HISTORISCHE BEGEGNUNGEN

■ Zur Entstehung des Ausstellungsprojektes „Riga-Lettische Avantgarde“ und „Valdis Abolins“

Treffen sich 1973 zwei Letten in Germany, zufällig. Der eine, derzeit Autor, strebt bleich vor subversivem Eifer über den Neumarkt in Köln Richtung WDR, um seine Farce abzuliefern, und stößt unterwegs auf den jungen Edvins Paas. Paas zückt eine Einladung zur Ausstellung lettischer Künstler aus Riga in Düsseldorf. Das war neu: Lettische Künstler aus Riga!

Edvins Paas hatte Kontakt zum sowjetlettischen Kulturkommitee geknüpft, hatte das Projekt vorgeschlagen und war auf Entgegenkommen gestoßen. Er informierte einen alten Freund, den lettischen Künstler Valdis Abolins aus Bremen. Beide fuhren nach Riga, um die Ausstellung vorzubereiten, und dann war es soweit für eine Premiere besonderer Art: Während der IKI, einer Profilierungsmesse der Kunststadt Düsseldorf, stellten über 20 lettische Künstler aus. Dieser lettische Ost-West-Kulturkontakt hatte Folgen. Valdis Abolins, wenig später geschäftsführender Sekretär der NGBK in Westberlin, initiierte die Einladung des DAAD an die lettische Künstlerin Maija Tabaka aus Riga nach Berlin. 1976 verbringt sie hier 10 Monate im Künstlerhaus Bethanien und präsentiert ihre Malerei in einer Personalausstellung. Weitere Projekte erstarren in der folgenden kühlen Phase sowjetischer Außenpolitik.

Nach Valdis Abolins Tod 1984 verabreden seine Freunde eine Ausstellung seiner Mail-Art-Objekte. Bevor diese konkrete Formen annimmt, ergreifen Valdis Rigaer Freunde die Initiative und es kommt 1987 zu einer beeindruckenden Präsentation seines Werkes in Riga, die seine Rolle eines bedeutenden Ost-West-Kommunikators im besonderen hervorhebt.

Hierzulande hatte Riga inzwischen von sich reden gemacht. Micky Remanns Transwelt-Telefonkonzert stellte 1986 Rigaer Musiker vor, ein Jahr darauf berichtete er für das Zeitgeist -Journal „Tempo“ von der dortigen Kunst- und Musikszene. Kurz darauf beteiligte sich die Gruppe „Bräunungsstudio Malaria“ (Frankfurt/Berlin/Hamburg) an den lettischen „Tagen der Kunst“ mit Performances (u.a. „Fred Fred Hering, Bonn“) und der historischen Begegnung „Westbam (Record Art) meets Eastbam (Tape Art)“ in der 1.Ausstellung ungefährer Kunst der „Werkstatt zur Restauration nie verspürter Empfindungen“. „Riga rockt“, meldete Eraserhead im Tip -Magazin. Der lettische Mediamixer Indulis Bilzens bewegte kurz darauf das Kulturmagazin „Aspekte“ des ZDF zu einem Trip nach Riga für ein halbstündiges Feature über Kunst, Kultur und Perestroika. Die nunmehr konstituierte Arbeitsgruppe „Valdis Abolins“ der NGBK reiste nach Riga zur Eröffnung der memorialen Ausstellung und nicht zufällig zur zeitgleichen Eröffnung der Ausstellung des Berliner Künstlers Dieter Masuhr. Um diese Zeit konkretisierte sich neben der modifizierten Übernahme von „Valdis Abolins“ das Projekt, das heute den Titel „Riga-lettische Avantgarde“ trägt. Die Arbeitsgruppe des unikalen, basisdemokratischen Kunstvereins NGBK wählte Barbara Straka und Brigitte Sonnenschein zu Projektleiterinnen. Anfang 1988 beteiligt sich die Rigaer „Werkstatt zur Restauration...“ an Micky Remanns 2.Transworld Telefon/Telebild-Konzert. Kurz darauf publiziert Eckart Gillen in der Zeitschrift „Niemandsland“ ein ausführliches Gespräch mit Juris Bioko, Inguna Cernova und dem Architekturtheoretiker Hardijs Ledins von der „Werkstatt“.

Das „Bräunungsstudio Malaria“ sorgt inzwischen dafür, daß der aufsehenerregende lettische Film „Ist es leicht, jung zu sein“ von Juris Podnieks ins deutsche Kino kommt (Verleih Pandora/Ffm). Schließlich reist das „Bräunungsstudio“ mit Performances und „Westbam“ nach Riga auf Einladung des „Museums für Kunst jenseits von Grenzen“.

Die ansonsten lebendige Rigaer Kunstszene und ihre Kritiker haben erstmal Verständnisprobleme sowohl bezüglich Hervorbringung ihrer eigenen jungen Kunst, als auch die Darbietungen betreffend, die mit Kategorien wie Happening, Performance, unsichtbares Theater oder dem erweiterten Kunstbegriff eines Beuys umschrieben werden. Eine Strahlengefahr-Performance des „Bräunungsstudios“ (kurz nach Tschernobyl) wurde mitnichten mit der Katastrophe in Verbindung gebracht - zu lange hatte Verharmlosung vorgeherrscht. Was „Record Art“ betrifft oder das „Sampling“, fehlen theoretische Voraussetzungen, Videokunst (Elektronik) wird grundsätzlich als Film (Chemie) betrachtet, was allerdings der breiten Rezeption hierzulande durchaus entspricht.

Die Planung des Projektes „Riga - lettische Avantgarde“ erregte ein konzentriertes Interesse lettischer Medien an den nach Berlin geladenen jungen Künstlern. Das Ereignis wurde in Anlehnung der jährlichen „Tage der Kunst“ Lettlands als deren „kleinere“ Fortsetzung in Berlin apostrophiert. Schließlich soll die letzte große Ausstellung lettischer Kunst im westlicher gelegenen Ausland in der dreißiger Jahren in Paris von der bürgerlichen Republik Lettland geplant, doch mangels Mitteln nicht durchgeführt worden sein.

Die Arbeitsgruppe der NGBK hat das aktuelle Projekt mit einem senatsgeschröpftem Budget bestritten und läßt wissen: „Die Realisierung war nicht allein eine Angelegenheit der Bereitstellung öffentlicher Mittel, sondern verdankt sich zuallererst der Initiative, dem Interesse, der Offenheit und Kooperationsbereitschaft aller, die an der Planung und Durchführung der Ausstellung beteiligt waren. Dies zu betonen ist uns besonders wichtig, da ... die bereitgestellten Mittel in keinem Verhältnis zu seiner kulturpolitischen Bedeutung und dem Aufwand seiner Realisierung stehen.“

Ulis Zens