Gute Vorsätze für's neue Jahr: Law and Order ist links
Der Horror des Jahres 2011: Die Entdeckung, dass eine neonazistische Bande zehn BürgerInnen ermorden konnte. Wie man dieses Gräuel wiedergutmacht? Geht nicht.
Dieses Gefühl lässt sich gar nicht präzise genug formulieren: Die Republik war viel zu gering in Besorgnis und Aufruhr, als durch ermittlungstechnische Zufälle endlich herauskam, dass die Morde an acht Bürgern türkischer, an einem griechischer Herkunft und einer Polizistin gemeinsam einer neonazistischen Bande zuzurechnen sind.
Nicht allein dies: Erwiesen ist inzwischen, dass die Sicherheitsbehörden zehn Jahre lang in alle Richtungen ermittelten, nur nicht in die offenkundig naheliegende: dass da eine neonazistisch vielleicht nicht hochorganisierte, aber bestens vernetzte Gruppe am Werken war. Dass aller Terror nicht mit Schutzgelderpressungen, mit gedungenen Hintermännern oder Familienzwistigkeiten zu tun hatte, vielmehr mit dem Kernanliegen aller Postnationalsozialisten: Deutschland von allem zu reinigen, was ihnen nicht deutschblütig vorkommt.
Das Empfinden, von dem gesprochen werden muss, ist ein diffuses. Weshalb fand eigentlich nach den Enthüllungen nicht das statt, was ja schon mal probiert wurde – mit Lichterketten so etwas wie grundsätzliches Mitgefühl zu signalisieren mit den neuen BürgerInnen, mit jenen, die vielleicht auch vor den Behörden, gewiss aber vor TäterInnen wie denen aus Thüringen schutzlos sind. Woher rührten so absurde Mutmaßungen, dass man das doch alles nicht habe wissen, auch nicht spekulieren können, da es doch an Bekennerschreiben fehlte?
Eine blödere Ausrede hätte es nicht geben können: Jeder dieser Morde war das beste Statement überhaupt – es war die Sprache der Körper, die ausgelöscht wurden, die Bekenntnis genug enthielt. Die Irritation über mangelnden schriftlichen Erklärungsmut verrät mehr über die Interpretation dieser Taten als über die Opfer: Man war gewohnt, wie einst durch die RAF intellektuell aufgeheizt und stylish abgefasstes Täterschriftgut zu bekommen.
Man könnte sagen: Beim linken Terrorismus spielte sich das Bekennertum in der Abiturliga ab – die TäterInnen aus Thüringen verlegten sich auf das Simpelste, indem sie eine Gewalt zur Geltung brachten, die gerade ihrer nichts begründenden Stummheit wegen besonders Furcht zu verbreiten wusste.
Also: Woran lag es, dass selbst die linke Szene wie schockiert den Nachrichten über unfähige Verfassungsschutzämter und deren Ignoranz den Mordspuren gegenüber zusah? Weshalb stand der wache, liberale, linke, bürgerrechtliche Teil des Landes nicht auf – und forderte von der Politik etwas, was doch naheläge zu fordern: Law & Order?
Zur Sache selbst ist zu sagen: In weiten Flächen des Gebiets, auf dem einst die DDR war, ist es vietnamesischstämmigen Imbissbetreibern nicht mehr möglich, einen Nudelladen aufzumachen – Versicherungen weigern sich, die potenziellen Brandschatzungen dieser Läden zu versichern. BürgerInnen, die nicht fahl-mischblond aussehen, sind nicht nur gut beraten, Landstriche von Mecklenburg-Vorpommern bis Thüringen zu meiden – dort ist ihnen auch durch die viel zu schwache Präsenz der Polizeien besser nicht angeraten sich anzusiedeln.
Hässlicher Schmäh gegen Menschen mit Migrationshintergrund gehört in diesen Regionen zum Alltagssprech: Fidschis, Zecken, Kanaken – das Klima ist für jene, die sie dort für "Ausländer" halten, beißend ungastlich, häufig offen aggressiv-bedrohlich.
Die Mentalität mal wieder
Law & Order ist sprachlich eine Chiffre, die für Linke stets eine Politik der Observierung und Einschüchterung von Konservativen gegen Libertäre und Alternative meinte. Aber gibt es wirklich ein ehernes Verständnis von dem, was Law & Order bedeutet?
Der Eintrag bei Wikipedia beispielsweise – eine Bestandsaufnahme öffentlicher Debatten – schwurbelt lediglich, er gilt als unfertig: "Kritisiert wird unter anderem, dass durch eine einseitige Betonung auf Sicherheit Grundrechte eingeschränkt oder abgebaut werden können." Und weiter: "Nach Meinung von Kritikern werden Ursachen für Kriminalität, Terror oder Unruhen größtenteils ausgeblendet und Repression einer Prävention ausgeblendet."
