Grusel in Berliner Volksbühne: Die Welt im Selbstzerstörungsmodus
Schauspielstars zwischen Method-Acting Parodie und Splatterfilmfarce: „Method“, eine Inszenierung von Kornél Mundruczó an der Berliner Volksbühne.
Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó inszeniert an der Berliner Volksbühne mit „Method“ eine muntere Horrorfarce als Film- und Theater-Hybrid. Darin brillieren Martin Wuttke als Schauspielstar im Werwolf-werde-Modus und Benny Claessens als kongenialer Schauspielcoach. Viel Nonsens gibt es, noch mehr Blut wird verspritzt. Und als gedankliche Klammer darf man sich ausdenken, dass Mundruczó die Rolle von rohester Gewalt als Produktivkraft in der Entertainmentbranche und darüber hinaus untersuchen möchte.
Mit so gesetzter Rahmung macht der wilde Schockerabend Sinn. Denn befindet sich die Welt nicht gerade mitten im Selbstzerstörungsmodus – Stichwort Israel/Gaza, Ukraine/Russland? Auch die FDP unter Lindner darf man dazurechnen sowie Retronationalisten der Marke Trump und Orbán, vom blinden Weitermarsch in den Klimawandel ganz zu schweigen.
Hübsche Raumkapsel
Da ist es nur konsequent, dass Mundruczó seinen Protagonisten Marvin (Martin Wuttke himself) im Astronautenanzug und mittels hübsch gestalteter Raumkapsel (Bühne und Kostüme Monika Pormale) ins All schickt. Beim Andockmanöver an die ISS geht manches schief. Das kann man über diverse Monitore mit Aufnahmen des echten ISS- und Sojus-Fuhrparks verfolgen.
Per Hand gelingt das Andocken schließlich doch. Natürlich ist das alles nur Spiel im Spiel. Marvin, ein laut Spielanleitung (Text Kata Wéber) recht scheußliches Exemplar der Gattung #MeToo-Täter, hat in diesem Middle-Budget-Space-Thriller die allerletzte Chance, seine Filmkarriere doch noch fortzusetzen. Für Filmregisseur Stephen (Maximilian Brauer) spielt er aber zu lasch. Schuld daran ist aus Sicht der drehenden und produzierenden Herren klassischerweise die Partnerin. Und die soll folgerichtig ausgetauscht werden.
Erster Höhepunkt ist, wie Claessens als Schauspielcoach Bob die vielfach gedemütigte Ex-Geliebte Marvins auf den Set zu locken versucht. Er und Johanna Wokalek ziehen dabei viele Register des Tricksens und Täuschens bei Vertragsverhandlungen. Jede Seite nutzt die Not der anderen schamlos aus. Und am Ende befinden sich alle in genau der toxischen Konstellation, die sie zuvor eigentlich auf ewig vermeiden wollten.
Die Parodie aufs Showgeschäft nimmt allerdings erst jetzt so richtig Fahrt auf. Mundruczó hat es – aus Gründen, die nicht so recht ersichtlich werden – aufs Method Acting abgesehen. Das ist eine auf Naturalismus getrimmte Schauspielschule frei nach Stanislawski, die in Reinform im Theater eher schwer erträglich ist, für die großen Hollywoodstudios aber zur Basis globalen Erfolgs wurde.
Eigene Erlebnisse als Katalysatoren
Eines der Kernelemente ist es, eigene Erlebnisse und Erfahrungen als Katalysatoren für emotionale Zustände zu nutzen. Da Marvin als Schauspieler in extremste Gefühls- und Handlungsregionen vordringen soll, darf er sich dann auch privat mächtig austoben. Das gipfelt in einer Mordserie auf dem Set, die alle Beteiligten aus Eigeninteresse so lange zu vertuschen versuchen, bis sie selbst an der Reihe sind. Splatterhöhepunkt ist das Ausweiden von Bob.
Wuttke beißt hier zunächst kräftig in Claessens Unterarm – gut, beide spielen das hoffentlich nur – und verteilt nach ordentlicher Kunstblutspritzorgie diverse dunkelrot getönte Plastikobjekte, die an Gedärme, Nieren, Leber und andere Innereien erinnern. Schlussendlich hält er ein Herz in seinen Händen. Die eigenen Fingerbewegungen deuten das Pochen des Zentralorgans an. Selten hatten so kleine Bewegungen so große Wirkung. Dann lässt er das Herz des getreuen Coachs und Wegbegleiters in einer Aldi-Tüte verschwinden.
„Method“ treibt die Lust an Untergang und Zerstörung auf die Spitze. Die Splatter-Farce nimmt dabei aber auch sehr konsequent Witterung auf, wenn es um Unterdrückungspraktiken in der Theater- und Filmbranche geht. Das sind einerseits die Erniedrigungsszenarien, um an größere Rollen zu kommen, und andererseits die Seelenpornos, zu denen manche getrieben werden, um glaubhaft Extremzustände darstellen zu können.
Die Schumpeter-Schule
Aber auch die wirtschaftswissenschaftliche Schule, die sich um den Begriff der schöpferischen Zerstörung von Joseph Schumpeter organisiert hat und mit der vor allem die disruptiven Momente der digitalen Ökonomie gefeiert werden, kommt in den Sinn. Und nicht zuletzt die Axt, die Retronationalisten allerlei brauner Couleur gegenwärtig an Gemeinwesen weltweit anlegen.
Zerstörung allenthalben – und schiere Lust daran, um etwas Neues zu erreichen. Bei „Method“ ist das Neue Wuttke als haariger Werwolf. An diesem eher possierlichen Beispiel dekliniert Mundruczó durch, welche Kräfte freigesetzt werden können, wenn zivilisatorische Fesselungen abgestreift werden. Das kann man als globale Komponente dieses schrillen Bühnenwerks lesen.
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