: Haltung und Wirklichkeit
Der Journalist Birk Meinhardt macht in einem kleinen Buch seinem ehemaligen Arbeitgeber, der „Süddeutschen Zeitung“, sowie seiner Zunft schwere Vorwürfe
Birk Meinhardt: „Wie ich meine Zeitung verlor“. Das Neue Berlin, Berlin 2020, 144 Seiten, 15 Euro
Von Steffen Grimberg
Die Reportage ist ein notwendigerweise subjektives Geschäft, und Birk Meinhardt ist ein guter Reporter. Ein sehr guter, zwei Kisch-Preise und diverse andere Auszeichnungen zeugen davon. Von 1996 bis 2012 hat Meinhardt für die Süddeutsche Zeitung gearbeitet, die längste Zeit als Reporter für die Seite 3 und als Autor der Titelglosse „Das Streiflicht“, also für Aushängeschilder des liberalen Blattes. Doch dann hat er die von ihm so geliebte Zeitung verloren, und so heißt dann auch seine Reportage in eigener Sache „Wie ich meine Zeitung verlor“.
Schon hier deutet sich an, worauf es in Meinhardts Buch ankommt: die Haltung. Weil Meinhardt der Journalismus der SZ zu westdeutsch-mainstreamig geworden war, ist er gegangen. Und hier fängt die eigentlich Fragestellung an: War die Süddeutsche denn je anders? Hat sie sich seit den 1990er Jahren, als der in der DDR ausgebildete und sozialisierte Reporter zu ihr stieß, tatsächlich gewandelt? Und was ist das eigentlich, dieser westdeutsche Mainstream?
2012 ließ sich Meinhardt bei der Süddeutschen beurlauben, um eine Zeit lang als Schriftsteller zu arbeiten. Irgendwann liest er seine „alte Zeitung“ wieder und ist entsetzt, „wie einseitig die gesamte Berichterstattung geworden ist. Das ist ja alles nur noch in eine Richtung gebürstet! Das ist ja ein Dauerzustand geworden: einer Haltung Ausdruck zu verleihen und nicht mehr der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit um die Teile zu reduzieren, die nicht zur Haltung passen, und dafür die Teile überzubetonen, die sich mit der Haltung decken.“
Meinhardt schreibt auch: „Ich bin nicht verblüfft über diese Entwicklung“, und liefert als Beleg Texte, die überarbeitet werden sollten. In denen er unbequemen Fragen nachging. Wie der, ob anders als der gefühlte Vorwurf, auf dem rechten Auge blind zu sein, nicht vielmehr die Vorverurteilung als „rechts“ oder „Nazi“ immer stärker zum Problem wird.
Doch ist die SZ, die letztlich in Meinhardts „Jahrebuch“ für die gesamte deutsche Presse steht, wirklich so undifferenziert und/oder so undifferenziert geworden? Konkrete Belege bis auf die von eigener Betroffenheit strotzenden Beispiele bleibt der Ankläger schuldig. So verharrt seine Generalkritik in einem ärgerlichen „J’accuse“.
Denn eigentlich spricht Meinhardt einen absolut wunden Punkt seiner Zunft an: „In der Zeitung, in meiner alten und in jeder anderen großen, wird das System, das Bündnis, der politische Block von innen beschrieben, mit tiefer Vertrautheit und großer Selbstverständlichkeit.“ Hier hat Meinhardt komplett recht. Dem Journalismus fehlt zu oft das Sicheinlassen auf die Perspektive der anderen, auf ihre Ängste, Gefühle, auch auf die gefühlten Wahrheiten.
Aber Meinhardt entwertet das gleich wieder mit seinen weitergehenden Überlegungen. Da spürt er schon wieder „solches Eingeenge und Luftabgeschnüre“ wie früher in der DDR: „Im einzelnen läuft es hier jetzt anders (…), aber das Ergebnis ist ein ähnliches.“ Denn „Zeitungen müssen gar nicht lügen, um in den Köpfen der Leser, selbst der gebildetsten, ganz seltsame eindimensionale Sichten auf Geschehnisse zu erzeugen“, heißt es weiter.
Da ist sie wieder, Noelle-Neumanns „Schweigespirale“, nach der die wahre Meinung wegen der publizistischen Tyrannei der liberalen Medien nicht zum Zuge kommt. Und Meinhardt sitzt in der Falle. Denn das ist keine Reportage mehr oder höchstens eine mit höchst subjektiver Haltung, die Teile der Wirklichkeit reduziert.
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