Haders „Wilde Maus“ auf der Berlinale: Erfreuliche Gemeinheiten
Im Regiedebut Josef Haders sinnt ein geschasster Musikkritiker auf Rache. „Wilde Maus“ endet mit einem schön absurden Höhepunkt.
Georg Endl hat seinen Platz gefunden. In einer Wiener Zeitung sorgt der Mittfünfziger für die gewünschte Gehässigkeit im Umgang mit der Musikerzunft des klassischen Konzertbetriebs. Mit seiner um ein Jahrzehnt jüngeren Frau Johanna plant er eine späte Familienerweiterung, die aber noch etwas auf sich warten lässt, was ihm weniger Kummer bereitet als ihr. Eigentlich alles geregelt. Bis ihm gekündigt wird. Sparmaßnahmen. Sein alter Vertrag kommt den Verlag zu teuer. Und das bringt bei Georg einiges aus dem Lot.
Die Wilde Maus ist eine so beliebte wie altehrwürdige Achterbahn, die weniger durch extreme Fallhöhe oder Loopingfahrten als durch ihre engen Kurven die Nerven der Fahrgäste strapaziert. Man meint, der Wagen breche aus den Schienen aus. Auf einen ganz ähnlichen Kurs begibt sich fortan Georg, der sich mit seiner neuen Rolle als Arbeitsloser öffentlich zunächst nicht zu erkennen geben will. Selbst seiner Frau verschweigt er den Jobverlust.
Der Schauspieler Josef Hader hat sich mit seinem Regiedebüt, für das er das Drehbuch verfasst hat und in dem er die Hauptrolle übernimmt, eine Midlife-Crisis auf den Leib geschrieben. Zugleich geht es ihm um ein Porträt der österreichischen Mittelschicht, die wie andernorts auch mit dem Abstieg zu kämpfen hat. Die Selbstbezogenheit des Milieus, das sich Hader vorgenommen hat, deutet er mit regelmäßig eingestreuten Nachrichten zu Flüchtlingsdramen oder Terroranschlägen in Europa an. Der einzige Kommentar Johannas zu einer dieser Meldungen lautet: „Das ist arg.“
Nachdem man Josef Hader im vergangenen Jahr in Maria Schraders fein gezeichnetem Biopic „Vor der Morgenröte“ als den Schriftsteller Stefan Zweig erleben konnte, kehrt er jetzt mit „Wilde Maus“ zu seinem schwarzhumorigen Kernfach zurück. Denn selbstverständlich lässt Georg sein Schicksal nicht auf sich beruhen, sondern sinnt gegenüber seinem ehemaligen Chef (Jörg Hartmann) auf Rache.
Dabei unterstützt ihn bald schon der gleichzeitig arbeitslos gewordene Erich (Georg Friedrich), der sich, in seiner beruflichen Laufbahn weniger arriviert als Georg, im Fahrgeschäft versucht und die titelgebende Achterbahn erwirbt, von der ein Exemplar im Prater steht. Insbesondere durch seine Halbwelterfahrungen erweist sich Erich als äußerst hilfreich. Und mit Georg Friedrich in der Rolle des Erich hat sich Hader einen waschechten Buddy zur Seite gestellt, der in seinem knochentrockenen Wiener Humor zum ernsthaften Komikkonkurrenten Josef Haders wird.
Eigentlich würde allein die Dynamik dieses ungleichen Paars eine hinreichend tolle Komödie ergeben. Hader konzentriert sich gegen Ende des Films allerdings stärker auf die Beziehungskrise zwischen Georg und Johanna, was immerhin auf einen schön absurden Höhepunkt im Schnee zusteuert – Verfolgungsjagd mit Hindernissen inklusive. Auch die kleinen Nebenstränge, in denen unter anderem die „Opfer“ Georgs ihren Auftritt haben – Musiker, die ihre Karrieren nach einem seiner Verrisse beendeten –, sorgen für erfreuliche Gemeinheiten. Ein großer kleiner Film.
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