Gutachter zu Stuttgart 21: Züge könnten wegrollen
Der geplante Tiefbahnhof hat ein Gefälle von 1,5 Prozent. Wenn Züge nicht ordentlich gesichert werden, könnte das zu schweren Unfällen führen.
STUTTGART taz | Die Bahnsteige im Tiefbahnhof sollen rund 400 Meter lang sein und am einen Ende sechs Meter höher liegen als am anderen. Ein Gutachter sieht die Gefahr, dass haltende Züge während des Fahrgastwechsels wegrollen. Er rechne aufgrund menschlichen Fehlverhaltens „alle 4,5 bis 5,5 Jahre mit einem gravierenden Schadenseintritt“, schreibt der ehemalige Bahnplaner Sven Andersen in seiner Zusammenfassung. Er war vom BUND und dem Verkehrsclub Deutschland beauftragt worden.
Die Neigung der geplanten Stuttgarter Bahnsteige liegt mit 1,5 Prozent sechsfach über dem Grenzwert der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO) von 0,25 Prozent. Setzt sich ein Zug von selbst in Bewegung, legt er laut Andersens Berechnungen in zehn Sekunden bei normaler Neigung 0,85 Meter zurück, in Stuttgart aber schon 7 Meter.
Der Zug muss im Stuttgarter Bahnhof also während des Halts besonders gesichert werden. Der Gutachter unterstellt aber, dass jede tausendste menschliche Handlung „fehlgeht“. Dann würde ein Zug losrollen und nach einer Minute mit 30 Kilometer pro Stunde aus dem Bahnhof sausen.
Wegrollende Züge sind laut Gutachten aus Köln bekannt, wo die Gleise eine Neigung von „nur“ 0,68 Prozent haben. Zwischen 2009 und 2012 seien 13 Züge weggerollt, sechs Passagiere wurden dabei verletzt.
Für die Genehmigung des Bahnhofs musste die Bahn 2005 nachweisen, dass der schräge Bahnhof so sicher ist wie ein gerader. Das sei nicht erfolgt, so der Gutachter. Das sei nicht erfolgt, so der Gutachter, und die Genehmigung damit rechtswidrig. Die Bahn hingegen teilt mit: "Ein Nachweis gleicher Sicherheit war und ist nicht notwendig."
Das Eisenbahnbundesamt widerspricht allerdings. Die Bahn habe "Vorkehrungen zur Gewährleistung der gleichen Sicherheit in nicht zu beanstandender Weise und nachvollziehbar dargestellt" – solche Vorkehrungen sollen zum Beispeil rollhemmende Beläge, selbstbremsende Gepäckkarren, sowie Hinweisschilder auf die starke Längsneigung sein. Letztlich wird es aber um Wachsamkeit beim Zugpersonal gehen.
Die Bahn erklärt die Schräglage des Bahnhofs übrigens damit, dass man wegen der "besonders schutzwürdigen Belange des Mineralwassers" im Stuttgarter Untergrund nicht anders bauen könne. Dass trotz der Genehmigung noch über Projektdetails gestritten wird, stört Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Er beklagt eine "polemische und rückwärtsgewandte" Diskussion: "Wir sind mitten im Bau."
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