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Gutachten zu Stuttgart 21Das Milliardengrab der Bahn

Bis zu 5,3 Milliarden könnte die neue ICE-Trasse zwischen Stuttgart und Ulm kosten. Das zeigt ein neues Gutachten der Grünen. Die Bahn geht weiter von 2,9 Milliarden aus.

Selbst der ICE darf hier nur 70 Stundenkilometer fahren: die Geislinger Steige, der steilste Abschnitt der Bahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm. Bild: dpa

STUTTGART taz | Mit einem neuen Gutachten haben die Grünen vor einer weiteren Kostenexplosion bei der ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm gewarnt. Diese Strecke wird im unmittelbaren Zusammenhang mit dem umstrittenen Milliardenprojekt "Stuttgart 21" geplant, bei dem der Hauptbahnhof unter die Erde gelegt werden soll.

Das neue Gutachten der Verkehrsexperten Vieregg und Rößler, das am Mittwoch in Stuttgart vorgestellt wurde, geht von wahrscheinlichen Kosten von 5,3 Milliarden Euro aus. Die Bahn redet bislang von 2,9 Milliarden Euro. Vieregg und Rößler hatten bereits vor zwei Jahren eine Studie zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 vorgelegt. Darin kamen sie auf Kosten von 6,7 bis 8,7 Milliarden Euro. Die Projektträger gehen von 4,1 Milliarden Euro aus. Somit schätzen die Gutachter die Kosten für das Gesamtprojekt auf 12 bis 18,7 Milliarden Euro.

"Es wäre mehr als naiv, wenn wir nicht davon ausgingen, dass die Strecke mindestens fünf Milliarden Euro kostet", sagte der Vorsitzende der Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann (Grüne). Er sprach vom "größten Kostenknaller" in der Geschichte des Schienenbaus. Ohne die Neubaustrecke wäre auch der neue Durchgangsbahnhof in Stuttgart nutzlos, denn moderne Eisenbahntunnel würden dann auf der Schwäbischen Alb auf einer Bummelstrecke enden.

Die neue Studie wurde im Auftrag der Grünen von den Verkehrsberatern Vieregg und Rößler aus München erstellt. Dabei handelt es sich um eine empirische Studie, die die Kosten auf der Grundlage von bereits realisierten Eisenbahnprojekten nach dem Jahr 2000 berechnet hat. Hinzu kamen pauschale Zuschläge von insgesamt rund 33 Prozent, wie sie in allen seriösen Kostenermittlungen, auch bei der DB AG, üblich seien. Die Zuschläge beinhalteten etwa die Kosten von Umweltschutzauflagen oder von Unvorhergesehenem. Die bei der Endabrechnung zu erwartenden Baukosten könnten auf die voraussichtliche Mitte der Bauzeit, das Jahr 2016, bezogen werden. Dafür wurde eine Preissteigerung von 2,5 Prozent jährlich angenommen. Selbst zum heutigen Preisstand würde das Projekt 4,55 Milliarden Euro kosten.

Der wahrscheinlichste Wert von 5,3 Milliarden Euro, der sich daraus ergibt, sei immer noch relativ optimistisch, betonten die Bahnexperten Martin Vieregg und Karlheinz Rößler. Denn weitere tunnelbautechnische Probleme hätten sie dabei nicht eingerechnet. Bei der Trasse nach Ulm handle es sich um die tunnelreichste Bahnstrecke mit einem Tunnelanteil von gut 50 Prozent. Besonders kostenintensiv werden wegen der geologischen Formationen die geplanten Tunnel am Albaufstieg bewertet. Beispielsweise könnten Höhlen unter Wasser stehen.

