Guter böser Wolf: „Es ist eine stinknormale Wildtierart“
Frank Faß versteht sich als Aufklärer: Wie man mit dem Konfliktpotenzial zwischen Wolf und Mensch umgehen kann, zeigt er seit drei Jahren im Wolfcenter im niedersächsischen Dörverden.
taz: Herr Faß, wie sind Sie auf den Wolf gekommen?
Frank Faß: Sie meinen persönlich?
Ja.
Also, das war letztlich 2005, gemeinsam mit meiner Frau, bei einer Rundreise mit dem Wohnmobil durch die kanadischen Rocky Mountains. Wir waren uns vorher sicher gewesen: Wir werden Schwarzbären sehen, vielleicht auch Braunbären und Elche. Aber wenn uns jemand vorher gesagt hätte, dass wir auch Wölfe antreffen – da wäre ich doch skeptisch gewesen …
… und – Sie sind dann doch Wölfen begegnet?
Ja, mehrfach. Das hatten wir nicht erwartet. Und wie es halt so ist, dann nimmt man den Fotoapparat und hat natürlich immer gerade das falsche Objektiv drauf …
… und dann sind die Tiere weg.
Na, die Fotos sind halt nicht so toll geworden. Aber das Erlebnis war ja viel wichtiger. Ich bin selbst gelernter Luft- und Raumfahrtingenieur, ich bin es gewohnt, nüchterner zu denken, technikorientiert und in Prozessen. Aber diese Begegnung – die hat uns vom Hocker gehauen.
39, hat als Luft- und Raumfahrtingenieur bei EADS gearbeitet und sich zum Verhaltensberater für Mensch-Hund-Beziehungen durch ein Studium am Canis-Zentrum für Kynologie umgeschult, bevor er 2010 das Wolfcenter Dörverden gründete.
Und deshalb halten Sie hier Wölfe in Gehegen?
Nein, so einfach war’s nicht. Allerdings haben wir danach ein kanadisches Wolfcenter besucht. Wir wussten überhaupt nicht, was das ist. Und dort hat uns dann eine Biologin direkt an einem Gehege eine halbe Stunde lang erzählt, was Wölfe eigentlich sind – wie sie leben, wie sie sich verhalten. Und: wo die Konflikte liegen. Das fanden wir großartig: Diese Offenheit, diese Ehrlichkeit auch in oft so kontroversen Fragen – das hat uns gefallen.
Und das wollten Sie nach Deutschland übertragen?
Ja, das war für uns der Auslöser – vor dem Hintergrund, dass der Wolf damals begann, sich auch hier wieder auszubreiten.
Und die Ängste …?
Es sind nicht nur Ängste. Es gibt tatsächliche Konflikte, die man nicht als irrational abtun sollte. Wir verstehen uns hier als Öffentlichkeitsarbeiter für den Wolf – und sehen unsere Aufgabe darin, alle Seiten zusammen ins Gespräch zu bringen, um aufzuklären – durch die Ausstellung, mit dem großen Internationalen Wolfssymposion dieses Wochenende und indem wir die Begegnung mit dem Wolf ermöglichen. Denn wir müssen in Deutschland erst wieder lernen, mit dem Wolf zu leben, seit er vor 13 Jahren begonnen hat, hier wieder heimisch zu werden.
Warum nicht vorher?
Das hat wohl mit dem Fall der Mauer zu tun …
… was ja auch noch mal rückblickend zeigt, wie abgeschottet die Blöcke waren – denn normale Grenzen halten Wölfe ja nicht auf: Die wandern ja teilweise bis Weißrussland …
… mitunter sogar noch darüber hinaus, ja. Sie haben völlig recht: Wölfe orientieren sich nicht an Staats- , Landkreis- oder Bundeslandgrenzen. Das hat in föderalen Staaten wie Deutschland ja durchaus auch einen Nachteil – schließlich braucht dann jedes Bundesland, sobald die Wölfe dort gesichtet werden, einen eigenen Plan fürs Wolfs-Management.
Wozu das?
Der Wolf steht unter dem höchstmöglichen Schutz, den eine Tierart bei uns genießen kann. Also muss geklärt sein, wie mit den Konflikten umzugehen ist, die er mit sich bringt.
