte rankten sich fortan um lockeres Treiben auf der Insel mit vielen prominenten Gäste aus dem Ausland. Der nicht makellose Ruf des geschiedenen Emden mit seiner 36 Jahre jüngeren Gefährtin stand 1934 (aktenkundig denunziert) dem Erwerb der schweizerischen Staatsbürgerschaft nicht im Wege.
Dieser Status konnte nicht verhindern, dass Max Emden als ethnischer Jude den Zugriffen des NS-Regimes ausgeliefert war, obwohl bereits als Schüler zum protestantischen Christentum konvertiert. Seine deutschen Vermögenswerte und verbliebenen Geschäftsanteile wurden „arisiert“, er musste unter Wert verkaufen. Trennen musste er sich auch von Teilen seiner in die Schweiz geretteten Kunstsammlung, so etwa den drei Canaletto-Veduten. Sie kamen 1938 in London unter den Hammer. Ein Gewährsmann der Kommission zur Verwertung „Entarteter Kunst“ sicherte sie gegen einen Schnäppchenpreis für Hitlers geplantes „Führermuseum“ in Linz.
Späte Gerechtigkeit
Nach 1945 fielen sie dann, wie anderer NS-Besitz, der Bundesrepublik zu. Jahrelang hing der „Zwingergraben“ im Bonner Amtssitz des Bundespräsidenten, erst Horst Köhler ließ ihn 2005 abhängen, als seine Provenienz ruchbar wurde. Aber es dauerte noch weitere 14 Jahre, bis sich das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensangelegenheiten dem Votum der Limbach-Kommission anschloss, ihn als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu restituieren. Die Erben Emdens erhielten noch den zweiten Canaletto, der dritte war bereits fälschlich in die Niederlande gelangt.
Max Emden starb 1940 im 66. Lebensjahr, gesundheitlich wie materiell erschöpft. Wie ein bitterer historischer Kriminalroman liest sich das Buch von Ulrich Brömmling, selbst wenn die Gliederung nach assoziativ titelgebenden Bildern der ehemaligen Sammlung Emden einen originellen, aber recht sprunghaften Zugriff aufs Thema bietet. „Auch Leben ist eine Kunst“ zierte als Schriftzug sowohl die Hafeneinfahrt als auch den Kaminsims der Brissago-Villa. Man ist geneigt, hinter dem schönen Schein eine gehörige Portion zweifelnden Zynismus zu wittern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern