Gülle und Welse in der Marsch: „Die größtmögliche Utopie“
Antje Hubert hat einen Film über Oberndorf bei Cuxhaven gedreht. Die Bewohner züchten Welse, um ihr Dorf vorm Verfall zu retten. Die Regisseurin über Durchaltevermögen in der Marsch.
taz: Frau Hubert, wie passen afrikanische Welse mit der Gülle aus der niedersächsischen Marsch zusammen?
Antje Hubert: Hinter beiden Begriffen steckt ein ziemlich spannendes Konzept: Gülle erzeugt in einer Biogasanlage Wärme und Strom. Mit der Wärme können afrikanische Welse gezüchtet werden. Die fühlen sich bei 28 Grad wohl. Und so eine Zucht hat das Dorf Oberndorf.
Was haben Sie als Dokumentarfilmerin mit diesem Projekt zu tun?
Das Dorf macht das alles nicht aus Jux und Tollerei. Sie haben eine Aktiengesellschaft für die Biogasanlage und Fischzucht gegründet, weil kein Geld mehr da ist für das soziale Leben im Dorf. Sogar die Schule sollte geschlossen werden.
51, ist Teil der Hamburger Thede Filmproduktion, drehte bereits drei Filme über das Leben auf dem norddeutschen Land.
Wie kamen Sie auf das Dorf?
Das erste Mal war ich vor vier Jahren mit dem mobilen Kino Niedersachsen dort. Ich habe meinen Film über das Atomkraftwerk Brokdorf gezeigt. Darin tauchen Fragen der Anwohner auf, wie: Habe ich die Macht, mein Leben selbst zu gestalten? Diese Frage haben sich die Oberndorfer auch gestellt. Das Tolle war, dass sie nicht gejammert haben, sondern sie wollten die Probleme angehen.
Wieso heißt ihr Film „Von Bananenbäumen träumen“?
Die Bananenbäume sind die größtmögliche Utopie im ganzen Plan der Oberndorfer. Im Wasser der Welse sind wegen ihres Kots Nährstoffe. Mit der Wärme aus der Biogasanlage und dem nährstoffreichen Wasser können in einem Gewächshaus Bananen gezüchtet werden. Das Bild von Bananenbäumen in der Marsch fand ich toll: Es ist poetisch, es steckt ganz viel Hoffnung drin und was verrücktes.
Findet sich dieses utopische Moment im Film wieder?
Ja, es zieht sich durch den Film und steht für die Frage: Schaffen wir das, oder schaffen wir es nicht? Weder die Oberndorfer noch ich wussten, ob das mit der Biogasanlage und der Welszucht überhaupt klappen kann. Wird die Utopie wahr oder nicht? Diese Träume sollten genauso auf der filmischen Ebene nicht verloren gehen. Deshalb haben der Animationsfilmer Rainer Ludwigs und ich die Fische erfunden, die immer mal wieder durch das Bild schweben oder die Bananenbäume, die auf dem Acker wachsen, um nicht zu vergessen, was die Oberndorfer im Kopf haben.
Mussten die Oberndorfer erst vom Filmprojekt überzeugt werden?
Ich hoffe, man merkt dem Film an, dass sich die Oberndorfer ganz auf uns eingelassen haben. Es ist ein großes Vertrauensverhältnis zwischen uns gewachsen. Das lag auch daran, dass wir das Projekt und seinen Prozess gemeinsam entdeckt haben. Wenn neue Fragen aufkamen, wusste keiner mehr als der andere. Wir haben das Projekt alle durch Learning-by-doing bewältigt.
Hat der Film den Oberndorfern Auftrieb gegeben?
Auftrieb brauchten sie nicht. Der Wert unserer Arbeit liegt darin, dass wir die Protagonisten ernst genommen haben. Sie haben mir immer wieder gesagt, wie schwer es ist, über so eine lange Zeit an etwas dran zu bleiben und zu merken, dass das, was getan wird, wichtig ist. Darin haben wir sie bestätigt, weil wir in den drei Jahren wiedergekommen sind und wissen wollten, wie es weitergeht.
Steht das Dorf in der Marsch mit seinen Problemen eigentlich alleine da?
Das Dörfe-Sterben ist ein europaweites Problem. Und es verändert sich drastisch. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat es auch nicht leicht. Die Leute ziehen weg, da ist kein Leben mehr. Oberndorf zeigt, dass es Ideen und Modelle dagegen gibt. Dass man die Dorfstrukturen als Chance sehen kann und dadurch zum Beispiel demokratische Strukturen aufbaut, Landwirtschaft neu erfindet und Wirtschaft für etwas gutes nutzt. Sie sehen es einfach mal positiv, statt dass nur Frust und Lustlosigkeit herrscht.
Andere Dörfer können also etwas von den Oberdorfern lernen?
Zumindest können sie diese Aufbruchstimmung entdecken und sehen: Da geht noch was. Das hilft vielleicht gegen diese Es-geht-nicht-Haltung in Dörfern. Es geht schon, aber man braucht Durchhaltevermögen.
Gehen Sie deshalb mit dem neuen Film wieder mit einem mobilen Kino auf Tour durch die Dörfer?
Einerseits mache ich das aus meiner Liebe zum Kino. Andererseits schwingt in der Idee auch das mit, was Oberndorf so stark macht: Alles was wir nicht haben, müssen wir eben selbst machen. Wenn es kein Kino gibt, organisieren wir es eben. Gleichzeitig zeigen wir einen Film, der die Leute ermutigen kann, es ähnlich zu machen. Wenn der Film gezeigt wird, besteht vielleicht danach das Interesse, darüber zu reden. Wenn wir über viele Dörfer ziehen könnten, wäre das wunderbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!