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Haarige GedankenDer Teufel hat den Schnaps gemacht

■ Aus der lehrreichen, erbaulichen Lebensbeichte des Huckelrieder Friseurmeisters Bruno Jablonski – 5. Folge: Ein folgenreiches Besäufnis mit hochprozentigem Haarwasser

Wie bereits vor einigen Wochen angekündigt, möchte ich auch die Schattenseiten meines Berufslebens nicht unbeleuchtet lassen. Zu ihnen zählt, dass ich einige Jahre lang ein Sklave der Teufels Alkohol gewesen bin. Mag sein, dass ich meinem Vorbild Ulrich Brzitwa allzu fanatisch nachzueifern bemüht war; weitaus einflussreicher für die Entwicklung der Sucht dürfte jedoch mein damaliger Lebensstil gewesen sein. Im Salon verlangte ich absolute Perfektion von mir und setzte mich zunehmend selbst unter Druck. Ich bemerkte zunächst gar nicht, wie sehr ich aufgrund dieses Anspruchsdenkens verkrampfte und wieviel Kraft mich die Arbeit kostete. Nachdem des Tages Last getragen war, kehrte ich meist übelgelaunt und ausgebrannt in meine kleine Mietwohnung zurück, in der mich außer meinen Zimmerpflanzen niemand erwartete.

Anfangs trank ich nur nach Feierabend. Bald musste ich jedoch festellen, dass es auch im Salon nicht mehr ohne ging. In der Schublade unter der Kasse lagerte neben allerlei Krimskrams auch stets eine Flasche mit hochprozentigem Inhalt. Wenn gerade kein Kundenverkehr herrschte, griff ich mir die Flasche, zog mich hinter die chinesische Wand der Garderobe zurück und trank. Natürlich gab es in der Folge meines heimlichen Alkoholkonsums den einen oder anderen Zwischenfall im Berufsalltag; Verwechslungen, Vergesslichkeit und Unaufmerksamkeit führten zu unangenehmen Situationen, die ich mir selbst, noch immer vom Leitbild der Perfektion getrieben, übel ankreidete. So schloß der Teufelskreis sich.

Von diesen mehr oder minder peinlichen Ausrutschern soll heute jedoch nicht die Rede sein, sondern vielmehr von jenem Ereignis, das mir auf unangenehme Weise die Augen öffnete und mich schließlich professionelle Hilfe aufsuchen ließ, um einen Weg aus der Sucht zu finden.

Es war ein ganz normaler Tag. Ich wollte, wie es mir in der vergangenen Zeit zur Gewohnheit geworden war, zur Flasche in der Schublade greifen. Sie war leer. Dass ich in meiner Verzweiflung auf eine Flasche hochprozentigen Haarwassers zurückgriff, mag Ihnen verdeutlichen, wie weit es zum damaligen Zeitpunkt mit mir bereits gekommen war. In meiner Gier begnügte ich mich nicht mit zwei oder drei Verschlußkappen, sondern leerte das noch gut dreiviertelvolle Behältnis bis zum letzten Tropfen. Nach etwa zehn Minuten setze die Wirkung so vehement ein, dass ich mich setzen mußte. Und zwar genau dort, wo ich eben noch stand: mitten im Salon. Ich saß also, die Beine von mir gestreckt, auf dem Fußboden und starrte leer vor mich hin. Zu mehr war ich beim besten Willen nicht fähig. Einige Kunden ließen sich von diesem Anblick abschrecken und verschwanden nach einem Blick durch die Glastür, ohne auch nur die Klinke betätigt zu haben.

Ich mochte wohl eine gute Stunde so herumgesessen sein, als eine alte Stammkundin von mir, Gertrude H., durch die Tür zu mir hereinlinste. Sie tat nicht mehr, als die Tür zu öffnen, auf mich zuzukommen, mich anzusprechen, vor meinen starren Augen herumzuwedeln und schließlich den Notarzt zu rufen, aber mir stellte sich die Sache in meinem vernebelten Zustand gänzlich anders dar: Zunächst sah ich nicht eine Person, sondern zwei. Eine von ihnen war Marge Simpson, die gelbe Ehefrau des gelben Kernkraftwerk-Sicherheitsinspektors, die andere Hartmut Engler, Frontmann der deutschen Mainstream-Popper PUR; und ich konnte nicht entscheiden, welche Frisur ich nun grotesker finden sollte: den blauen Turm von Pisa auf Marges Kopf oder Englers blondierten Vokuhila-Spoiler.

Engler beugte sich zu mir herab und sagte: „Wenn man eine schöne Kindheit hat, eine intakte Familie, ein bisschen spießig vielleicht, dann kann man nicht singen: Das Leben ist scheiße, wie komm ich da raus.“ Marge nickte und fügte ein entschlossenes „Mmmhh“ hinzu. Dann wurde mir blümerant, und als der Notarzt schließlich eintraf, saß mir der heilsame Schrecken dieses Ereignisses so tief in den Knochen, daß ich mich schon auf halbem Wege zur Besserung befand. Tim Ingold

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