: HIPPIE-PATTERN
■ Dorothee Janonne in der Galerie Petersen
Wer nur Dorothee Janonnes erotomane Phase, etwa der siebziger Jahre, der bunten bildlichen Darstellung von Pärchen und Figuren in allerlei denkbaren oder praktizierbaren Positionen und Ornamenten kennt, ist vielleicht verwundert über den bildnerischen Ansatz ihrer frühen Werke, die sie derzeit in der Galerie Petersen zeigt und literarisch erläutert.
Das Erstaunliche und auch Originäre dieser Bilder besteht in einer durchgängigen, fast symmetrischen Heiterkeit, welche verstandesmäßig nur schwer erklärbar ist. Mit einer woher auch immer genommenen Sicherheit verfolgt sie die Spuren eines inneren Weges der geistigen Entwicklung, der die äußere Welt als Gefüge, Struktur, Farbtextur oder figurative Assoziation erscheinen läßt.
Am Anfang ihrer künstlerischen Tätigkeit, etwa seit 1959, benutzte sie bezeichnenderweise die Finger zur Malerei und keine Pinsel, damit der Weg von innerer Nervenbedingtheit und Befindlichkeit zur äußeren Darstellungsmodalität ungebrochen und umstandslos auf der Leinwand erkennbar wurde. Intellektuell fundiert und hinreichend entfremdet von diversen Studien wie Jura, Kunstgeschichte, Literatur in Boston und Kalifornien suchte sie mehr und mehr bildnerisch ihren unorthodoxen psychischen Weg durch das Getümmel der Alltagserscheinungen und Phantasievorstellungen und des Ozeans der Möglichkeiten. („Ich mußte etwas tun mit meiner Energie, etwas Befriedigendes“). Sie arbeitete stetig, aber spontan und trotz aller Systematik dem Trieb nach spielerisch, ziemlich unabhängig von ihrer jeweiligen Umgebung.
Europa durchstreifte sie schon 1959, wo sie die größten Städte besuchte, Nordafrika lernte sie kennen, lebte auf einer griechischen Insel, hatte bis 1966 schon die ganze Welt umreist, war in Indien gewesen, Kambodscha, Thailand und anderen fernöstlichen Ländern und hatte in Kyoto gelebt, in der südlichen Türkei und in Cap d'Antibes. Wo sie auch arbeitete, fand sie Formulierungen und Bildideen aus dem direkten Phantasiemittelpunkt, seltener auch durch künstlerische Vorbilder wie Matisse oder den bildnerischen Fundus der tantrischen Malerei.
Betrachtet man Dorothee Janonnes Bilder länger, so wandert der Blick, ohne in Langeweile oder Verwirrung zu verharren, interessiert zwischen den Bildrätseln, die nur insoweit narrativ sind, wie sie auf bildnerische Resonanz hindeuten. Beispielsweise leitet in Bild neun die Farbe Lila in eine Struktur über, welche figurative Elemente freisetzt. Von dort wandert der Blick möglicherweise in eine Rotstruktur über, welche musikalisch auf höhere Töne anspielt. Auch wandert die Verteilung etwas mehr ins Dezentrale. Hüpft man von da in die Grünstruktur, so bieten sich Diagonalen an. Dagegen steht sparsames Schwarz oder reichlicher verteiltes Weiß oder helles Gelb als Ergänzung bzw. Stabilisator. Je nach Reihenfolge der Phantasiewanderung durchs Bild sind die Wertigkeiten der Assoziationen und unwillkürlichen Ideen gewichtet. Enorm musikalisch. Fast könnte man die Bilder drehen, wenn nicht doch eine verhaltene Schwerkraft oder Schwebekraft das gewollte Gleichgewicht bestimmen würde.
Kulturgeographisch einordbar sind Dorothee Janonnes Bilder nur sehr schwer. Manches erinnert an Indianisches, Orientalisches, Indisches, hat aber, sogar bei schwarz -goldener Rahmung, paradoxerweise auch etwas modern Schematisches, das an Computerspiele erinnert oder an bestimmte Phasen von Leger denken läßt. Südamerikanische Farbklänge mit aztektischen Ordnungselementen, aparte logikfremde Zwischenpartituren oder teppichbunte Hippie -Patterns konterkarieren aber jede technoide Dominanz. Überwiegend bestimmen doch eher egomanisch spielerische Möglichkeiten die Disziplin der Bildfläche als organisches Ganzes.
Übersehen sollte man aber bei dem ja viel später erfundenen Sammelbegriff „Pattern“ nicht, daß dieser Begriff sowieso nur eine begrenzte Dehnfähigkeit hat und auch in der erweiterten Auffassung längst nicht alles kategorial abdeckt, was Dorothee Janonne gemalt, collagiert und künstlerisch produziert hat. Manche Bilder von ihr weisen in eine ganz andere Richtung, etwa Anklänge an so unterschiedliche Künstler wie Anselm Kiefer, A.R. Penck oder Willem de Kooning oder Asger Jorm oder Dubufet. Das Literarische ist insgesamt nie direkt bildnerisch verwertet, sondern ist nur spürbar als Idee, Vergeistigung und Vermeidung von trivialen Fehlern.
Deswegen gelingt es ihr auch problemlos, ihre witzigen und phantasievollen exhibitionistischen Cut-out-Figuren, welche in der Galerie Petersen in einer Vitrine in bunten Gruppierungen übereinander plaziert sind, über folkloristisches oder Porno-Comic-Niveau zu heben. Aus einem ihrer Künstlerbücher, das sie um 1966 in New York produziert hatte, benutzt sie ausgeschnittene und deckungsgleich auf Holz geklebte Figuren in der Art ihrer „People“: Zeichnungen von Menschen, welche sie alten Gemälden entnahm, der Pop -Musik-Szene, Bildern vom Zirkus und der Einbildung.
Manches der ereignisreichen Zeit ihrer zahlreichen Begegnungen, Liebschaften und Freundschaften mit bekannten Künstlern der Fluxus-Bewegung - sie war mehrere Jahre die Gefährtin von Dieter Roth, den sie auf einer gemeinsamen Schiffsreise mit Marianne und Robert Filou kennenlernte traf Emmett Williams, Ben Vautier, Tut und Arthur (Addi) Köpcke, George Brecht, Al Hansen, Daniel Spoerri und viele andere, manches auch von privaten und öffentlichen Happenings und „Events“, von ihren Büchern und Kassetten, überhaupt von ihrem schwer eingrenzbaren Kunstbegriff wird bereits aus ihren unkonventionell individuellen Frühwerken erklärbar und verstehbar.
1976 erhielt Dorothee Janonne ein DAAD-Stipendium, seitdem lebt sie in Berlin. Nach Ausstellungen in der Galerie Hammer, der Studio-Galerie Mike Steiner, U.Würthle und O. Wiener, zeigten 1978 das Haus am Lützowplatz und 1982 in der Galerie Ars Viva ihre Arbeiten in Berlin. Dorothee Janonnes frühe von ihr vor kurzem wiederentdeckten Bilder sind nun also erstmals in der Galerie Petersen zu sehen. Ihre kontemplative Expressivität und ihr kosmopolitischer Charakter können auch noch in der Gegenwart faszinieren, neue Ideen vermitteln und unseren Horizont erweitern.
Andreas Kaps
Dorothee Janonne in der Galerie Petersen, Goethestraße.
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