: Haft für Regimekritik
Neues Gesetz in Weißrussland soll Opposition komplett mundtot machen und Straßenproteste verhindern
BERLIN taz ■ Weißrusslands Opposition steht schon jetzt mit einem Bein im Knast. Künftig laufen Kritiker des autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko jedoch Gefahr, gleich für mehrere Jahre hinter Gefängnismauern zu verschwinden. Am vergangenen Freitag verabschiedete das präsidentenhörige Unterhaus mit 97 zu 4 Stimmen ein so genanntes Sicherheitsgesetz. Danach riskiert bis zu drei Jahren Haft, wer den weißrussischen Staat oder dessen Regierung im In- oder Ausland diskreditiert bzw. ausländischen Staaten oder Organisationen „Falschinformationen“ über die politische, wirtschaftliche oder militärische Situation Weißrusslands zur Verfügung stellt. Zudem machen sich Journalisten strafbar, die ausländische Staaten oder Organisationen auffordern, schädliche Maßnahmen gegen Weißrussland zu ergreifen oder entsprechende Informationen verbreiten.
Der Versuch, die ohnehin schon eng begrenzte Meinungsfreiheit noch weiter einzuschränken, ist nur die eine Stoßrichtung des Gesetzes. So drohen demjenigen Haftstrafen bis zu zwei Jahren, der Personen in Sachen Straßenprotest unterweist oder sich selbst an Gruppenaktivitäten beteiligt, die „die öffentliche Ordnung verletzen“.
Nach den Erfahrungen mit rebellischen Jugendorganisationen in Georgien und der Ukraine, deren Aktionen in der Rosen- bzw. orangenen Revolution mündeten, ist unschwer erkennbar, worauf der zweite Passus zielt. Eine entsprechende Erklärung lieferte der KGB-Chef Stepan Suchorenko, der in der vergangenen Woche die beiden Jugendorganisationen „Jugendfront“ und „Zubr“ beschuldigt hatte, mit ausländischen Mitteln ihre Organisationen ausbauen und den Boden für Massenproteste vorbereiten zu wollen, denn auch gleich mit. Mit der Verschärfung der Gesetze reagiere das Parlament auf „konkrete Pläne zur Destabilisierung des Landes“, sagte er. „Wir wissen von Elementen, die gerade ihre Kräfte sammeln und jederzeit herauskommen können.“
Für den Exverfassungsrichter Michail Pastuchou besteht kein Zweifel: „Das Gesetz verbietet jede Art von Äußerungen und hebelt das Recht auf Versammlungsfreiheit aus“, sagt er. „Es bedeutet de facto die Ausrufung des Staatsnotstands in Weißrussland.“
Allen fantastisch hohen Unterstützerwerten für Lukaschenko zum Trotz ist das Regime in Minsk zunehmend nervös. 2006 wird ein neuer Staatschef gewählt. Der jüngste Amoklauf der Regierung zeigt, dass sich Lukaschenko, trotz massiven Drucks und zu erwartenden Fälschungen großen Stils, eines erneuten „eleganten Siegs“ keineswegs sicher ist. Zumindest der Herausforderer von Lukaschenko, Aljaksander Milinkewitsch, kündigte für den Fall von Fälschungen Proteste an. „Sollte es dazu kommen“, sagt ein Journalist, „werden die Sicherheitskräfte schießen.“ BARBARA OERTEL