Gunnar Hinck über die Personalvorstellungen der SPD-Spitze: Bedenkliche Auslesepolitik
Dass SPD-Chef Lars Klingbeil eine, nun ja, straffe Personalpolitik betreibt, hat sich spätestens beim Absägen der alten SPD-MinisterInnen-Riege gezeigt. Sein designierter Generalsekretär Tim Klüssendorf hat nun nachgelegt und dem Spiegel gesagt, dass ein Kriterium bei der Aufstellung des Spitzenpersonals grundsätzlich sein müsse, „in seinem Wahlkreis Erfolg“ zu haben, sprich einen Wahlkreis zu gewinnen. Als Beispiel führt er seinen Chef Klingbeil an, der bei der Bundestagswahl das beste SPD-Direktwahlergebnis holte.
Es ist stark zu hoffen, dass sich die SPD-Spitze dieses unfaire Auslesekriterium noch mal genauer anguckt. Von den Wahlkreisergebnissen her ist die SPD derzeit eine rein nordwestdeutsche Partei, was die Personalreserve bedenklich verengen würde. In Hamburg, Niedersachsen und im Ruhrgebiet hat sie fast alle ihrer nur noch 44 Direktmandate geholt. In ganz Ostdeutschland gewann sie bis auf Potsdam (Olaf Scholz) keinen einzigen Wahlkreis, ebenso wenig in Baden-Württemberg und Bayern. Das liegt im Osten natürlich an der starken AfD. Im Westen ist das Wahlverhalten trotz aller Disruptionen noch erstaunlich traditionell: In den katholisch geprägten Regionen Süddeutschlands ist die SPD bei der Erststimme seit jeher praktisch chancenlos, und das wird auch so bleiben, selbst wenn sie dort Roland Kaiser aufstellen würde.
DirektkandidatInnen können Wahlkreisergebnisse nur zu einem kleinen Teil beeinflussen – sie sind vom bundespolitischen Rückenwind und der SPD-Verwurzelung vor Ort abhängig. Die SPD kann aber weder auf FachpolitikerInnen noch auf ein paar kluge DenkerInnen verzichten, die das Pech haben, aus der SPD-Diaspora zu kommen – und deren größte Stärke es sicherlich nicht ist, ihre street credibility an den Wahlkampfständen zu demonstrieren. Sie gelangen über die Listen in die Parlamente. Übrigens: Wenn Lars Klingbeil seinen Wahlkreis nicht in Soltau, sondern 200 Kilometer weiter westlich im sehr katholischen und sehr konservativen Emsland hätte, wo die CDU seit Jahrzehnten die Wahlkreise holt, wäre auch er chancenlos. Ganz sicher.
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