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Hamas in Deutschland„Die nächste Eskalation ist eine Frage der Zeit“

Im Oktober flog eine Waffenübergabe mutmaßlicher Hamas-Operateure in Berlin auf. Expertin Kim Robin Stoller über Ziele und Strukturen in Europa.

Eine Person zeigt ein nach unten gerichtetes Dreieck, das als Symbol der Hamas gilt, bei einer Demo am 7. Oktober 2024 in Berlin Foto: Florian Boillot
Frederik Eikmanns

Interview von

Frederik Eikmanns

taz: Frau Stoller, das Ziel der mutmaßlichen Hamas-Operateure waren Anschläge auf jüdische und israelische Menschen und Einrichtungen in Deutschland. Was verspricht sich Hamas von Gewalttaten, so weit entfernt vom Nahen Osten?

Kim Robin Stoller: Die Ideologie der Hamas kreist um die Zerstörung Israels und den Kampf gegen Juden generell. Wo sie diesen Kampf militärisch aufnimmt, ist eine strategische Entscheidung, keine ideologische. Bei Finanzierung, Rekrutierung und Organisation ist Hamas schon lange in Europa und auch Deutschland aktiv.

taz: Und im Oktober hat die Hamas-Führung dann beschlossen, auch in Europa mit Gewalt zuzuschlagen?

Stoller: Die Pläne sind nicht neu, Vorbereitungen für Anschläge in Deutschland und anderen europäischen Ländern laufen seit Jahren. Ende 2023 wurden mehrere Männer festgenommen, die nach alten Waffenverstecken der Hamas suchten. Ich gehe davon aus, dass viele konkrete Gefährdungslagen nie öffentlich werden.

Bild: IIBSAF
Im Interview: Kim Robin Stoller

ist Antisemitismusforscherin und Vorsitzende des Internationalen Instituts für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung (IIBSA).

taz: Was meinen Sie?

Stoller: Die Sicherheitsbehörden wissen sicherlich sehr viel mehr als wir erfahren, allein schon um die Personen zu schützen, gegen die sich die Bedrohung richtet. Den besten Überblick haben häufig die israelischen und US-amerikanischen Geheimdienste, die den deutschen Behörden immer wieder entscheidende Hinweise auf dschihadistische Anschlagspläne geben.

taz: Kurz nach den ersten Festnahmen wurde der Waffenstillstand im Gazakrieg ausgehandelt. Ist die Gefahr gebannt?

Stoller: Das Ziel von Hamas ist die Zerstörung Israels. Mehr als einen temporären Waffenstillstand wird es mit ihr deshalb nicht geben. Die nächste Eskalation ist eine Frage der Zeit.

taz: Was sind das für Leute, die zuletzt festgenommen wurden und die von den Behörden als „Auslandsoperateure“ der Hamas bezeichnet werden?

Stoller: Soweit wir wissen, soll es sich dabei unter anderem um eine Person mit familiären Verbindungen zu einem Führungskader der Hamas in Nahost handeln. Manche der Festgenommenen der letzten zwei Jahre sollen schon sehr lange in Europa leben. Einige reisten mehrmals in den Nahen Osten, um Anweisungen zu erhalten. Unter den Festgenommenen sind aber mutmaßlich auch Personen aus dem Milieu der organisierten Kriminalität.

taz: Wie passt das mit dem brutalen Vorgehen der Hamas gegen Kriminelle in Gaza zusammen?

Stoller: Es gibt verschiedene Standards unter Islamisten, je nachdem, gegen wen sich Gewalt wendet. Der IS ließ Dieben routinemäßig eine Hand abschlagen, akzeptierte aber die militärischen Raubzüge seiner Kämpfer. Und Hamas begeht Massaker an israelischen Zivilist*innen, führt Raubzüge durch, nimmt Geiseln und arbeitet im Kampf gegen Israel eben auch mit Kriminellen zusammen.

taz: Daher kommen auch die automatischen Waffen, die in Berlin bei den mutmaßlichen Hamas-Mitgliedern gefunden wurden?

Stoller: Genau. Das scheint der aktuelle Stand der Ermittlungen. Es gibt mutmaßlich Verbindungen zu Gangs, die sich auf Waffenschmuggel fokussiert haben.

taz: Welche Strukturen hat die Hamas in Europa aufgebaut?

Stoller: Es gibt drei Ebenen. Zunächst Fundraising-Organisationen, die versuchen, Geld für die Aktivitäten der Hamas zu beschaffen. Dann politische Lobbyorganisationen sowie Strukturen, die das Pro-Hamas-Milieu sozial und religiös organisieren. Das sind Vereine und religiöse Einrichtungen. Und die militärische Ebene: Ihre Kämpfer unterliegen einer hierarchischen Befehlsstruktur. Durch die jüngsten Verhaftungen haben wir mutmaßlich einen Teil dieser militärischen Struktur zu sehen bekommen.

taz: Und die anderen Ebenen?

