Hackathon „Coding da Vinci“: Wenn der Käfer wieder krabbelt
Audiodateien seltener Instrumente, alte Atlanten: Was kann man daraus machen? Eine Hackerveranstaltung in Berlin hat viele Beispiele geschaffen.
BERLIN taz | „Wir arbeiten doch nicht mit Hackern zusammen!“ - diese Antwort bekam Stephan Bartholmei öfters zu hören, als er Museen und Bibliotheken davon überzeugen wollte, beim Hackathon „Coding da Vinci“ mitzumachen. Hacker und Museen, die zusammenarbeiten? Genau das wollten die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB), für die Bartholmei arbeitet, die Open Knowledge Foundation (OKFN), Wikimedia und die Servicestelle Digitalisierung Berlin (digis) bei Deutschlands erstem „Kulturhackathon“ erreichen.
Hackathons sind oft nur ein Wochenende, an dem Entwickler intensiv an einem Projekt arbeiten – Themen können dabei eine bestimmte Programmiersprache oder ein konkretes Ziel wie die Krisenprävention oder die Verbesserung des städtischen Nahverkehrs sein. Die Idee dahinter ist, Leute mit unterschiedlicher Expertise (Journalisten, User Experience Designer, Grafiker, Programmierer, Pädagogen usw.) zusammenzubringen und so innerhalb von kurzer Zeit kreative Lösungen für ein Problem zu finden.
Eine konkrete Problemstellung gab es bei Coding da Vinci nicht – die Hauptidee war, den Hackern Datensätze aus dem Kulturbereich zu geben und zu sagen „Macht was draus!“ Alles ging: ein Zwitscherwecker, den Geweckte nur ausschalten können, indem sie den zwitschernden Vogel erraten, ein Twitteraccount, der in der NS-Zeit verbotene Autoren und ihre Werke twittert oder eine App, in der man selbst alte Musikinstrumente spielen kann.
Die über hundert Teilnehmer, die bei der Auftaktveranstaltung am 26. April dabei waren, konnten unter 16 Datensätzen wählen, und entscheiden, wie sie diese nutzen und kombinieren wollen.
Käfer zum Leben erweckt
Dabei sah man auch, was der ominöse Begriff „Daten“ ganz konkret bedeuten kann: Audio- und Videodateien von Musikinstrumenten aus dem Ethnologischen Museum Berlin, eine Liste der zwischen 1938 und 1941 verbotenen Schriftsteller und Werke und viele verschiedene Bilder – von Grabsteininschriften auf jüdischen Friedhöfen oder alten Atlanten. Ein Datensatz beinhaltete Scans der Insektenkästen des Naturkundemuseums Berlin, die sich die in Berlin lebende Finnin Kati Hyyppä und ihr Bruder Tomi vornahmen.
Sie haben einen der Käfer, der vor allem in Indonesien vorkommt, als „Cyberbeetle“ wieder zum Leben erweckt. Bei der Preisverleihung im Jüdischen Museum Berlin am 6. Juli krabbelte der elektronische Käfer dann auch langsam zwischen Laptops über die Tische – oder tanzte zu einer Musik, die Tomi Hyyppä aus Tierstimmen komponiert hatte.
Dass die beiden die Scans aus dem Naturkundemuseum einfach als Vorlage für einen Roboterkäfer nutzen konnten, ist keine Selbstverständlichkeit. Unter anderem durch die Arbeit der digis und der DDB werden immer mehr Museumsbestände digitalisiert und sind teils sogar online einsehbar. Doch für eine kreative Weiterverwendung müssen die Museen und Bibliotheken sie erst freigeben – und zwar für jedermann.
Empfohlener externer Inhalt
Das ist ein großer Schritt für Institutionen, die, was die technische Entwicklung angeht, oft einige Jahre hinterherhängen. Dazu kam bei vielen die Skepsis, als sie den Begriff „Hacker“ hörten – wer würde denen schon freiwillig seine Schätze überlassen? Um diesen Zweifeln zu begegnen, haben die Organisatoren bereits vor dem eigentlichen Hackathon viel Überzeugungsarbeit geleistet. Letztendlich waren die Museumsvertreter schon bei der Vorstellung der ersten Ideen davon beeindruckt, wie schnell ein Projekt wie Kati Hyyppäs Cyberbeetle Form annahm.
