Gurlitt als Kunstsammler und Profiteur: Kunstraub und Kunstdienst
Das Schloss Schönhausen diente von 1938 bis 1942 als Zentrale für den Verkauf „entarteter Kunst“. Christen bereiteten die Händlerware auf.
BERLIN taz | Schloss Schönhausen in Pankow wirkt im Nebel wie ein ockerfarbener Hügel, der sich schemenhaft hinter Lindenreihen erhebt. Ein Pflasterweg führt zum Portal. Jogger eilen vorbei, die drei hohen Glastüren sind verschlossen. Fernab der Berliner Innenstadt hält das Schloss Winterschlaf.
Das herrschaftliche Haus mit der eleganten Rokokotreppe, das Friedrich II. seiner ungeliebten Gattin Elisabeth Christine als Sommerresidenz schenkte, nutzte ab 1934 der in Berlin ansässige Kunstdienst der Evangelischen Kirche, ein Verein zur Förderung der bildenden Künste in den evangelischen Gemeinden, er veranstaltete Ausstellungen und Konzerte. Zwischen 1938 und 1942 wickelten die kunstsinnigen Protestanten auch einen Großauftrag der Reichsregierung ab: den Verkauf der „entarteten Kunst“, die ab August 1937 in Museen und Galerien im Deutschen Reich beschlagnahmt wurde.
Schloss Schönhausen war die größte Vitrine für die Verwertung eingezogener Kunstwerke der klassischen Moderne. Hier rollten die Lkws vor, Transportarbeiter luden Plastiken von Barlach und Lehmbruck aus, Gemälde von Nolde, Pechstein, Dix, Corinth, Aquarelle, stapelweise Druckgrafiken. Kunsthändler wie Hildebrand Gurlitt eilten die geschwungene Treppe hinauf in die Ausstellungsräume. Galten die Werke, die vor dem Schloss abgeladen wurden, doch als Filetstücke, die möglichst viele Dollar in die Staatshauptkasse spülen sollten.
Der Fund: Im Februar 2012 wurden bei einer Durchsuchung der Wohnung von Cornelius Gurlitt gut 1.400 Werke der klassischen Moderne sichergestellt. Viele der Arbeiten galten unter den Nazis als "entartet". Gurlitt, Jahrgang 1933, gab an, dass es sich um den Nachlass seines Vaters Hildebrand Gurlitt handele.
Der Streit: Am 3. November berichtete erstmals der Focus darüber. Über die Frage, wem die Kunstwerke gehören, herrscht Unklarheit. Museen und Privatpersonen melden Ansprüche an. Gurlitt fordert alles zurück. Die Staatsanwaltschaft will etwa 310 Bilder zurückgeben, die ihm "zweifelsfrei" gehören. Werke mit unklarer Herkunft sind unter lostart.de veröffentlicht.
Lektüre: Hans Prolingheuer, "Hitlers fromme Bilderstürmer",
Köln 2001.
Die Arbeiten, die kaum oder gar keine Devisen bringen würden, harrten hingegen im Depot in der Köpenicker Straße 24 in Berlin-Kreuzberg ihres Schicksals. Insgesamt hatten Kommissionen über 20.000 Arbeiten beschlagnahmt.
Heute hängen in den Sälen wieder preußische Prinzessinnen, feines Porzellan steht hinter Glas. Doch zumindest eine Vitrine erinnert an den Ausverkauf einer ganzen Epoche. Auf einer Fotografie ist van Goghs Selbstbildnis zu sehen, wie es auf einem Sims steht, andere Bilder lehnen dicht an dicht auf dem Boden, ganze Gemäldereihen schichten sich tief in den Raum hinein, Grafikmappen bilden Stapel. Trödelmärkte sehen so aus.
Anstößiger Christus
Auf einem Foto präsentieren zwei Arbeiter Emil Noldes „Kreuzigung“ aus dem Zyklus „Leben Christi“ vor dem Portal. Halb belustigt, halb interessiert betrachtet einer der beiden das großformatige Bild. Das „Leben Christi“ präsentierten im Jahr 1937 die NS-Kunstwächter als ganz besonderen Blickfang bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Aus ihrer Sicht war diese „Verfallskunst“ beim evangelischen Kunstdienst in den richtigen Händen. Für die Protestanten mit ihrer „positiv-christlichen“ Kunstauffassung war so ein Schmerzensmann anstößig.