Die Grundwasser-Problematik sei besser zu beherrschen, wenn die wesentlich kostengünstigeren Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz kämen. Bislang sei für die Arbeiten aber eine traditionelle und kostenintensive Tunnelbauweise vorgesehen. In der Studie von Vieregg und Rößler wurde größtenteils die günstigere Bauweise zugrunde gelegt. Würde die Bahn in diesem Punkt nicht umplanen, könnten die Kosten nochmals steigen und durchaus 10 Milliarden Euro betragen. Selbst im relativ unwahrscheinlichen besten Fall, so die Bahnexperten, seien die tatsächlichen Baukosten 2016 um rund 60 Prozent höher als die von Bahnchef Rüdiger Grube veranschlagten 2,9 Milliarden Euro.

Der grüne Verkehrsexperte Hermann wies noch einmal darauf hin, dass Engpässe vor allem im Schienengüterverkehr zu erwarten seien und die Strecke nach Ulm dafür keineswegs die Hauptachse sei. Die "wichtigste Strecke in Europa" sei die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel, an der seit Jahren gebaut würde. "Dafür wird aber kein Geld mehr da sein", warnte Hermann und fordert für die Strecke nach Ulm: "Der Bund muss die Reißleine ziehen."

Die Deutsche Bahn wies die Ergebnisse der Studie umgehend als "falsch und nicht nachvollziehbar" zurück. Hier werde zum wiederholten Male mit Horrorzahlen versucht, die Bevölkerung zu verunsichern und Stimmung gegen das Projekt zu machen, hieß es in einer Mitteilung.

Vieregg und Rößler hatten mit ihren Kostenberechnungen das Transrapid-Projekt von der Münchner Innenstadt zum Flughafen zu Fall gebracht. 2008 legte die CSU die Pläne wegen der Kostenexplosion zu den Akten.

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14 Kommentare

 / 
  • RA
    Rainer aus Plochingen

    Seit 30 Jahren wird über Stuttgart 21 geredet und geplant. Warum ausgerechnet zu Beginn der Umsetzung die Protestwelle so hoch schlägt ist mir unbegreiflich.

     

    Ganz gleich was das kostet. Das Geld wid ja nicht im Ofen verbrannt, sondern ausgegeben für Baumaßnahmen, die einen Jobmotor darstellen können und viele Unternehmen verdienen daran. Also mal abgesehen von den sicher zu erreichenden verkehrstechnischen Verbesserungen ist es wirtschaftlich ein Gewinn.

  • D
    dieBahnhatimmerRecht

    Recht hat die Bahn: ..."werde zum wiederholten Male mit Horrorzahlen versucht, die Bevölkerung zu verunsichern"! Man sollte doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Bahn macht immer alles richtig macht: ihre Züge fahren stets pünktlich, ihre Klimaanlagen funktionieren vorbildlich, ihre Radsätze sind zuverlässig, die Inspektionen der Züge werden nach neuesten technischen Erkenntnissen durchgeführt, sie bedient auch gern kleine Strecken, sie hat auch ein ausgezeichnetes Schienennetz und nun - besonders wertvoll und für die Geschichtsbücher - Stuttgart 21 usw. usw.

  • K
    Karl

    Die Bahn ignoriert u.a. die Gipskeuperproblematik! Wohin das führt zeigt eine bekannte BAB im Schwäbischen...........

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • S
    Schneider

    Wer ist der beste Rechner und Lügner im Land?

  • B
    Bahnfreund

    "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er gleich die Wahrheit spricht." Für den DEMO-Schlachtruf

    "Lügenpack" gibt es viele Nachweise. Oben bleiben!

  • C
    Celsus

    Da fragt sich wirklich, ob die Bahn AG nach den explodierenden Kosten entweder den falschen Gutachtern vertraut hat oder die Allgemeinheit nur scheibchenweise die Wahrheit erfahren soll. Derweil wird aber weitergebaut - koste es, was es wolle.

     

    Und gute Gründe wurden auch schon gefunden: Es soll tatsächlich zahlreiche neue Arbeitsplätze geben. Das Versprechen kennen wir schon von der Einführung des Euro und anderen Lieblingsprojekten der Politik. Verwirklicht hat sich das dann nie.

