H.-C. Schinks Werkschau in Cottbus: Das Gegenteil der unberührten Natur
Die politische Zeitgenossenschaft der fotografischen Landschaft: Hans-Christian Schink im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus.
Ach ja, diese ein wenig in die Jahre gekommene Vision von den "blühenden Landschaften" im Osten Deutschlands! Gibt es zwischen Häme und Spott eigentlich irgendeinen Kommentar, der hierzu noch nicht in der Welt ist? Und doch muss man an dieses vollmundige Versprechen denken, das seinerzeit ein deutscher Bundeskanzler gab, geht man dieser Tage durch die ehemaligen Industriehallen des Kunstmuseums Dieselkraftwerk in Cottbus.
Im besten Sinn des Wortes ist das dkw, auf einer Spreeinsel am Rand der Cottbuser Innenstadt gelegen, seit bald drei Jahren ein Laboratorium zur fortgesetzten Erkundung der Kunst von Moderne und Gegenwart. Und dass der selbst gesetzte Sammlungs- und Ausstellungsschwerpunkt des Cottbuser Museums "Landschaft, Raum, Natur, Umwelt" heißt, kommt da wie gerufen. Bietet sich doch so die beste Gelegenheit, mit dem Blick der Bildkünste nach dem Stand der Dinge in Sachen "blühende Landschaften" zu fragen.
Gerade deshalb wurde es höchste Zeit für eine Werkschau des Leipziger Fotografen Hans-Christian Schink, der zu Unrecht nicht in einer Reihe mit den um nur wenige Jahre älteren Düsseldorfer Fotografen genannt wird. Die Hallen des dkw sind der ideale Ort für eine solche Retrospektive. Denn hier wird der Blick auf ein künstlerisches Werk gelenkt, das mit konsequenter Beharrlichkeit auf eine Spurensuche in menschenleeren Landschaften setzt und dabei dennoch fortgesetzt diese abwesenden Menschen zum eigentlichen Bildgegenstand nimmt.
Landschaften sind das ganze Gegenteil einer unberührten Natur. Sie sind die Summe von mal behutsamen, mal brachialen Interventionen, die einen Raum formen und gestalten, um ihn sodann umso besser nutzbar machen zu können. Und gerade diese menschengemachte Zweckmäßigkeit des einstmals Natürlichen ist es, die Schinks Fotografien mit luzider Zurückhaltung ausloten und kommentieren.
Die "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" etwa wurden einmal als ein Versprechen auf höhere Mobilität angestoßen. Doch in Schinks großformatigen fotografischen Tableaus, die zwischen 1995 und 2003 unter ostdeutschen Autobahnbrücken und auf neu errichteten ICE-Trassen entstanden, wird vor allem deutlich, dass dieser "Aufbau Ost" zugleich eine Gelegenheit zur vehementen Neuinterpretation ganzer Landstriche bedeutete. Lange kann man vor dem Bild der halb fertiggestellten Eisenbahntrasse bei Radefeld darüber nachdenken, wie diese Wiesen kurz vor Leipzig einmal ausgesehen haben mögen, bevor das Gleispaar mit der Logik des Hochgeschwindigkeitsverkehrs messerscharf die Landschaft teilte. Ganz anders hingegen der mächtige Betonleib einer Autobahnbrücke im Rippachtal: In einer lang gezogenen Linkskurve schwingt sich dieser Zubringer über den Köpfen der Betrachter in die sächsische Landschaft ein, als hätte dieses Ungetüm schon immer dort gestanden.
Diese Bilder eignen sich nicht für die vordergründige Feier eines Triumphs von Technik und Verkehr. Sie geben aber auch wenig Anlass zu melancholischer Larmoyanz angesichts der Zersiedelung der natürlichen Räume. Sie halten zu beidem Abstand und gewinnen hierin ihre zwingende Qualität. Denn stets handelt es sich um ins große fotografische Tableau gesetzte Anstöße, darüber nachzudenken, wie unser Umgang mit den uns umgebenden Landschaften, ob sie nun blühen oder nicht, beschaffen ist - und wie er womöglich statt dessen sein sollte. Gerade auf dieser politischen Zeitgenossenschaft des fotografischen Landschaftsbildes beruht die bemerkenswerte Kraft dieser Arbeiten.
Dennoch scheint Schinks jüngste, in den vergangenen sieben Jahren entstandene und nun abgeschlossene Werkgruppe "1h" den entgegengesetzten Weg einer fotografischen Landschaftsästhetik nehmen zu wollen. Das Bildmotiv wird hier zum Ort eines fotografischen Experiments, das den langen stillen Blick auf die Landschaft bis zum Äußersten überdehnt, dabei jeden politischen Nebensinn austreibt und gerade hierin einen sichtbaren Mehrwert sucht. Gegeben ist mit der titelgebende Stunde das Maß einer Belichtungszeit, die nicht mehr nach dem Vierundzwanzigstel einer Sekunde, sondern nun eines ganzen Tages misst.
Gleichgültig, ob an der Küste oder im Park, in der Wüste oder im Gebirge entstanden - der Blick hinaus ist in diesen Bildern vor allem ein Blick hinauf. Durch die ins Extrem gesteigerte Belichtung brennt sich der Lauf der Sonne als ein pechschwarzer Schlitz in den Himmel, der hintergründig umso eindringlicher leuchtet und die Landschaft im Ganzen unverkennbar ins Magische überhöht.
In gewisser Weise gibt sich Schink hierbei prononciert altmodisch: Experimentierten doch die ersten Fotopioniere im frühen 19. Jahrhundert noch mit Belichtungszeiten von mehreren Stunden, um mit ihren Kameras überhaupt ein Bild einfangen zu können. Mit seinen Bildern vom einstündigen Lauf der Sonne scheint Schink zu einer solchen geduldigen Aneignung der Welt aus der Ur- und Frühgeschichte des Fotografischen zurückkehren zu wollen. Und zugleich wendet er dieses Verfahren ins Programmatische. Denn nicht länger sind es die Architekten, Raumplaner und Bauarbeiter, die mit den Zug- und Autobahntrassen den natürlichen Raum überformen und verwandeln. An ihre Stelle ist nun der Fotograf getreten, der mit seinen Tableaus sichtbar in die von ihm beschriebene Landschaft eingreift.
Bis 27. März, Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus
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