Wie der Gekreuzigte „artgemäß“ auszusehen hatte, präsentierte der Kunstdienst bereits 1935 in der Luther-Gedächtnis-Kirche in Berlin-Mariendorf, wo sich ein kerzengerader Jesus mit ausgebreiteten Armen hingibt für die Seinen, gerade so als würde er der Wehrmacht bereits vorausgehen. „Entartet“ wie Nolde war auch Ernst Barlach. Seine erschöpften Soldaten aus dem Magdeburger Dom schob die dortige Gemeinde 1934 nach Berlin in die Nationalgalerie ab, wo das Ehrenmal im Magazin verschwand – bis es in Schönhausen auftauchte.
Von Hildebrand Gurlitt gibt es kein Fotodokument als Kunsthändler mit „Verwertungsauftrag“ im Schloss Schönhausen. Gurlitt war 1930 als Museumsdirektor in Zwickau und 1933 als Leiter des Kunstvereins in Hamburg auf Druck der NSDAP und des „Kampfbundes für die deutsche Kultur“ entlassen worden, da er sich vehement für moderne Kunst einsetzte. Ab 1934 arbeitet er als Galerist und Händler mit Hauptsitz in Hamburg und einer Dependance in Dresden.
Gurlitt stellt Beckmann noch nach 1933 aus
Hildebrand Gurlitt macht zunächst weiter, wo er als Leiter des Hamburger Kunstvereins aufhören musste, stellt als einziger nach 1933 den verfemten Max Beckmann aus, bemüht sich immer wieder um Ernst Barlach. Er will den Künstler bewegen, einen Taufstein für die neu erbaute Johanneskirche in Hamm zu entwerfen, doch das Vorhaben geht über Entwürfe nicht hinaus. Im September 1937 schickt Barlach einen Brief an Gurlitt. „Wer, frage ich, kann mit einigem Vertrauen ein größeres oder auch bescheidenes Werk unternehmen, wenn durch schlichtes Dekret meine Holzarbeiten, Bronzen usw. aus Museen und Kirchen verwiesen werden?“, schreibt Barlach resigniert.
Am 24. Oktober 1938 stirbt Ernst Barlach. Vier Tage später wird er in Ratzeburg beerdigt. Gurlitt trifft auf Karl Schmidt-Rottluff, Gerhard Marcks, Käthe Kollwitz – Künstler, die er von Berlin aus zu „verwerten“ beginnt. Bei Barlach selbst kommt jedoch vor allem Kunsthändlerkollege und Barlach-Intimus Bernhard A. Böhmer zum Zug, der ebenfalls unter den Trauergästen ist.
In Schloss Schönhausen regiert seit 1938 Gertrud Werneburg. Die 36-jährige Ausstellungsmacherin wird vom Kunstdienst zur Leiterin ernannt. Wie eine Marktfrau organisiert sie den Ausverkauf. Zunächst veräußert sie 175 Ölbilder, doch bald geht die Zahl in die Tausende – Franz Marc, Christian Rohlfs, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix. „Es war eine schöne Tätigkeit“, bekennt Gertrud Werneburg noch Jahrzehnte später gegenüber Hans Prolingheuer. Der Kirchenhistoriker hat akribisch die Rolle des Kunstdienstes beleuchtet und Werneburg für sein Buch „Hitlers fromme Bilderstürmer“ mehrfach gesprochen. Prolingheuer klingt heute noch erstaunt über ihre Offenherzigkeit.
Es gibt eine Bilderverbrennung
Manchmal erscheint NS-Prominenz auf der Rokokotreppe des Schlosses Schönhausen. Karl Brandt, Hitlers Chirurg und verantwortlich für die Morde an geistig und körperlich Behinderten, bedient sich aus den Bilderstapeln. Aber auch Kunstdienst-Getreue halten sich schadlos. Warum sich noch genieren, wo doch im Depot Köpenicker Straße Tausende Kunstwerke als wertlos aussortiert werden? Penibel registriert Gertrud Werneburg diese Posten. Im März 1939 werden 4.800 Werke auf Geheiß von Goebbels abgefackelt – kein rituelles Autodafé wie 1933 bei den Büchern, eher eine Müllverbrennung.