     

    In anderen Bereichen werden dann Leute entlassen, um Kosten zu senken. Schlaglöcher in den Straßen deutscher Städte, Entlassungen im Bereich der Stadtgärtnereien, immer längere Warteschlangen bei Behördengängen, Überstunden ohne Ende bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Ordnungsämtern, überlange Gerichtsverfahren, ... - all das ist kein Problem und ein geringer Personalstand wird hingenommen.

     

    Für ein sinnloses Projekt wie Stuttgart 21 wird das Geld dann aber ohne Ende hinausgeschmissen. Das Arbeitsplatzargument ist erkennbar vorgeschoben und rechtfertigt keine Kosten ohne Ende. Es sind die Lieblingsobjekte der Politik, für die dann schon mal das Volk auf gut deutsch gesagt verarscht wird bis zum geht nicht mehr.

     

    Aber das sind dann die gleichen Parteien, die eine Schuldenbremse nicht nur im Grundgesetz sondern auch in den Landesverfassungen haben wollen? Aber da haben die sich wohl gedacht, dass die Aufträge an die Amigos ruhig weiterhin ohne Ende kosten dürfen und dann der Sozialhaushalt am liebsten bis auf Null gedrückt wird. Dahinter vermute ich die Selbstbedienungsmentalität von Parteien und Einzelpersonen und mit anderen Worten Korruption sowie Gleichgültigkeit gegenüber dem Demokratie- und Sozialstaatsprinzip der Verfassung.

  • S
    Stuttgarterin

    Wer von den Entscheidungsträgern verdient denn an diesem Projekt so viel, dass daran trotz massiver Zweifel festgehalten werden muss? Warum wird nicht einfach eine Beweiskräftige Gegenkalkulation vorgelegt? Bisher habe ich immer nur gelesen: die Deutsche Bahn erklärt diese Zahlen für falsch, die Deutsche Bahn streitet ab...Ich freu mich auf 20 Jahre Baustelle! Muss das sein? Zumal noch nicht einmal bewiesen scheint, dass der neue Bahnhof eine schnellere Abwicklung des Zugverkehrs garantiert. Einige wenige werden verdienen, der Bund wird die Kosten tragen. Der Bund bedeutet die Steuerzahler. Typische Taktik, zunächst Fakten schaffen und dann überdenken, wenn man schon 2 Schritte zu weit zum Umkehren ist. Vor allem sind ja schon alle Grundstücke verkauft, die durch den Umbau oberirdisch frei werden! An wen geht das Geld? Die Duetsche Bahn!

  • W
    Wolfgang

    Wenn mir schon ein kleiner Handwerker nach einem verbindlichen Kostenvoranschlag eine 50% überhöhte Rechnung schickt, kann man sich denken, wie es bei so

    einem ominösen politischen Prestige-Bahn-Objekt bei der Abrechnung zugeht. Herr Sarrazin hat Recht: die Deutschen können (die Politiker wollen) nicht mehr rechnen.

  • T
    Thorben

    Baden-Würtemberg ist schon eine Klasse für sich: Erst Jahrzehnte lang die regionalen Bahn-Verbindungen aushungern, laut rufen "wir sind der Wirtschafts-Motor", über den bösen Osten Schimpfen, der nur Geld verschlingt und nichts leistet - und am Ende läßt man sich das Geld durch den Bahn-Konzern und den Bund wieder in den Allerwertesten blasen.

    In Punkto sparen haben die es schon drauf. Da kann man sich ja auch Stuttgart21 leisten, der dann natürlich zur Rechtfertigung eine Schnelltrasse braucht.

    Tempo ist nicht wirklich das Problem! Verfügbarkeit schon eher! Baden Würtemberg ist nicht nur Stuttgart bis Ulm. Hier wohnen noch mehr Menschen.

