Hamburger Kommunalpolitik: Senat will Bezirkschefs bestimmen
Rot-Grün will Bezirksamtsleiter:innen ohne Wahl durch die Bezirksversammlungen ernennen, wenn diese sich neun Monate lang nicht einigen können.

Die Bezirksamtsleitungen sind in Hamburg die Verwaltungsspitzen der sieben Bezirke, die mit je 130.000 bis 450.000 Einwohner:innen Großstadtgröße erreichen. Die Bezirksämter sind die zentralen Schnittstellen der Verwaltung für die Bürger:innen und verwalten essenzielle Aufgaben wie Baugenehmigungen, Sozialhilfe, Jugendhilfe, Grünflächenpflege und lokale Infrastrukturprojekte.
Eine Bezirksamtsleitung übernimmt die organisatorische und strategische Leitung, setzt politische Beschlüsse um und ist das Bindeglied zur Bezirksversammlung. Diese übt als gewähltes „Kommunalparlament“ demokratische Kontrolle aus, fasst Beschlüsse über lokale Projekte oder Verkehrskonzepte und beeinflusst die Amtsleitung durch ihr Wahl- und Misstrauensvotumsrecht. Sie sichert die demokratische Legitimation der Verwaltung.
Die Wahl der Bezirksamtsleiter:innen regelt das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG), das die Wahl durch die Bezirksversammlungen vorschreibt. Der Senat hat aber ein Letztentscheidungsrecht, das in Hamburgs Status als Einheitsgemeinde wurzelt, in der es keine rechtlich selbstständigen Kommunen gibt, sondern die Bezirke administrative Untereinheiten der Stadt sind.
Bezirke sollen handlungsfähig bleiben
Der Senat schlägt nun eine Ergänzung zu Paragraf 34 vor: Wenn die Versammlung innerhalb von neun Monaten nach Amtsende keinen Vorschlag macht, kann der Senat eine Person für die Amtsleitung ernennen. Der Entwurf erfasst bei Inkrafttreten auch bestehende Vakanzen. Vor der Bestellung muss die Versammlung innerhalb von zwei Monaten angehört werden und hat noch die Chance, selbst zu wählen.
In Zeiten von Fachkräftemangel, Digitalisierung und steigenden Ansprüchen an eine „moderne, serviceorientierte Verwaltung“ solle so sichergestellt werden, dass es jederzeit „eine handlungsfähige politische Leitung“ gibt, begründet Andreas Dressel (SPD), Senator für Finanzen und Behörden, die Änderung. „Hängepartien“ belasteten die Verwaltung und gefährdeten die Handlungsfähigkeit bei Themen wie Wohnungsbau oder Infrastruktur.
Insgesamt sei der Gesetzentwurf „ein guter Kompromiss zwischen Wahrung der Rechte der Bezirkspolitik und den gesamtstädtischen Interessen an handlungsfähigen Bezirken“, betont er. Der Änderungsvorschlag sei ein Einstieg „in weitergehende Reformüberlegungen für unsere Bezirke“.
Die CDU-Fraktion kritisiert die Änderung. „Für die Unabhängigkeit von Bezirken ist die Überlegung des Senats eher als Drohung zu verstehen“, sagt Kaja Steffens, Sprecherin für Bezirke. Der Senat nehme so „direkten politischen Einfluss auf die Bezirksversammlung und die darin beschlossenen politischen Maßnahmen“. Politische Entscheidungen im Bezirk könnten gestoppt und auf die lange Bank geschoben werden, „bis der Senat die nach seinem Empfinden richtige Personalie als Bezirksamtsleiter implementiert hat“, befürchtet Steffens.
Kritik aus der Opposition
Es gehe dem Senat dabei um die Erweiterung seiner Kompetenzen, „nicht senatsgenehme Entscheidungen in den Bezirken rückgängig zu machen“. Ein Beispiel: der neue Stadtteil Oberbillwerder, wo der Senat die Verantwortung an sich gezogen hatte, weil die neue Mehrheit in der Bergedorfer Bezirksversammlung gegen die Pläne ist.
Auch die Linksfraktion ist gegen die Änderung. „Das ist ein weiterer Angriff auf die leider ohnehin schon begrenzte Hoheit der Bezirke“, sagt ihr bezirkspolitischer Sprecher Marco Hosemann zur taz.
„Wenn der Senat die Handlungsfähigkeit der Bezirke sichern möchte, sollte er lieber etwas gegen die vielen unbesetzten Stellen in den Bezirksämtern tun.“ Zu den jüngsten Vakanzen in den Bezirken Harburg und Nord habe das „Machtgerangel“ der Senatsparteien selbst geführt, SPD und Grüne seien Teil des Problems.
Auch die Partei Volt, in Hamburg in einigen Bezirksversammlungen vertreten, lehnt den Vorschlag ab. Er schwäche die demokratische Legitimation vor Ort. Statt den Bezirken Entscheidungskompetenz zu entziehen, müssten deren Ermessensspielräume erweitert und Teilhabe ausgebaut werden. Volt verweist auf Alternativen wie Stichwahlen oder moderierte Vermittlungsverfahren, um Pattsituationen aufzulösen, ohne die Rechte der Bezirksversammlungen zu beschneiden.
Konflikte in Harburg und Nord
Die FDP kritisiert gegenüber der taz, dass die „Unfähigkeit einzelner zur Lösungsfindung“ nicht „zur weiteren Zentralisierung und Schwächung der Bezirke“ genutzt werden dürfe. Das Ansinnen des Senats sei nachvollziehbar, die Verantwortung müsse aber weiter in den Bezirken bleiben.
Ein zentraler aktueller Konflikt im Hintergrund des Gesetzentwurfs ist die lange Vakanz der Bezirksamtsleitung in Harburg. Seit August 2024 führte der parteilose Stellvertreter Dierk Trispel das Amt interimsmäßig, nachdem die bisherige Leiterin Sophie Fredenhagen (SPD) ihre Bewerbung zurückgezogen hatte.
Die Neubesetzung verzögerte sich, weil die Stelle neu ausgeschrieben werden musste. Erst im Juli dieses Jahres wählte die Bezirksversammlung den Sozialdemokraten Christian Carstensen zum neuen Behördenchef.
Auch im Bezirk Nord war der Konflikt um die Bezirksamtsleitung eskaliert. Die SPD schloss dort bei den Bezirkswahlen 2024 ein Bündnis mit CDU, FDP und Volt, um die als stärkste Kraft verbliebenen Grünen auszumanövrieren und den grünen Amtsinhaber Michael Werner-Boelz vorzeitig abzusetzen. Werner-Boelz wurden unter anderem Alleingänge in der Verkehrspolitik vorgeworfen.
Schließlich stieg Volt aus dem Vierer-Bündnis aus. Im Dezember sprach die Bezirksversammlung Werner-Boelz das Misstrauen aus und wählte die Sozialdemokratin Bettina Schomburg zur neuen Leiterin.
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