■ H.G. Hollein: Fehlgriffe
Die Frau, mit der ich lebe, berät mich bisweilen eher nachlässig. So stand ich kürzlich in einem Zustand morgendlicher Entscheidungsschwäche vor dem Kleiderschrank, unvermittelt überfordert von Schnittvielfalt und Mustermenge der eigenen Unterhosen. Ein kritisches Sichten des Bestandes und mehrfache Anproben entlockten der wartenden Gefährtin anstelle partnerorientierten Zuspruchs allerdings lediglich ein harsches „Mein Gott, jetzt mach schon!“Leicht, aber nachhaltig gekränkt verbrachte ich den Tag in einem älteren und in der Paßform leider etwas überholten Modell, entschlossen, bei der ersten Gelegenheit einen größeren Posten identischer und der aktuellen Körperform angemessener Trikotagen zu erwerben.
Wenig Freude bereitet mir auch eine unlängst erstandene Hose. Zwar kamen mir angesichts des Ziehharmonika-Staus auf den Füßen bereits in der Kabine erste Bedenken, jedoch vertraute ich leichtfertig dem modischen Rat der Gefährtin: Das trüge man eben jetzt so. Und überhaupt: Das sei Leinen, und Leinen liefe nun mal der Länge nach ein. Das, so weiß ich jetzt, tut es heute nicht mehr. Gefaßt ertrage ich nun also die hochgezogenen Augenbrauen jüngerer Arbeitskolleginnen und den aufklärenden Bescheid, daß erstens der Grunge-Look nicht mehr ganz meinem Alter entspricht und zweitens Bundfaltenhosen sowieso niemand mehr trägt.
Offenbar ist die Gefährtin für mein Erscheinungsbild aber nicht rundweg unempfindlich. So verbrachte ich vorgestern lange Stunden am Herd mit der Zubereitung eines Sauerbratens. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen, nur war ich am Morgen danach von einer deftigen Wolke säuerlicher Ausdünstungen umweht. Der Versuch, die unerwünschte Aura durch einen kurzsichtigen Griff in die Kosmetik- Probensammlung der Gefährtin mit „Joop Douche Cristal“zu neutralisieren, zeitigte interessante Nebeneffekte. Vor der Haustür von einem Hund verbellt, im Büro von den Kollegen gemieden, wurde ich abends von der Gefährtin überraschend nachhaltig lüstern umwittert.
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