■ Haitis Präsident Aristide gegen Amnestie für die Militärs: Das Dilemma fehlender Souveränität
Präsident Jean-Bertrand Aristide hat nein gesagt. Nein zu einer Amnestie, die allen Angehörigen der haitianischen Militärs Straffreiheit für die Morde und Folterungen der letzten drei Jahre zusichern würde. Aristide beruft sich auf das Abkommen von Governor's Island vom September 1993, das er selbst mit unterzeichnet hatte. Danach sollten nur die obersten Militärführer unter die Amnestie fallen – für das „politische Verbrechen“ des Putsches. Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber können, so Aristide heute, nicht unter eine Amnestie fallen. Genau das sieht jedoch der faule Kompromiß vor, den US-Unterhändler Jimmy Carter mit den Putschisten ausgehandelt hatte. Aristide war daran nicht beteiligt.
Der Präsident hat Position bezogen, und er hat Einspruch eingelegt. Das mußte er auch, allein schon, um sich von den USA nicht zum Hampelmann abqualifizieren zu lassen. Ob seine Position allerdings die richtige ist, um Haiti in eine friedliche Zukunft zu führen?
Wenn eine Bestrafung vor allem das Ziel hat, den Wunsch nach Rache für angetanes Unrecht zu zivilisieren, dann birgt eine Amnestie immer die Gefahr der Lynchjustiz. Die hat auf Haiti ohnehin Tradition. Insofern ist die Amnestie ein Risiko für die Stabilität, die Haiti dringend benötigt. Zudem ist durchaus nicht gesichert, daß die Mörder aus den Reihen der Staatsmacht auf die generöse Geste ebenso versöhnlich reagieren würden. Aristide hat dem Parlament die Entscheidung überlassen. Die Abgeordneten müssen abwägen: Stimmen sie gegen eine Amnestie, wird der gemäß dem Carter-Abkommen ausgehandelte Rücktritt der Generäle wieder fraglich. Stimmen sie dafür, setzen sie ein Zeichen der Versöhnung, das vielen Haitianern zu weit gehen könnte. Noch wichtiger aber als die Frage der Straffreiheit ist die der Umstrukturierung von Armee und Polizei. Soll der Einfluß der Streitkräfte auf die Politik verhindert werden, müssen die Institutionen gänzlich neu aufgebaut werden. Die Möglichkeit, das durchzusetzen und auch militärisch abzusichern, haben einzig die USA – die sich als Ziehvater der haitianischen Armee immer für deren Erhalt eingesetzt haben.
So ist die haitianische Politik in einem Dilemma: Souverän entscheiden kann sie nicht, dazu fehlen ihr die Durchsetzungsmittel. Wie weit die Zivilgesellschaft sich gegen die Militärs behaupten kann, hängt an den Einsatzbefehlen der US-Truppen auf Haiti. Wie die aber reagieren würden, sollte das Parlament eine Amnestie gemäß dem Carter-Abkommen ablehnen, weiß niemand vorherzusagen. Die Ansichten Aristides jedenfalls waren bisher nicht der Maßstab US-amerikanischer Entscheidungen. Bernd Pickert
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