Günter Wallraff in der Türkei: Solidarität mit inhaftierten Kollegen
Mit Preisgeld im Gepäck: In der Türkei besucht Journalist Günter Wallraff die Zeitung „Cumhuriyet“ und Angehörige inhaftierter Kollegen.
Günter Wallraff, nach wie vor Deutschlands bekanntester investigativer Journalist und Schriftsteller, pflegt sich für seine runden Geburtstage immer etwas Besonderes vorzunehmen. Seinen 50. verbrachte er im Kreis Vietnamesischer Flüchtlinge, die kurz zuvor in Rostock-Lichtenhagen fast einem Pogrom zum Opfer gefallen waren, zu seinem 60. fuhr er nach Afghanistan um Geld für eine Mädchenschule zu stiften und zu seinem 75. Geburtstag, am vergangenen Sonntag, traf er sich in Istanbul mit verfolgten Kollegen.
Im Gepäck hatte er das Preisgeld für Ahmet Sik, dem zuvor von einer Jury der nach Wallraff benannte Preis für investigativen Journalismus zuerkannt worden war. Da Ahmet Sik, einer der vier Journalisten von Cumhuriyet ist, die nach wie vor im Gefängnis sitzen, den Preis nicht entgegennehmen konnte, besuchte Wallraff seine Frau Yonca und die Tochter von Ahmet zu Hause. Yonca berichtete Wallraff später, wie sehr sich Ahmet über den Besuch des Deutschen Kollegen gefreut hat. „Es hat ihm Mut gemacht und ihn aufgebaut“, schrieb sie ihm am Freitag nach Köln, nachdem sie ihren Mann im Gefängnis getroffen hatte.
Gemeinsam besuchten Yonca Verdioglu-Sik und Günter Wallraff dann die Redaktion von Cumhuriyet, wo sie von dem gerade aus dem Gefängnis entlassenen Kolumnisten Kadri Gürsel in Empfang genommen wurden. Gegen 17 Redakteure und Mitarbeiter von Cumhuriyet läuft seit Juli der wohl wichtigste Presseprozess in der Türkei. Man wirft den Beschuldigten vor, sie würden eine oder mehrere „Terrororganisationen“ unterstützen. Gegenüber den Kollegen bei Cumhuriyet, die sich wunderten, dass er das Risiko einer Reise in die Türkei auf sich genommen hat, erklärte er, er hätte sich für seinen 75 Geburtstag keinen besseren Ort vorstellen können, als die Redaktion von Cumhuriyet.
Held der türkischen Community
Aber es gibt für Wallraff auch noch eine andere Motivation. Seit seinem Bestseller „Ganz Unten“, in dem er beschreibt, wie er getarnt als türkischer Einwanderer Ali die schlechtesten Jobs für das wenigste Geld machen musste, ist er in der türkischen Community in Deutschland ein Held. „Viele kennen mich noch und umarmen mich, wenn sie mich auf der Straße treffen“, sagte Günter Wallraff. Viele von ihnen sind aber erklärte Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. „Denen möchte ich klarmachen, wie sehr Erdogan einen freien Journalismus bedroht“. Er sagt: „Wäre ich in der Türkei festgenommen worden, hätte sie das vielleicht ins Grübeln gebracht“.
Wallraff nutzte seinen Aufenthalt in Istanbul auch, um außer den Journalistenkollegen noch Vertreter von Menschrechtsorganisationen und andere Angehörige von politischen zu besuchen. Besonders beeindruckt hat ihn die Anwältin Eren Keskin, die schon vor Jahren Vorsitzende des Istanbuler Menschenrechtsvereins IHD war und trotz massiver Repressalien – aktuell sind über hundert Verfahren gegen sie anhängig – seit vielen Jahren nicht aufgibt.
Wallraff will deshalb trotz des Risikos vielleicht festgenommen zu werden, auch weiterhin in die Türkei reisen. „Man sollte gerade als kritischer Journalist darauf bestehen in die Türkei zu reisen“, sagt er. Der nächste Termin steht für ihn schon fest. Wenn am 31. Oktober der Prozess gegen die Cumhuriyet Angeklagten fortgesetzt wird, will er wieder vor Ort sein.
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