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Grüße von den Untoten

Crack und Kokain haben dem Lysergsäurediäthylamid längst den Rang als Modedroge abgelaufen, aber vorbei ist der „Summer of Love“ deswegen noch lange nicht. Durch die Straßen und Stadien von San Francisco wandelte  ■ Anke Westphal

Der Legende zufolge war der kälteste Winter, den der Schriftsteller Mark Twain je erlebte, ein Sommer in San Francisco. Und Legende ist das nicht nur. Fröstelnd bei 18 Grad Celsius möchte man den berühmten „Summer of Love“ von 1967 für eine sentimentale Erfindung der Rock-'n'-Roll-Geschichte halten. „If you're going to San Francisco...“ – 1994 bin ich dafür über ein Vierteljahrhundert zu spät dran. Fluch der späten Geburt – am falschen Ort.

Immerhin: Gleich zu Anfang mehr als Spuren – Nachrichten! Echte Schlagzeilen von echten Rockstars von damals! Grace Slick von Jefferson Airplane, ist zu lesen, wurde in eine Entzugsklinik eingeliefert, weil sie – bedröhnt – in ihrem Garten auf Polizisten ballern wollte. Und Grateful Dead sind ohnehin eine Institution. Auch im Sommer (und Herbst) der Liebe 1994 füllen sie ohne Mühe an drei aufeinanderfolgenden Tagen das Shoreline Amphitheatre.

Der Weg ins Stadion ist von denen gesäumt, die der Band hörig sind: Deadheads. 80.000 Deadheads sind registriert – die Dunkelziffer dürfte sich auf ein Mehrfaches beziffern. Der harte Kern reist den Grateful Dead jahrelang mit Sack und Pack hinterher, von Küste zu Küste und, wenn es sich irgend einrichten läßt, von Kontinent zu Kontinent. Selbst einschlägigen Blättern, die das Phänomen vor einiger Zeit durchgenudelt haben, ist ein Rätsel, wie der Hofstaat Zeit und Geld dafür aufbringt.

Vor dem Shoreline Amphitheatre parkt der Troß der Treuen in seifenblasenbunten Campmobilen. Alle fünf Meter reckt jemand einen Finger nach oben: „Waiting for a miracle“ – warten auf ein Wunder: die Gratis-Eintrittskarte. Dabei sind die Grateful Dead vergleichsweise preiswerte Megastars. Für 25 Dollar kann man in der ersten Reihe sitzen, wenn sich die Legende inszeniert. Nun sind Dead-Konzerte aber fast immer ausverkauft. Auch am Shoreline sinken etliche Mundwinkel bis auf die Schultern.

Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes kürte die Grateful Dead zu einer der bestverdienenden Tourneebands der Welt. Die Ehrenwerten sind schon lange mehr Kult als Musik. „Die langweiligste Kapelle der Welt, die kultivierte Belanglosigkeit“, maulte ein böser Kollege aus Hamburg. Jenseits der Musik versorgt ein straff organisiertes Imperium die Fans mit Devotionalien, dem Fanzine Relix, selbst verlegten Dead- Comics und, über das Versandhaus „Door to the World Imports“, mit Dead-gerechten Gewändern. Das neueste und kurioseste Angebot der Grateful Dead Merchandising Company ist eine Wintersportausrüstung mit den Logos der Band: gutgelaunten Bärchen und fidelen Gerippen auf Skiern, Handschuhen und Wollmütze.

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Die Amerikaner müssen die Logistik erfunden haben. Rund ums Shoreline Stadion ist ebenso hübsch wie ordentlich eine Budenstadt gewachsen. Dead-T-Shirts zu 21 Dollar das Stück und geradezu klassische Hängekleidchen flattern an den Stangen – alle durch Bärchen und Gerippe geadelt. Indianerschmuck klimpert im Wind, und die Leute kaufen – artig in der Schlange aufgereiht – Bücher über „den Kesey-Bus“ und das neueste Relix. Doch die Grateful Dead wollen nicht einfach schnöden Mammon einfahren, sie möchten auch gute Menschen sein. Knurr: We Are One World!

