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■ Guildo Horn vertritt Deutschland beim „Grand Prix d'Eurovision“Noch 'n Zivilisationsbruch

„Das verstehe ich nicht“, sagt K., als der Sieg des Musiktherapeuten verkündet wird, „da hätten sie doch gleich Helge Schneider himself nehmen können.“ Aber Helge Schneider kennt seinen Platz in der Gesellschaft genau. Einem avancierten Publikum führt er den deutschen Schlager auf nihilistisch vor. Das funktioniert nur mittels klarer Unterscheidung; man muß Original und Parodie trennscharf auseinanderhalten können – ein Bierzelt, das zu Helge Schneider grölt und schunkelt, wäre für die avancierten Kader eine Angstvorstellung. Jetzt wurde sie mit dem Sieg Guildo Horns so gut wie Wirklichkeit. Ist dieser Sieg das Ereignis oder die Parodie desselben? Eine Parodie, die mehrheitsfähig geworden wäre, brächte die avancierten Kader um ihr ganzes Vergnügen, das sich halt der Gelegenheit verdankt, als kleine radikale Minderheit zu lachen. Der Erfolg Guildo Horns schafft einen Zustand, der für die gesamte moderne Welt mit ihren grundsätzlichen Ausdifferenzierungstendenzen unerträglich ist: Ununterscheidbarkeit.

Wir dachten, auch die Massen kennten ihren Platz in der Gesellschaft genau. Von Roberto Blanco bis zu Karl Moik, immer wieder wurde ihr Pantheon angemessen aufgefüllt. Aber doch unter der Bedingung, daß wir das unsere ungestört mit unseren Idolen besetzen konnten. Man hätte es antizipieren können: Wahrscheinlich schunkelt und grölt das Oktoberfest längst auf „Katzeklo“. Vieles an unserer Unterscheidungssicherheit verdankt sich einfach der Unkenntnis; keine Ahnung, was die Leute hinter jenen Bergen treiben. Die neue Unübersichtlichkeit bemächtigte sich während der Achtziger halt nicht nur des politischen, sondern auch des kulturellen Feldes.

Der Publikumserfolg Robert Gernhardts hätte uns warnen können; daß Max Goldt („Dürrenmatt“!) vielleicht noch nicht die Massen, aber doch erhebliche Mengen versammelte, wollten wir – wie Gernhardts Erfolg – gern als Minderheitenvergrößerung erkennen, aber keinesfalls als Mehrheitsbeschaffung. In dieser Hinsicht waren wir ja recht erfolgreich gegen Otto Waalkes tätig, der mit seinen Filmen respektive Fernsehprogrammen dann weder der Minderheit noch der Mehrheit die angemessene Unterscheidungslust gewährte. Die Nemesis gleicht diesen Mißerfolg mittels des Musiktherapeuten Guildo Horn restlos aus. Der altdeutsche Schlager heiratet die Neue Frankfurter Schule. Demnächst zieht nicht mehr Rex Gildo zum Hausfrauennachmittag durch die ANO-Teppichläden, sondern Eckhard Henscheid himself. Michael Rutschky

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