Gruppenvergewaltigung in Israel: „Das Problem ist viel größer“
Eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 16-Jährigen erschüttert Israel. In vielen Städten kommt es zu Protesten gegen sexuelle Gewalt.
Nach Angaben der Polizei war das Mädchen mit ihrer Freundin im Kurzurlaub im Badeort Eilat gewesen, wo beide in einem Hotel untergekommen waren. In der Nacht auf den 12. August besuchten sie Freunde im Red Sea Hotel, gemeinsam hätte man dort zu viel Alkohol getrunken. Als das Mädchen auf die Toilette gehen wollte, sei es zur Vergewaltigung im Hotelzimmer gekommen. Einer der Tatverdächtigen schätzt die Zahl der Täter auf 30. Auch die Polizei geht von einer Zahl im zweistelligen Bereich aus. Zur Aufklärung wurde ein spezielles Ermittlungsteam eingesetzt.
Mittlerweile hat die Polizei 11 Tatverdächtige festgenommen, darunter zwei 27-jährige Hauptverdächtige und neun Minderjährige. Auch die Hotelbesitzerin wurde festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, die polizeilichen Ermittlungen erschwert und die Tat nicht verhindert zu haben.
Ein Hotelgast sagte der israelischen Tageszeitung Haaretz, zum Zeitpunkt seines Check-in in derselben Nacht hätte eine große Gruppe auf dem Gang Lärm gemacht. Er selbst habe sich bei der Hotelleitung beschwert, doch niemand habe etwas unternommen.
Auf Überwachungsvideos ist zu sehen, wie eine Menschenmenge im Gang vor dem Hotelzimmer versammelt ist und mehrere Personen nacheinander eintreten. Laut Haaretz haben einige der Männer die Vergewaltigung gefilmt und das Mädchen auf WhatsApp darüber informiert.
Männer stehen Schlange
Der Öffentlichkeit bekannt wurde der Fall am vergangenen Mittwoch, nachdem die Jugendliche in ihrer Heimatstadt Aschkelon Anzeige bei der Polizei erstattete. Eine Aussage über die genaue Anzahl der Vergewaltiger konnte sie nicht machen, da sie im Rauschzustand gewesen sei. Die Anwältin eines Tatverdächtigen gab an, das Mädchen habe es nicht anders gewollt und die Männer selbst herbeigerufen.
„Die Männer standen Schlange und einer nach dem anderen vergewaltigten sie ein 16-jähriges Mädchen. Weil sie es konnten“, schrieb die Aktivistin Sarah Perle Benazera nach dem Vorfall auf Facebook. „Weil niemand sie aufgehalten hat. Weil sie sich dazu berechtigt fühlten. Die Zahl ist erschreckend, und das Problem dahinter noch viel größer!“
Auch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu äußerte sich auf Twitter: Der Vorfall sei „nicht nur ein Verbrechen gegen das Mädchen, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Die Verantwortlichen müssten vor Gericht gestellt werden.
Proteste gegen sexuelle Gewalt
Nach offiziellen Angaben sollen am Sonntagabend in Tel Aviv bis zu 2.000 Menschen gegen sexuelle Gewalt demonstriert haben. Die Demonstrant*innen blockierten die Straßen und riefen: „Das ist kein Fehlgriff, das ist Politik!“ Für die Protestierenden ist der Fall in Eilat der Gipfel einer Politik und Ausdruck einer gesellschaftlichen Norm, die sexuelle Straftaten unter den Teppich kehrt und legitimiert.
Sexualstraftäter werden in Israel kaum zur Verantwortung gezogen: Neun von zehn Vergewaltigungen bleiben straffrei. Auch im Fall einer Anzeige erwartet die Täter oft nur eine milde Strafe, teils werden nur Sozialstunden verhängt. Oft wird implizit den Opfern die Schuld zugewiesen.
Auch 2019 hatte eine Gruppenvergewaltigung Schlagzeilen gemacht, als auf Zypern eine junge Britin angab, von einer Gruppe israelischer Jugendlicher vergewaltigt worden zu sein. Die jungen Israelis wurden freigesprochen und ließen sich noch am Flughafen in Tel Aviv feiern, während sie über die britische „Hure“ höhnten. Die Engländerin gestand schließlich, alles „erfunden“ zu haben und wurde wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verurteilt. Drei Tage später unterzeichneten Zypern und Israel ein wichtiges Gaspipelineabkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert