Guantánamo-Insassen nach Deutschland: Auch Bush wollte Häftlinge loswerden
Schon 2006 und 2007 hat die US-Regierung angefragt, ob Guantánamo-Häftlinge aufgenommen werden können, gibt das Auswärtige Amt zu. Diese wurden aber abgelehnt.
BERLIN taz Die US-Regierung unter George W. Bush hat 2006 und 2007 mehrfach bei der deutschen Bundesregierung angefragt, ob Deutschland Guantánamo-Häftlinge aufnehmen könne. Dies bestätigte das Außenministerium am Dienstag der taz. Es habe sich dabei nicht um Anfragen zu einzelnen Personen gehandelt, sondern um den Versuch, Deutschlands Bereitschaft generell zu erkunden. Das Auswärtige Amt habe jedoch erklärt, dass man keine Häftlinge aufnehme, solange die USA nichts zur Schließung des Gefangenenlagers unternähmen.
Damit gibt das Haus Frank-Walter Steinmeiers (SPD) erstmals zu, dass die US-Regierung sich auch bis zur Abwahl Bushs bemüht hat, Guantánamo-Insassen an Deutschland loszuwerden. Steinmeier stand 2006 und 2007 aber unter großem Druck. Die öffentliche Debatte kreiste darum, inwiefern er zu rot-grünen Zeiten verhindert hatte, dass der Bremer Türke Murat Kurnaz aus Guantánamo freikommt. Eine zusätzliche Diskussion über weitere Häftlinge hätte ihn sicherlich noch stärker belastet.
Doch schob die US-Regierung damals verstärkt Gefangene, die nicht mehr als gefährlich galten, an ihre Heimatländer oder Drittstaaten ab. Mitte 2006 saßen noch 450 Häftlinge in Guantánamo, Mitte 2007 waren es nur noch rund 350. Gegenwärtig sind es 245. Die britische Regierung etwa hatte bis 2005 nicht nur britische Staatsbürger aus dem Lager herausgeholt. Sie erwirkte 2007 auch die Überstellung von Häftlingen ohne britische Staatsbürgerschaft, die aber schon in Großbritannien gelebt hatten.
Die Linie des Außenministeriums dagegen lautete: "Soweit eine Aufnahme in den Heimatländern der Betroffenen nicht in Betracht kommt, liegt die humanitäre Verantwortung" für die Situation bei den USA. So erklärte es der Staatsminister für Europa, Günter Gloser (SPD), noch im März 2008 im Bundestag. Diese Position wird jetzt nur noch von der Union vertreten. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erkennt keine Zuständigkeit Deutschlands für Guantánamo-Häftlinge. Unions-Kreise argumentieren unter anderem, die USA wollten die Häftlinge nur loswerden, weil diese in den USA kostspielige Schadenersatzklagen anzetteln könnten. Steinmeier dagegen ist umgeschwenkt: Da der neue US-Präsident Barack Obama das Lager auflösen wolle, müsse man ihm helfen und als unbedenklich geltende Häftlinge aufnehmen.
Die Außenpolitikerin der Linksfraktion Monika Knoche findet das plötzliche Engagement Steinmeiers für Guantánamo-Häftlinge "heuchlerisch". Sie sagt: "Da die Bundesregierung zu jedem Zeitpunkt die Existenz des Lagers Guantánamo völkerrechtswidrig fand, hätte sie auch zu jedem Zeitpunkt die Verantwortung wahrnehmen müssen, Häftlinge dort herauszuholen." Die Menschenrechte der Guantánamo-Häftlinge hätten 2006 und 2007 ebenso ernst genommen werden müssen wie jetzt, da Obama das Lager schließen wolle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los