Und das wären?
Es sind im Wesentlichen drei Konfliktkreise. Zunächst machen sich die zweibeinigen Jäger Sorgen, zu denen ich auch selbst gehöre, weil er Rehe, Hirsche und Wildschweine als Beute greift – also die Tiere, die als Wildbret sehr begehrt sind.
Der Wolf als Konkurrent.
Genau. Das ist eine direkte Konkurrenz um Beute, und einige Jäger stört das sehr. Der gravierendste Konfliktkreis ist aber die Landwirtschaft …
… also die Schäfer?
Genau. Da geht es um Schadensausgleichszahlungen und darum, wie sich Herden wirksam schützen lassen. Außerdem gibt es noch den Bereich Rinder.
Sind die nicht zu groß?
Also, wenn Kälber alleine auf der Weide stehen, das ist nicht so ideal, hinter einer Reihe Stromdraht. Für die Kälber reicht das, die laufen nicht weg.
Und wenn der Wolf kommt?
Die könnten zumindest eine Beute sein. Solch einen Übergriff hatten wir in den vergangenen 13 Jahren in Deutschland allerdings bisher nur ein Mal, von einem zweiten Fall kursieren Gerüchte.
Aber das reicht ja, um die Diskussion in Gang zu bringen.
Ich bin gebürtiger Ostfriese, ich bin mit den schwarzbunten Tieren aufgewachsen: Ich finde es sehr schwer vorstellbar, dass Wölfe sich da rantrauen. Aber in Einzelfällen passiert es offenbar. In der Schweiz hat vor einiger Zeit eine Wölfin zwei acht Monate alte Kühe alleine runtergezogen.
Krass.
Das ist natürlich so nicht hinnehmbar. Und da sagen wir hier auch ganz klar: Wölfe sind keine Kuscheltiere. Wer so im Geiste unterwegs ist, dem sagen wir: Nein, die Vorstellung ist genauso falsch wie das andere Extrem, zu fordern, diese Viecher auszurotten. Der Wolf ist letztlich eine stinknormale Wildtierart.
Aber eine, die Angst macht?
Das ist genau der dritte Konfliktkreis: die eigene Sicherheit. Die Frage stellen sich viele, ob wir noch ungestört durch unsere Wälder spazieren können, joggen, reiten und unsere Kinder draußen butschern lassen – oder besteht die Gefahr, dass uns der Wolf angreift oder gar tötet.
Macht er aber nicht, weil er selbst Angst vor Menschen hat, oder?
Das glaube ich so nicht. Er ist einfach nicht interessiert am Menschen. Er will keinen Kontakt, und er wird im Grunde nicht für den Menschen gefährlich, außer, wenn Tollwut im Spiel ist, die man in Westeuropa seit 2006 nicht mehr festgestellt hat …
Also eine Tollwutinfektion wäre die Voraussetzung …?
Bei fast allen bestätigten Übergriffen von Wölfen auf Menschen war Tollwut im Spiel, oder es hatte vorher menschliches Fehlverhalten gegeben.
Welcher Art?
Vor allem, dass die Tiere angefüttert wurden, das erhöht das Risiko. Es gibt noch eine sehr dichte Region in Indien, in der Wölfe angeblich des öfteren Kinder töten, dort scheinen aber sehr besondere Umstände vorzuliegen. Aus den westlichen Ländern kenne ich nur einen bestätigten Fall, wo solche Gründe ausgeschlossen werden können – von einer Joggerin in Alaska. Die war 32 Jahre alt, ist morgens losgelaufen, mit Walkman, durch ein Gebiet, wo bekanntermaßen Polarwölfe lebten – und nicht mehr heimgekehrt.
Es kann also passieren?
Ja. Aber es ist so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto – und selbstverständlich sind die Tiere, das halte ich in so einem Fall für die einzige Lösung, auch abgeschossen worden. Das hilft den Angehörigen natürlich nicht. Und das macht erst recht die junge Frau nicht wieder lebendig. Aber wir fahren auch Auto – trotz vieler Millionen Verkehrstoter im Jahr. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit.
Mehr zum Thema lesen Sie in der taz.am Wochenende am Kiosk oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!