Die Devisenbringer bietet Gertrud Werneburg hingegen auch im Ausland an. Im Mai 1939 reist sie mit Hildebrand Gurlitt in die Schweiz, wo sie auf den eleganten Bernhard A. Böhmer aus Güstrow treffen. In Luzern und Zürich präsentieren sie 125 Kunstwerke aus Schloss Schönhausen. Das Geschick der Kunsthändler ist besonders bei Tauschgeschäften gefragt. Hitler konnte sich später rühmen, dass er „für ein verkrüppeltes Geklitsche fünf italienische Meisterbilder“ bekommen hat – auch dank Hildebrand Gurlitt.
Im Jahr 1942 ist der Großauftrag beendet. Im Schloss eröffnet der Kunstdienst wieder Publikumsausstellungen wie die „Niederschlesische Kunst“. Hildebrand Gurlitt zieht nach Dresden. Seit März 1943 ist Hermann Voss Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und Sonderbeauftragter für das geplante „Führermuseum“ in Linz – und Gurlitt einer seiner Favoriten. Hatte Gurlitt bei der „entarteten Kunst“ schon gut verdient, schnellen seine Einkünfte nun in die Höhe. Gurlitt wird vor allem auf dem französischen Markt aktiv. Das Reichswirtschaftsministerium stattet ihn großzügig mit Devisen aus. Gurlitt kauft und kauft – Italiener, Niederländer, Franzosen, Stadtlandschaften, Stillleben, Porträts –, je weiter die Alliierten vorrücken, desto eifriger. Im Frühjahr 1944 verkauft er binnen zweier Monate 53 Gemälde, dazu Zeichnungen, Miniaturen und einen Gobelin für 1,7 Millionen Reichsmark an das „Führermuseum“.
Ende 1944 kommt das Geschäft zum Erliegen. Nach den Bombenangriffen auf Dresden flüchtet Gurlitt in das Dörfchen Aschbach bei Bamberg, wo er im Forsthaus der Familie von Pölnitz unterkommt. Nach und nach schafft er sein Hab und Gut dorthin. Gurlitt ist nur einer von vielen im Ort. Prägender ist für die Dorfbewohner, dass die Amerikaner auf dem Gelände des Schlosses ein Camp für etwa hundert polnische Juden einrichten.
Vorträge im Pfarrhaus
Gurlitt, unter den NS-Rassegesetzen ein „Mischling zweiten Grades“, hatte Haut, Familie und Kunstsammlung gerettet. Nein, bescheidet die Dame am Telefon, die Familie von Pölnitz könne zu Gurlitts Aufenthalt nichts berichten. Im Dorf erinnere sich keiner mehr an Hildebrand Gurlitt, bedauert auch der Konditor und ehrenamtliche Ortschronist. Es gibt nichts über Hildebrand Gurlitt. Fast nichts. Anfang 1946 verwandelt sich Gurlitt, als wäre er nie etwas anderes gewesen, wieder in den rührigen Kunstpädagogen, lädt ins Pfarrhaus zu Vorträgen ein – über Albrecht Dürer, über Kunst und Kitsch, über Ernst Barlach. Zwei Jahre später setzt er seine Arbeit in Düsseldorf fort und wird Leiter des Kunstvereins.
Auch für Gertrud Werneburg vom Evangelischen Kunstdienst geht das Leben weiter. Bis zum achtzigsten Lebensjahr lebte sie, ohne Renten- und Krankenversicherung zu zahlen, von ihren ergatterten Bildern. Sie habe sie „alle aufgegessen“, versicherte sie Hans Prolingheuer kurz vor ihrem Tod. Cornelius Gurlitt, dem Sohn Hildebrand Gurlitts, nicht unähnlich.
Nur Bernhard A. Böhmer verpasst den Absprung. Anfang Mai 1945 steckt er mitsamt Kunstsammlung in Güstrow fest. Als die Rote Armee einmarschiert, nehmen sich Böhmer und seine Frau das Leben.
Über den schweren Teppich der Rokokotreppe von Schloss Schönhausen spaziert bald Wilhelm Pieck, erster und einziger Präsident der DDR. An den Wänden hängt sozialistische Kunst, Proletarier mit kräftigen Unterarmen. Auf einem Bild an der Treppe schwingt ein Bagger seinen Greifer. Heute gehört das Schloss zur Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Bald, versichert Mitarbeiter Jörg Kirschstein, soll es mehr Platz geben für die verhängnisvolle Periode, in der das Schloss die größte Ansammlung der klassischen Moderne beherbergte. Hildebrand Gurlitt dürfte dann wieder dabei sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos