HÖRBUCH Eva Mattes lässt einen in „Wer die Nachtigall stört“ eintauchen.August Diehl variiert den Rhythmus bei T. C. Boyle: Eine Erstklässlerin im Rassistenland
Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee ist ein 1960 erschienener Romanklassiker, dessen Thema der Rassendiskriminierung heute noch auf beängstigende Weise aktuell ist. Er wirft ein Schlaglicht darauf, wie tief verankert Hass und Ignoranz in der amerikanischen Gesellschaft sind. Die Kinder Scout und Jem wachsen behütet in der Kleinstadt Maycomb im Alabama der 1930er Jahre auf. Als ihr liebevoller Vater Atticus, ein Anwalt, die Verteidigung eines Schwarzen übernimmt, zeigen die ehrwürdigen Einwohner des Städtchens ihr wahres Gesicht; eine beispiellose Verleumdungshatz bricht über die Familie herein.
Der literarische Kniff besteht darin, die Ereignisse aus Sicht der schlauen und zugleich naiven Erstklässlerin Scout schildern zu lassen, die zunächst gar nicht begreifen kann, was daran eigentlich das Problem sein soll, dass ihr Vater ein „Niggerfreund“ ist. Das führt die Absurdität von Rassismus gut vor Augen. In der Schilderung der Angst, die die Kinder vor dem Nachbarn Boo Ridley haben, dem sie noch nie begegnet sind, liefert Harper Lee gleich eine Erklärung für rassistische Ressentiments mit: Wer segregiert lebt und den anderen nicht kennt, ist für Gerüchte empfänglich.
Eva Mattes bringt es mit ihrer Lesung fertig, die Hörer nach nur wenigen Sätzen in das Universum dieser Sechsjährigen eintreten zu lassen. Mit luzider Erzählstimme und unprätentiöser Interpretation verleiht sie den Figuren Tiefe und gibt den Hörern Raum, sich in Setting und Atmosphäre hineinzudenken. Das Booklet informiert kurz, aber erhellend über die zurückgezogen lebende Autorin, die Entstehungsgeschichte des Romans und ihre bereits zu Kinderzeiten begründete Freundschaft zum Schriftstellerkollegen Truman Capote, der im Roman in der Figur des Dill erscheint.
Passend auch der Hinweis, dass im Text diskriminierende Begriffe wie „Nigger“ verwendet werden, ihr Austausch aber den Charakter des Romans verfälschen würde. Das wird durch den differenzierten Gebrauch des Vokabulars und die Art der Behandlung des Themas ohnehin deutlich. Im Juli erscheint Lees verschollen geglaubter Erstling „Geh und stelle einen Wächter“, in dem Scout als Erwachsene in ihre Heimatstadt zurückkehrt und sich mit den zwanzig Jahre zurückliegenden Ereignissen erneut auseinandersetzt. (Harper Lee, Argon Verlag, 10 CDs, 12 Stunden, 29,95 €, ungekürzte Lesung).
Andere Facetten des ungemachen amerikanischen Alltags beleuchtet T. C. Boyle auf die für ihn übliche unnachgiebige Art in „Hart auf hart“. Die Geschichte von Adam, einem Nonkonformisten, der seine gesellschaftliche Ausgegrenztheit durch all seine Aktionen unumkehrbar macht, setzt mit einer Schilderung einer aus dem Ruder laufenden Kreuzfahrt seiner pensionierten Eltern ein. Ein Bus bringt sie in halsbrecherischer Fahrt an einen Ausflugspunkt im Nirgendwo Costa Ricas, wo der Vater in Notwehr einen Gangster tötet. August Diehl unterstreicht die Hektik des Geschehens mit einer so atemlosen Lesung, dass man zunächst Angst hat, die nächsten achteinhalb Stunden in einen Schleudersitz gepresst zu werden. Zum Glück ist das nicht der Fall, Diehl nimmt den Rhythmus des bald ruhiger fließenden Textes auf, prononciert durchdacht die vielen Einschübe und Gemeinheiten, sodass man sich die haarsträubende Geschichte auch gern ungekürzt angehört hätte.
Warum den biografischen Angaben Diehls im Beiblatt mehr Gewicht gegeben wird als dem Autor, dessen Punkvergangenheit und Werk überaus interessant sind, bleibt fragwürdig.(T. C. Boyle, „Hart auf hart“, der hörverlag, 8 CDs, 8,5 Stunden, 22,99 €). Sylvia Prahl
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