Stoller: Zur politischen und sozialen Ebene gehörte der Verein Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD), dessen Mitglieder überwiegend der Hamas angehörten oder mit ihr sympathisierten. Ende 2023 wurde dieser aufgelöst, um mutmaßlich einem Verbot zuvorzukommen. Auf diese Ebene gehört auch eine Vielzahl von Kadern, die in transnationalen Netzwerken organisiert sind und weltweit immer wieder Konferenzen veranstalten. Auch eine ganze Reihe der Fundraising-Organisationen wurde verboten, zum Beispiel der Verein Die barmherzigen Hände e.V.

taz: Macht es Sinn von einem Hamas-Netzwerk in Deutschland zu sprechen – oder eher von einer zusammenhängenden europäischen Struktur?

Stoller: Es gibt jeweils nationale Strukturen, aber eben auch europäische und transnationale Strukturen. Teil der Pro-Hamas-Strukturen sind auch Netzwerke, die der Muslimbruderschaft ideologisch nahestehen, beispielsweise die International Union of Muslim Scholars (IUMS), ein religiöser Dachverband. Dieser verabschiedete eine Fatwa, die den Djihad gegen die „zionistische Entität“ (gemeint ist Israel) und Kollaborateure zur religiösen Pflicht aller Muslime ernannte. In diesem sind Personen aus vielen verschiedenen Ländern Mitglied, auch solche, die in Deutschland ansässig sind und über Einfluss verfügen.

taz: Inwiefern gehören Muslimbruderschaft und Hamas zusammen?

Stoller: Hamas ist aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen und wurde als ihr palästinensischer Ableger gegründet. Das erklärt unter anderem auch die engen Verbindungen von Hamas nach Qatar. Das Emirat ist seit vielen Jahren ein zentraler Finanzier der Muslimbruderschaft. Deren wohl bekanntester Ideologe Yusuf al-Qaradawi hatte beim staatlich finanzierten Sender Al-Jazeera jahrelang eine eigene Sendung.

taz: Hamas wird aber auch von Iran und der Türkei unterstützt.

Stoller: Der Iran hat Hamas in den letzten Jahren massiv finanziell unterstützt und mit Waffen ausgerüstet. Die Türkei beherbergte jahrelang Hamas-Kader und gibt staatliche Zuwendungen für Konferenzen und Verbände, die der Muslimbruderschaft und Hamas ideologisch nahestehen. Zentrale Konferenzen, die zum Kampf gegen Israel aufrufen, finden in der Türkei statt.

taz: Türkei und Iran verfolgen im Nahen Osten eigentlich sehr gegensätzliche Ziele. Warum finden sie bei der Unterstützung von Hamas zusammen?

Stoller: Die islamistische Ideologie hat als eine der obersten Prioritäten den Kampf gegen Israel. Das ist das Ziel, auf das sich die Regimes in Teheran, Doha und Ankara einigen können. Der Kampf gegen Israel ist aber auch Teil der arabisch-nationalistischen Ideologie. Das ermöglicht eine Art Zweckbündnis zwischen Akteuren, die sich ansonsten Feinde sind. Hamas weiß das und richtet zum Beispiel seine Spendenkampagnen danach aus, wer angesprochen werden soll. Da werden dann entweder islamische Themen betont oder aber eine nationalistische Rhetorik verwendet.

taz: Vor zwei Wochen hat das Bundesinnenministerium Muslim Interaktiv verboten, einen Verein mit engen Verbindungen zur islamistischen Gruppe Hizbuh Tahrir, die ihre Wurzeln in Palästina hat. Gehören solche Gruppen zum Netzwerk von Hamas in Deutschland?

Stoller: Ich gehe davon aus, dass es Verbindungen gibt, sie sind mir aber nicht im Detail bekannt. Ideologisch würde das passen.

taz: Ist Hamas ein Faktor bei der Radikalisierung potentieller Islamisten in Deutschland?

Stoller: Hamas tritt in der Öffentlichkeit militärisch auf. Das macht die Organisation attraktiv für eine Personengruppe, die ein bestimmtes Männlichkeitsbild pflegt und bewaffnete Aktionen befürwortet.

taz: Müssen wir Attacken von über das Internet radikalisierten Einzeltätern fürchten, wie sie etwa vom IS immer wieder ausgehen?

Stoller: Viele unkonventionelle Kampfformen, auf die heute verschiedene islamistische Terrorgruppen setzen, wurden durch palästinensische Terrorgruppen populär gemacht. Das gilt etwa für Car-Ramming-Attacken, bei denen Fahrzeuge in Menschengruppen gesteuert werden. Auch willkürliche Messerattacken gehören dazu. Der Angriff der Hamas, ihre gezielten Morde an Zi­vi­lis­t*in­nen und der folgende Krieg haben auch in Deutschland zur Radikalisierung beigetragen. Weitere Attacken sind wahrscheinlich.

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