Eine bandeigene „Rex Foundation“, benannt nach dem 1976 verunglückten Roadie Donald Rex Jackson, vergibt seit 1984 nicht nur Stipendien an hilfebedürftige Künstler wie kürzlich den Komponisten Robert Simpson, sie unterstützte außerdem Sioux-Indianerinnen mit Studienbeihilfen. Die Rex Foundation förderte Obdachlosenküchen in Boston, die Erblindungsprophylaxe in Nepal und Programme zur Reinigung von Flüssen in Alabama.

„Wir spielen ein paar Benefizkonzerte, wir machen ein bißchen Geld, und dann geben wir dieses Geld weg“, definiert Mickey Hart, einer der beiden Schlagzeuger der Grateful Dead, diese Philosophie des „fürsorglichen Kapitalismus“. Kein Wunder, daß zwei erfolgreiche Alt-Hippies, die Eiskremmagnaten „Ben & Jerry“, ihr Kirscheis dem Bandleader widmeten. „Cherry Garcia“ heißt der Marktrenner, der Häagen-Dasz um Längen schlug.

Why not? Auch korrekte Popkultur darf heute was einbringen: In der neuesten Werbekampagne löffeln Spike Lee, Buffy Sainté- Marie und Carlos Santana für das Gute.

Für die Deadheads ist mit dem Dead-Kult das Klischee von der friedfertigen und konkurrenzlosen „love generation“ ein wenig in die Rezession der Neunziger herübergerettet. Doch eine einfache Weitergabe ist das nicht. Die Neo-Hippies im Stadion und auf den Straßen sind oft Jahre jünger als die wirklichen Kinder der Hippies. Es mutet schon einigermaßen seltsam an, wenn 60.000 Leute, die man ihrem Alter nach eher Grunge, Neo- Folk oder HipHop zuschlagen würde, in Indienkleidern, Batikshirts und Fußkettchen verzückt zu „Fire On The Mountain“ oder „Terrapin Station“ tanzen.

Ihr Übervater Jerry Garcia, rundlicher Inhaber einer berühmten brüchigen Stimme, ist schon 51 Jahre alt – und vergißt gern seinen Text. Das macht gar nichts, denn das Publikum springt beglückt ein. Garcia verzeiht man nicht – er darf sich sowieso fast alles erlauben. Und weil er fast alles erlaubt, sind auch im Shoreline Amphitheatre extra Plätze mit Richtmikrofonen für diejenigen reserviert, die das Konzert privat und live mitschneiden wollen. Bitte schön, nichts dagegen. Andere Popgrößen würden deswegen erbitterte Prozesse führen. Aber hier herrscht eben die kosmische Liebe.

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Ach ja – die kosmische Liebe und Joplins „Cozmic Blues“. Und Haight-Ashbury, die kosmische Straßenkreuzung, auf der alles losgegangen sein soll. Und drumrum das kosmisch-irdische San Francisco, wo 1967 der Rolling Stone, die berühmteste Musikzeitschrift der Welt, gegründet wurde. Im Dezember 1966 lebten um die 1.500 Bands im Dunstkreis von San Francisco.

Auch Joplin wohnte hier – erst in einem schäbigen Zimmerchen in der zu Japantown gehörenden Pine Street, später in Haight-Ashbury, in der 112 Lyon Street. Bis 1968 residierten die Grateful Dead gleich nebenan – in der 710 Ashbury Street. 1966 begaben sich die Grateful Dead, Hauskapelle der Acid-Tests und bis heute Inkarnation der Hippie-Kultur überhaupt, mit dem Autor Ken Kesey dann in dessen berühmten Bus „Furthur“, die rollende Kanzel für LSD-Predigten.

Heute gehört die Geschichte des Busses zum Pflichtprogramm der Neo-Hippies von Haight-Ashbury – ebenso wie ein „Gottesdienst“ im Fillmore Auditorium am Geary Boulevard. Bill Graham managte seit dem Dezember 1965 das, was bald zum berühmtesten Rockpalast der 60er Jahre werden sollte.