Auch rechtlich ist es nicht einfach, die Freigabe digitalisierter Bestände in die Tat umzusetzen, denn meist steht das Urheberrecht einer kreativen Weiterverwendung im Wege. „In manchen Institutionen war der Hackathon aber auch ein Anlass, sich konkret mit dieser Frage zu beschäftigen“, meint Beate Rusch von der digis. Ein Beispiel dafür ist die Berlinische Galerie – sie setzte sich für Coding da Vinci mit einer Fotografin in Verbindung, die vor fünfzig Jahren Bilder von Berlin rund um den Alexanderplatz gemacht hatte. Der Aufwand hat sich gelohnt: Der Programmierer Erik Woitschig hat die Bilder in einer Webapp in eine Karte von Berlin integriert und die Fotos selbst nachgestellt, sodass man die Veränderung der letzten 50 Jahre direkt nachvollziehen kann.
„Man bekommt eine Art Tunnelblick“
Dass die Organisatoren noch auf relativ viel Skepsis gestoßen sind, hängt auch damit zusammen, dass „Open Data“, oder „offene Daten“ in Deutschland noch keine sehr lange Geschichte haben. Erst in den letzten Jahren hat das Konzept sich verbreitet. Die Grundidee: Von offen zugänglichen Daten profitieren alle. Die Gesellschaft, die Zugang zu mehr Informationen hat und diese nutzen kann, aber auch diejenigen, die die Daten freigeben. Denn wenn Informationen frei verfügbar sind, so die Theorie, können andere Menschen sie auf oft ungeahnte Weise nutzen und kombinieren, zum Wohl der Allgemeinheit und der Datengeber.
Bei Coding da Vinci hat das auch in der Realität ganz wunderbar geklappt: Nachdem sie ihre Datensätze vorgestellt hatten, konnten die Museumsvertreter sich zurücklehnen und über die Kombinationen staunen, die entstanden. „Man bekommt schon eine Art Tunnelblick, wenn man sich jahrelang mit seinen Exponaten beschäftigt“, sagt Verena Höhn, die sich in der Musikethnologie-Abteilung des Ethnologischen Museums mit der Digitalisierung von Instrumenten beschäftigt.
Besonders beeindruckt hat sie eine Spieleapp für Kinder: Die App bietet ihnen eine bunte Waldbühne, auf der sie aus Tierstimmen vom Naturkundemuseum Berlin und Instrumenten aus aller Welt vom Ethnologischen Museum ein eigenes Orchester zusammenstellen können. „Darauf wäre ich selber nie gekommen“, sagt Höhn.
Frische Brise fürs Museum
So profitieren die Museen auch von einer frischen Herangehensweise an Exponate, die teils seit Jahrzehnten auf die gleiche Weise präsentiert werden. Stephan Bartholmei von der DDB findet, dass Coding da Vinci Museen und Bibliotheken so eine sehr gute Möglichkeit gibt, ein bisschen mit der Zeit zu gehen – die Vorstellung, dass ein Onlineportal ausreiche, um Daten für die Öffentlichkeit bereitzustellen, hält er für veraltet: „Internet findet jetzt auf dem Smartphone statt, gerade bei der jüngeren Generation, und die kann man nicht einfach verlieren.“
Diese Erkenntnis haben die beteiligten Kulturinstitutionen direkt umgesetzt: Nachdem viele Entwickler sich bereits während des Hackathons an die Museen und Bibliotheken gerichtet haben, wollen die nun einige Ergebnisse in ihre Ausstellungen einbinden. Vielleicht kann man also schon im Ethnologischen Museum mit seinem Smartphone die ausgestellten Musikinstrumente scannen – und sich dann direkt auf dem Handy eine indonesische Gleitrassel vorspielen lassen.
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