HRE in der Krise: Der seltsame Solitär
Was ist eigentlich schief gelaufen bei der Hypo Real Estate? Fragen dazu münden in schlichte Antworten und Verschwörungstheorien.
BERLIN taz Was ist eigentlich schiefgelaufen bei der Hypo Real Estate? Diese Frage sorgt noch immer für Verwirrung - auch bei Politikern, die es wissen müssten. Viel Spott zog sich kürzlich der CDU-Finanzexperte Jochen-Konrad Fromme zu, der im Kontrollgremium des Rettungsfonds Soffin sitzt. Er erregte bundesweite Aufmerksamkeit mit seiner Einschätzung, dass bei der HRE sogar Kredite bis zu einer Billion Euro gefährdet sein könnten - obwohl in der Bilanz nur 400 Milliarden Euro ausgewiesen sind. Gab es etwa auch noch eine desaströse Schattenwirtschaft bei der HRE? Dunkel raunte Fromme: "Vor einem Jahr hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir es mit einer solchen Dimension zu tun bekommen könnten."
Der neue HRE-Vorstand sah sich gezwungen, via Pressemitteilung Nachhilfeunterricht in Sachen Finanzinstrumente zu erteilen: Bei der Billion handele es sich gar nicht um Kredite - sondern um Derivatgeschäfte, mit denen sich die HRE gegen Zins- und Währungsveränderungen schützt. Das macht jede Bank. Bei der Billion handele es sich also nur um den Nominalwert, der durch die Derivate abgesichert ist. Real fließe sehr viel weniger Geld - und das sei in der Bilanz auch eingestellt.
Vorerst bleibt es also bei der Erkenntnis, dass die Hypo Real Estate knapp 400 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten eingegangen ist. 150 Milliarden Euro sind Pfandbriefe, der Rest Bankanleihen und Schuldscheine. Würde das Institut pleitegehen, dann wären vor allem andere Banken, Versicherungen und Pensionsfonds betroffen, die ihr Geld bei der HRE angelegt haben. Die Bank gilt daher als "systemisches Risiko".
Aber wer soll für die Rettung zahlen? Nicht jeder ist überzeugt, dass nur der Staat übrig bleibt. So sorgte der FDP-Abgeordnete Volker Wissing auch in linken Kreisen für Furore mit seiner Beobachtung, dass es doch seltsam sei, dass Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ausgerechnet am 29. September 2008 erstmals öffentlich über die Finanzprobleme der HRE berichtete - just an jenem Tag waren nämlich die Ansprüche an die italienische Großbank Unicredit verjährt. Wollte der Finanzminister die Italiener etwa schonen?
Zur Vorgeschichte: Die HRE entstand im Jahr 2003, weil die Hypovereinsbank ihre problematischen Kredite für Gewerbeimmobilien bündeln und abspalten wollte. Zwei Jahre später wurde die Hypovereinsbank dann von der Unicredit übernommen, während die HRE eigenständig blieb. Eine solche Abspaltung ist immer mit Risiken behaftet - es könnte ja sein, dass noch Altlasten in der Bilanz schlummern, die erst Jahre später auffallen. Daher sieht das deutsche Umwandlungsrecht vor, dass die Alteigentümer und ihre Nachfolger noch genau fünf Jahre lang für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haften, das abgespalten wurde. Diese Frist ist für Unicredit am 29. September 2008 abgelaufen. Ist es also wirklich nur Zufall, dass die Schwierigkeiten der HRE erst dann bekannt wurden?
Zumindest die FDP mag nicht daran glauben und hat mit einer kleinen Anfrage nachgesetzt, die vom Finanzministerium noch nicht beantwortet wurde. Doch ist aus Regierungskreisen zu hören, dass man die FDP-Vermutungen für abseitig hält: Der große HRE-Verlustbringer sei die Tochterfirma Depfa - die allerdings erst im Herbst 2007 übernommen wurde. Unicredit haftete jedoch nur für Altlasten, die bis 2003 entstanden sind.
Letztlich bleibt die HRE ein seltsamer Solitär in der Finanzkrise: Fast alle anderen Banken sind in Bedrängnis geraten, weil sie toxische Wertpapiere gekauft haben. Die HRE hingegen ist an der "Fristentransformation" gescheitert. Ihre Depfa hat langfristige öffentliche Bauprojekte kurzfristig refinanziert. Das ging dann schief, als die Kurzfristzinsen in der Finanzkrise dramatisch stiegen. So profan kann eine Pleite sein.
ULRIKE HERRMANN
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