Graham starb vor drei Jahren bei einem Hubschrauberabsturz. Nicht lange danach wurde eine der Straßen zum Shoreline Amphitheatre, dem 60.000 Leute fassenden Stadion unweit San Francis

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cos, in „Bill Graham Park Road“ umbenannt.

Auf der Straße bin auch ich ins Stadion gekommen – zusammen mit all den Deadheads. „Genießt die Show und seid geduldig!“ predigt ein lächelnder Einlasser. Er ist noch keine Zwanzig, und um seinen Hals baumelt eine Blumenkette. Ordner, die in Deutschland dem Amtskrampf unterliegen, hopsen hier im Takt die Treppen zur Bühne hoch und runter und wiegen sich mit verdrehten Augen zur Musik. Die Konzertbesucher müssen allerdings vier Sicherheitskontrollen und eine griesgrämige, berittene Drogenpatrouille passieren.

Derzeit sitzen etwa 2.000 Deadheads wegen Verstoßes gegen die Drogengesetze im Gefängnis; vor fünf Jahren waren es kaum 100. Der rapide Anstieg geht auf eine härtere Urteilssprechung zurück, wonach Deadheads für den Besitz von Drogen nicht selten höhere Strafen auferlegt bekommen als Mörder oder Vergewaltiger. Auch im Shoreline Amphitheatre sammeln höfliche Zivilbeamte in Batikshirts alles, was sich nur annähernd „intoxicated“ aufführt, vom swingenden Rasen. Über ihnen fliegen, Kitsch as Kitsch can, bunte Luftballons und rosa Marshmallows.

Der „Summer of Love“ ist nicht totzukriegen. Kleinkinder krabbeln in der Sonne, wildfremde Leute strahlen sich an. Mein Nebenmann zur Linken heißt Trevor, schwärmt von den Berliner Kneipen und verschenkt Mineralwasser. Für Trevor ist es „erst“ das fünfte Dead-Konzert. Natürlich kein echter Deadhead. Mein adretter Nebenmann zur Rechten bietet mir eine chemische Substanz an. Ich lehne ab. Ein anderer Ordentlicher im Batikshirt guckt zu.

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LSD war bis zum 2.Oktober 1966 offen in den „Psychedelic Shops“ zu haben. Ein paar dieser Läden haben die fast dreißig vergangenen Jahre überlebt. Hier können verspätete Blumenkinder „Endsechziger“ spielen und Haschpfeifen, Räucherstäbchen, Grateful-Dead- Reliquien oder Hippieklamotten kaufen. „Reliable Drugs“ steht auf einem Schild, aber für die Öffentlichkeit ist etwas anderes gemeint: Kräuter.

Natürlich haben Crack und Kokain dem LSD längst seinen Rang als Modedroge abgelaufen. Haight-Ashbury mit seinen bunten Cafés, Galerien, Buchhandlungen, Platten- und Kleiderläden wird mehr und mehr zum Viertel zahlungskräftiger Jungerfolgreicher. Die Kreuzung von Haight und Ashbury Street kann sich inzwischen jeder als T-Shirt über den Bierbauch ziehen.

Der San-Francisco-Sound ist als Label innerhalb der Popkultur ungefähr so etabliert wie die griechische Akropolis in der Kunstgeschichte. Die Grateful Dead haben längst jede Menge eigene Kinder, die Flower-power-Kapellen wurden in den 70er und 80er Jahren von den Dead Kennedys, Ramones und Residents überrannt.

Heute füllen neben den Grateful Dead vor allem Neo-Folker wie Penelope Houston, natürlich die Counting Crows, der Rapper Hammer aus Oakland von der anderen Seite der Bay, Swell und – immer noch – Moby Grape die Clubs. In der Bevölkerung macht eine Anti-Rap-Bewegung gegen „Gangsta“ wie Snoop Doggy Dogg mobil. Worte gegen das Drive-By- Killing, ungleiche Gegner.

Die schwarzen Mamis in den Kaufhäusern ermahnen sich gegenseitig, auf ihre Kinder aufzupassen. Jerry Garcia wird ihnen dabei nicht helfen können.

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