    Als Vielreisender aus einem anderen Bundesland kann ich aus Erfahrung nur sagen: BW ist in der BRD das rückständigste Bundesland - weil man nur Stuttgart im Focus hat. Mit den Geldern hätte man das vorher zerstörte Netz weiter und gut ausbauen können. Und mir soll keiner kommen mit "Wir haben hier das Problem mit den vielen Hügeln..."! So etwas ist erbärmlich! Irgendwie drängt sich mir der Verdacht auf, daß man in BW auch nur bis zum nächsten Hügel denkt, wenn man sich allgemein die Struktur-Planung anschaut (auch Energietechnik).

    Wenn sich solche Fehlschläge anschaut, kann ich nur sagen: die Bahn gehört zurück in Staatshand. Auch wenn man weniger Anzug-freundliche Züge hätte. Man hätte wieder Verbindungen für die Masse der Menschen.

     

    Mit der Gesamtpolitik spielt die Bahn Ihre Karten der Autoindustrie direkt in die Taschen. Mobilität in BW ist mit der Bahn nicht mehr möglich, so man nicht in Stuttgart-Zentrum wohnt. Die wohlgelobten S-Bahn-Verbindungen sind in BW ein Witz! In diesem Bundesland spricht mitlerweile nichts mehr für die Bahn und trotzdem werden Gelder dieser Höhe verzockt. Auf Kosten aller Bahnfahrer in der Republik!

    Ich tippe mal auf Konkubinen-Wirtschaft.

  • MW
    Michael Weber

    Bahnchef Grube ist ein cleveres Kerlchen! Damit der Bund auf das Projekt einsteigt, werden erst mal die Kosten kleingerechnet, da dieser laut Vertrag für alle Mehrkosten der Neubaustrecke aufkommen muß.Dann fängt man hastig mit dem Bauen (eigentlich besser Abreißen an), um angeblich "unumkehrbare" Tatsachen zu schaffen. Verkehrsminister Ramsauer hat aber inzwischen gemerkt, daß sein Vorgänger hier der Bahn einen ungedeckten Scheck mit einer nach oben offenen Gesamtsumme ausgestellt hat."Herr vergib ihnen NICHT, denn sie wissen, was sie tun!"

  • J
    Jon

    Ich nehme mal stark an, der Protest der Bevölkerung würde sich in Grenzen halten, wenn ein paar Milliarden in den Autobahnbau investiert würden.

  • R
    rugero

    Seit 30 Jahren wird über Stuttgart 21 geredet und geplant. Warum ausgerechnet zu Beginn der Umsetzung die Protestwelle so hoch schlägt ist mir unbegreiflich.

     

    Ganz gleich was das kostet. Das Geld wid ja nicht im Ofen verbrannt, sondern ausgegeben für Baumaßnahmen, die einen Jobmotor darstellen können und viele Unternehmen verdienen daran. Also mal abgesehen von den sicher zu erreichenden verkehrstechnischen Verbesserungen ist es wirtschaftlich ein Gewinn.

  • W
    wernerinitaly

    wieso eigentlich Milliardengrab der Bahn??

     

    Ich schäme mich ja fast, das hier mal anzumerken, aber zweifelt irgend jemand daran, dass die kosten am Ende der Steuerzahler aufbringen wird /muss??

  • DS
    Dr. Schreck

    "Die Deutsche Bahn wies die Ergebnisse der Studie umgehend als "falsch und nicht nachvollziehbar" zurück." - Wer glaubt das denn einem Verein, der sogar Klimaanlagen nicht berechnen kann? Aussagen wie dieser traue ich ja nach der falschen und nicht nachvollziehbaren Pannenserie der Dt. Bahn diesen Sommer keinen Zentimeter mehr über den Weg.

     

    Ich wünsche den S21-Gegnern viel Chuzpe, Durchsetzungsvermögen und einen langen Atem gegen die Arroganz von Bahn, Stadt und Land.

     

    MfG, Dr. Schreck