Gottchen, da haben wir sie wieder: die Mentalität, im Grunde sei alles Übel durch Prävention verhinderbar. Eine wichtige, zumindest aktuelle Wahrheit könnte hingegen sein: Neonazis sind nicht therapierbar (was sie sich ohnehin strikt verbitten), sie mögen soziale Gründe für ihre Weltanschauungen anführen (was die meisten nicht tun), sie könnten sogar mancherlei Leid in eigener Sache für ihre Taten anführen (wenn überhaupt). Allein: Es sind Ausreden. Prävention ist die stete Generalantwort jener, die statt Polizei lieber die Zivilgesellschaft am guten Wirken sähen.
Aber: Weder ein NPD-Verbot noch der viel zu allgemeine Gedanke, die Zivilgesellschaft möge alles zum Guten tragen (soll sie bitte auch), hülfen weiter. Wichtiger als ein Verbot einer politischen Organisation, die nach allem, was man weiß, heftig verstrickt ist mit neonazistischen Gewalttaten, wichtiger als alles, was man so verqualmt unter den zivilen Institutionen begreifen möchte, wäre schiere Polizeipräsenz in den No-go-Areas des Ostens (und des Westens gleich dazu), in Gegenden, die man als "ausländisch" aussehender Mensch besser nicht betritt. Das würde Geld kosten - na und? Es müsste für die wichtigste Aufgabe des Staates ausgegeben werden: den Schutz von Wehrlosen.
Es ist auch, gegen alle liberale Grundsätzlichkeit, unbedingt Innenminister Friedrich zuzustimmen, der ein Generalregister für alle neonazistischen Vorkommnisse wünscht - und vorläufig noch an der Justizministerin der FDP scheitert. Was möchte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erreichen, wenn sie eine solche zentrale Kartei ablehnt? Dass Grundrechte bewahrt werden? Für BürgerInnen mit migrantischer Lebensgeschichte wäre das Prinzipienreiterei. Sie waren und sind die Leidtragenden, wenn eine wichtige Ermittlungsquelle nicht aufgebaut wird.
Denn das müsste bezweckt sein: dass jede Tat, die aus Hass auf Fremde – "Ausländer" oder Homosexuelle etwa – heftig geahndet wird. Jeder, der sich solcher Hassverbrechen schuldig macht, muss mit sehr langen Haftstrafen rechnen.
Law & Order ist Teil linker und liberaler Politik
Zu diesen Handlungen sollten bereits Sprech- und Demonstrationsakte zählen: Nicht mehr Akteure gegen neonazistische Umzüge dürfen kriminalisiert werden, sondern diese Demonstrationen, die nichts, gar nichts als Hass schüren, dürfen gar nicht erst erlaubt werden. Und zwar mit Verweis auf den Frieden im Lande, der in diesen völkischen Akten bedroht wird.
Law & Order, so halten es linke Politiker in Großbritannien und den USA, ist ein Teil linker und liberaler Politik. So, wie die Taten der thüringischen Bande die deutschen Staatsapparate in Aufruhr versetzt zu haben scheinen, könnte eine Politik der Wiederherstellung zivilisierten Miteinanders aussehen: JedeR, der glaubt, nazistische Gedanken in anderem denn in privatem Rahmen zu äußern, muss damit rechnen, zum Outlaw zu werden.
Alle, die Hass gegen Migranten oder für sie "Fremde" befördern, müssen damit rechnen, dass ein bürgerliches Leben ihnen verwehrt bleiben könnte. Konservativ, selbst nationalkonservativ mag jeder sein, wie er oder sie will. Nazistisch aber, ob nun mit Verweis auf die guten alten Zeiten, in denen doch nicht alles falsch war, oder auch nicht, ist total verboten – und zwar bei Androhung von viel drakonischeren Strafen als bislang.
Sicherheit und Ordnung, so skizzierte dies einmal der US-amerikanische Sozialphilosoph Michael Walzer, ist schon deshalb ein Anliegen der Linken und Liberalen, weil Schwache, anders als Starke, sich nicht selbst schützen können. Würden Umrisse eines solchen Wahrnehmungswechsels im neuen Jahr sichtbar, wäre das eine gute Aussicht.
Es wäre darüber hinaus eine sehr praktische Entschuldigung vor den Angehörigen der Opfer der thüringischen Mordverdächtigen. Es muss für die Familien der hingerichteten Kleinunternehmer demütigend gewesen sein, allein mit ihren Ängsten zu sein - und mit den Stigmatisierungen, die man ihnen anhängte.
Und wenn diese Familien wieder auf die Straße gehen, um gegen die Interesselosigkeit an ihren Schicksalen zu demonstrieren, wäre es schön, wenn auch die Linken und Liberalen mit gingen. Ob mit Lichtern oder einer Lichterkette - einerlei. Hauptsache, sie interessierten sich mal wieder für die BürgerInnen, bei denen sie doch sonst gern zum Frisör gehen, Obst kaufen oder sich die Klamotten ändern lassen.
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