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Haarerlass beim Passionsspiel in BayernAussehen wie Jesus

Beim Passionsspiel Oberammergau tritt ein „Haar- und Barterlass“ in Kraft. 2.000 Mitwirkende dürfen bis Oktober 2020 nicht zum Friseur.

Ein letzter Haarschnitt – die zwei Jesus-Darsteller der Oberammergauer Passionsspiele beim Friseur Foto: dpa

Als ein Rasierklingenhersteller im Januar 2019 ein Werbefilmchen gegen toxische Männlichkeit lancierte, kündigten einige übereifrige Maskulinisten einen Boykott an: Unrasiert bleiben für die Sache – sie wollten den Bart wachsen lassen, bis die Welt wieder ist, wie sie früher war.

Fortschrittlichere Menschen ließen sich aber den Bart auch schon für die gute Sache wachsen: Beim jährlichen No-Shave-November, bei dem zugunsten der Krebsfürsorge Stoppeln und Schnauzer gedeihen durften.

Ganz anders ist die Gemengelage im Alpendorf Oberammergau, wo seit dem Mittelalter alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Christi ein theatrales Remake erhält. Monatelang flicht die Inszenierung die halbe Gemeinde in die Vorbereitung ein – einschließlich der Auflage, sich bis zur Dernìere weder Haartracht noch Bartflaum zu kürzen.

Das könnte man als sehr exzessives Method Acting bezeichnen, bei dem sich Schau­spie­le­r*innen ja ebenfalls gerne über die Körperlichkeit der Rolle nähern. „Die Oberammergauer müssen in die historischen Figuren ‚reinwachsen‘ “, sagt Pressesprecher Frederik Mayet, der praktischerweise gleichzeitig den Jesus spielt.

Harte Zeiten

1.600 Erwachsene und 500 Kinder lassen es also wallen. Lediglich Metzger*innen und Bäcker*innen, die in ihren Berufen Hygienestandards genügen müssen, werden zu Römern: Die fünfzig Soldaten des Stücks dürfen militärisch gestutzt aufkreuzen bei der Kreuzigung.

Das passt: Eigentlich kennt man den „Haarerlass“, der nicht etwa der Aderlass des kleinen Mannes ist und in Oberammergau am Aschermittwoch in Kraft tritt, aus den ­Dienstvorschriften der Bundeswehr. Dort aber freilich genau umgekehrt: „Ohren und Augen dürfen nicht bedeckt sein. Das Haar ist so zu tragen, dass bei aufrechter Kopfhaltung Uniform- und Hemdkragen nicht berührt werden“, heißt es dort (A-2630/1).

Weil Soldatinnen dagegen ein Zopf am Kopf gewährt wird, klagte ein 51-jähriger Stabsfeldwebel und Gothic-Fan wegen Diskriminierung. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Beschwerde Ende Januar zwar zurückgewiesen, hält eine Überarbeitung der Dienstvorschrift aber für geboten. Harte Zeiten also fürs Friseurhandwerk, in Oberammergau und bald auch in der Kaserne?

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6 Kommentare

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  • Dieses Realitätsbewusstsein der Produzenten ist beeindruckend. Alles wird bis zum letzten Schräubchen und Häärchen analysiert und genauestes nachgebildet. Für bedenklich halte ich jedoch die durchgängige Frauenunterdrückung und das gnadenlose Whitewashing in der gesamten christlichen Religion und auch in den Passionsspielen.

    Das fängt bei den völlig verfälschten Namen der Protagonisten an, geht über offenen und versteckten Antisemitismus bzw. Antijudaimus, die Diskriminierung der Frauen und endet bei der Darstellung aller Bewohner von Palästina und anderen biblischen Orten als weiße Westeuropäer. Die Kirche (insbesondere die Katholische) hält alle ihre Schäfchen offensichtlich für ziemlich beschränkt. Merkwürdigerweise mokiert sich aber auch kaum jemand darüber, dass die gesamte Lehre und auch die Passionsspiele nicht realistisch sein können.

    Beispielsweise können fast alle Namen, außer den Römern, nur arabische sein. Jesus, so es ihn denn gab, hatte nach h.M. den arabischen Namen „Yeshua bar rabban“. Petrus (später angeblich erster Bischof/Papst) hieß nach h.M. „Shimon bar Jona“. Gleiches Prinzip gilt für seine anderen Jünger, die Eltern usw.

    Wenn überhaupt Frauen erscheinen, dann fast nur in Extremen. Gottesmutter oder Prostituierte und reuige Sünderin, wobei letzteres wohl öfter eingesetzt wird. Siehe Maria Magdalena, die vermutlich eine Kombination mehrerer Personen ist.

    Alle Menschen waren damals entweder Polytheisten (Römer u.ä.) oder eben Juden, die als erste Schriftgläubige u.a. das spätere, alte Testament hervorgebracht hatten. Auch Jesus war Jude. Bis etwa 70 bis 100 Jahre n.C. gab es noch gar keine Christen im heutigen Sinne. Die ersten überhaupt waren s.g. Judenchristen.

    Fast alle damals lebenden Menschen in Palästina waren Araber (nach dem heutigen Sprachgebrauch). Warum sehen aber alle, inklusive Jesus und seinen Jüngern, immer aus wie weiße Westeuropäer? Auf allen Bildern, in allen Filmen und eben auch bei den Passionsspielen.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Uwe Waterkant:

      .



      Was sind "Christen im heutigen Sinne"?



      noch 2000 Zeichen

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Streichen wir einfach das „...im heutigen Sinne“, dann passt es besser.



        Damit meinte ich: Das Urchristentum ist anders als das später sich langsam entwickelnde Christentum zu verstehen. Die ersten Jahrhunderte musste die Kirche ja noch vieles von den alten heidnischen und jüdischen Bräuchen und Grundsätze verdrängen, ersetzen, übernehmen und unterdrücken. Der Erfindungsreichtum ist beeindruckend, wenn man sich beispielsweise die diversen christlichen Festtage, Heilige und Bräuche anschaut, die einfach übernommen, eventuell etwas abgewandelt und dann umbenannt wurden. Dadurch dass die Festtage/Feiertage am gleichen Datum blieben, konnte man den alten Glauben leichter verdrängen.



        So, die restlichen 1.234 Zeichen überlasse ich Ihnen. Schönen Abend noch.

  • Zu Beginn meines Wehrdienstes ca. 1980 kam ein Kamerad gleich für eine Woche in den Knast, weil er sich seine bis fast zum Hintern reichende Haarpracht nicht abschneiden lassen wollte und der berühmte Haarnetzerlass gerade außer Kraft war.

    • @Uwe Waterkant:

      Zven da mögen Sie Recht haben, aber nach bald 40 Jahren trübt die Erinnerung etwas ein.



      Der Kamerad damals meinte jedenfalls, dass er mit Haarnetz dienen könnte und kam dann in den Knast. An ihm wurde ein Exempel statuiert und der Fall war noch lange Kasernengespräch.

    • @Uwe Waterkant:

      Schöne Anekdote, aber der Haarnetzerlass wurde schon 1972 nach knapp einem Jahr wieder aufgehoben.